Die Mär vom empathielosen Autisten

Ein Leben in (völliger) Isolation? Du bist sehr introvertiert, ängstlich-vermeidend oder gar schizoid? Wie gehst du damit um?
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ToWCypress81
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Re: Die Mär vom empathielosen Autisten

Beitragvon ToWCypress81 » 2. Januar 2021, 15:52

Traumafrau hat geschrieben:Dieses "selbst helikoptern", also sich aus der 2.Person Perspektive beaobachten (Beäugen? Belauern? Protokollieren? Evtl sogar Kommentieren?) Wird das als Ich-Fremd oder Ich-Zugehörig von euch @Sybilina @ToWCypess81 betrachtet?

Weder noch.

Wenn ich alleine bin, laufe ich nicht Gefahr das ich Emotionen falsch durchdenke und entsprechend falsch reagiere, da es dort natürlich niemanden interessiert bzw stört.

Dadurch, das ich aber eine emotionale Fehleinschätzung und somit durchdachte Fehl-Reaktion gegenüber Menschen verhindern will, die Person stattdessen verstehen will - durchdenke ich nicht nur deren Reaktionen - sondern beobachte dadurch automatisch auch deren und meine Reaktionen wie diese zueinander wirken bzw welche Auswirkungen dadurch meine Reaktion auf mein Gegenüber hat.

Dieses Beobachten das nicht emotional besetzt ist, daher auch kein "belauern" usw darstellt, findet entweder sachlich oder zusätzlich mit der Angst falsch rüberzukommen statt - welches sich automatisch "von aussen" vollzieht, inklusive mir und den Personen die in dem Moment mit mir zu tun haben.
Dieses "Beobachten von aussen" aus der Sicht eines "Gefühle erdenkenden Zuschauers" heraus geschieht.

Traumafrau hat geschrieben:Ist das wie ein Modus der jederzeit, selbstbestimmt ein- und ausgeschaltet oder eine Brille, die auf- und abgesetzt werden kann? Oder läuft das in Dauerschleife? Oder gibt es einen Auslöser/Trigger für diesen Modus?

Dieses "Beobachten" findet bei mir nur statt, wenn ich unter Menschen bin bzw mich nicht alleine fühle.
Es geschieht zeitgleich mit dem "mitschwingenden Durchdenken" jeglicher menschlicher Situationen.
Anstatt wie es mit dem normal-neurotypischen (NTs) "Emotionalen mitschwingen" wahrscheinlich sonst üblich wäre - welches bei NT's eher/zumeist "instinktiv", also somit eher/zumeist von "innen-heraus" ohne Selbstschau geschieht.

Da ich nicht weiß, wie ich ansonsten die meisten Situationen mit Menschen verstehen kann - ist das meistens mein einziger Weg und Art unter Menschen zu "funktionieren".

Da das "Beobachten von aussen" keinen emotionalen Kern hat, sondern nur auf einer sachlichen Abwägung basiert, wie es richtig oder falsch ist Situationen einzuschätzen - ist somit dieses "Beobachten" für mich auch nicht emotional "negativ" geprägt, wie es stattdessen bei der Vorstellung dieses "emotionalen Beobachtens von aussen" für NT's wahrscheinlich der Fall wäre/ist, und deswegen so schlimm erscheint.
"Vergleiche dich niemals mit anderen. Vergleiche dich immer nur mit deinem früheren Ich". - R. M.

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Re: Die Mär vom empathielosen Autisten

Beitragvon bluelagoon » 4. Januar 2021, 12:08

Ein von der Klinik mit Autismus diagnostiziertes Kind (5) hat mir mal, als ich gerade sauer bzw. eher enttäuscht war, dass es irgendwas nicht machte, und ich es deshalb etwas schimpfte/meinen Ärger zeigte; also dieses Kind hat mir da für mich völlig überraschend über den Kopf gestreichelt, mich dabei mitleidig und ganz lieb angeguckt, und wollte mich so trösten.

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Re: Die Mär vom empathielosen Autisten

Beitragvon ToWCypress81 » 5. Januar 2021, 02:50

bluelagoon hat geschrieben:also dieses Kind hat mir da für mich völlig überraschend über den Kopf gestreichelt, mich dabei mitleidig und ganz lieb angeguckt, und wollte mich so trösten.

Jeder Mensch fühlt.

Ob das Mitfühlen nun durch eine autistische tief durchdachte, und damit in vielen Teilen vielleicht sogar intensivere Art und Weise, durch umfangreiches Beobachten & Empfinden von statten geht, oder das Mitfühlen auf einer instinktiv-emotionalen Art und Weise durch einen neurotypischen Menschen her passiert - bedeutet für beide Arten von Menschen nicht, das eine/r weniger oder der/die andere mehr fühlt.

Nur die unterschiedliche Herangehensweise beider Gefühls-Wesensarten spielt im Verständnis und Unverständnis eine Rolle.
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Re: Die Mär vom empathielosen Autisten

Beitragvon Wild Mustang » 22. Januar 2021, 11:40

Ich kann die These hier bestätigen.

Ich habe schon als Kind gewusst, dass ich Dinge, die bei anderen automatisch ablaufen, bewusst und mit Anstrengung selber machen muss. Aber auch will. Es genügte mir nicht, wie ein sozialer Roboter auf Knopfdruck zu reagieren.

Ich mag außerdem die direkt und informationsbasierte Interaktion und Kommunikation. Mir kommt die normaltypische Art des Kommunizierens vor, als wäre sie verschlüsselt und so gut wie nie wahrhaftig oder authentisch. Ich habe das Gefühl, dass Menschen so gut wie nie aufrichtig sind. Ist es jemand doch, wirkt das auf andere schockierend.

Meines Erachtens ist das auch ein sozio-kulturelles Problem. In einer anderen Kultur könnte aus einem Penner ein König werden. Was hier angemessen ist, ist dort vollkommen neben der Spur.

Die höchste Form der Kommunikation ist die Lüge und die Manipulation. (Tarnen und Täuschen). Das erfordert die höchste soziale Kompetenz und "Rechenleistung" beim Menschen.

Wer nicht lügen kann, ist im Grunde schwerstbehindert, im Kontext der real existierenden Gesellschaft.

Gruß

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Re: Die Mär vom empathielosen Autisten

Beitragvon Insuffizienz » 22. Januar 2021, 14:51

@Wild Mustang

Wild Mustang hat geschrieben:Die höchste Form der Kommunikation ist die Lüge und die Manipulation. (Tarnen und Täuschen). Das erfordert die höchste soziale Kompetenz und "Rechenleistung" beim Menschen.

Wer nicht lügen kann, ist im Grunde schwerstbehindert, im Kontext der real existierenden Gesellschaft.

In dieser Konkurrenzgesellschaft ist Heuchelei und sog. Höflichkeit, aber auch Manipulation als umfassendes Prinzip des zwischenmenschlichen Umgangs tatsächlich eine Notwendigkeit, wenn man auch nur irgendwie zum Erfolg kommen will. Wer seinem Chef ehrlich seine Meinung geigt (oder gar praktisch demonstriert), wird schon sehen, wo er damit landet. Wer sich beim Vorstellungsgespräch nicht besser darstellt als er ist (heißt "Schwächen" verschweigen und Stärken überbetonen usw.), wird auch sehen wie weit er damit kommt. Ein Kind, dem Regeln vorgeschrieben werden und das bestraft wird, wenn es den Autoritäten nicht gehorcht, wird schnell lügen lernen, um Nachteilen zu entgehen. Oder wer im Schulunterricht ständig nachfragt, wenn er etwas nicht verstanden hat, läuft Gefahr eine schlechte Bewertung zu erhalten - da kann man lieber so tun als wüsste man schon alles, um den Schein der Kompetenz zu wahren und eine bessere Benotung wahrscheinlicher zu machen usw. usf.
Hiermit habe ich einen Grund für das Manipulieren genannt (die gesellschaftliche Konkurrenz, in der sich Bürger zwangsweise zurechtfinden müssen), der bei Dir fehlt, denn aus der Natur heraus manipuliert der Mensch nämlich nicht - das wäre also ein Diskussionspunkt.

Mir ist unklar, was Du hier mit "schwerstbehindert" meinst.
Auch ist mir unbekannt, welchen Maßstab Du anlegst, wenn du von der "höchsten Form der Kommunikation" sprichst.

Wild Mustang hat geschrieben:Ich mag außerdem die direkt und informationsbasierte Interaktion und Kommunikation. Mir kommt die normaltypische Art des Kommunizierens vor, als wäre sie verschlüsselt und so gut wie nie wahrhaftig oder authentisch. Ich habe das Gefühl, dass Menschen so gut wie nie aufrichtig sind. Ist es jemand doch, wirkt das auf andere schockierend.

Daneben existieren sicherlich gute Gründe, warum man "lügt", die von der Gesellschaft eher unabhängig sind. Aus Freundlichkeiten erzählt man z.B. nicht jeden Gedanken einfach authentisch, weil man andere nicht verletzen/einschüchtern/missachten will - und auch gleichzeitig seine eigene Privatsphäre wahren möchte (so etwas wie: "Du bist aber dick geworden." - "Dich finde ich hässlich." - "Du hast aber geile Hupen, mit Dir würde ich sofort in die Kiste springen.").
Mir fallen gerade keine weiteren Beispiel für sonstige Gründe ein, warum man "lügt" (täuscht usw.) - und es dabei keinen irgendwie großartig böswilligen oder konkurrenzlerischen Charakter hat.

Ich persönlich würde also gar nicht unbedingt zustimmen, dass normale Leute (im privaten Umgang) "so gut wie nie wahrhaftig und authentisch" sind. Wäre interessant, es an einzelnen Punkten zu analysieren bzw. wurde es ja teils schon im Thread hier.

Gruß

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Re: Die Mär vom empathielosen Autisten

Beitragvon Wild Mustang » 22. Januar 2021, 15:58

Zitat

Mir ist unklar, was Du hier mit "schwerstbehindert" meinst.
Auch ist mir unbekannt, welchen Maßstab Du anlegst, wenn du von der "höchsten Form der Kommunikation" sprichst.


Das meine ich in der Auswirkung auf seine sozialen Möglichkeiten. Du hast ja genau erklärt, dass man ohne Lüge und Manipulation keinesfalls erfolgreich sein kann, noch nicht mal akzeptiert wird. Eher wird man ja angegriffen, wenn man ehrlich ist.

Ich werte das ja nicht, ich beschreibe es nur, aus meiner Sicht. Darüber muss also auch keine Einigkeit herrschen.

Das mit dem Lügen als höchste Entwicklungsstufe bei Lebewesen, ist glaube ich wissenschaftlicher Standard. Ich sehe es auch so.
Auch das werte ich nicht.

Ich glaube überhaupt, dass erst die Wertungen die Dinge zu Problemen machen. Man kann jemand sagen, dass er 115 kg wiegt. Ohne es zu werten. Wenn der andere darin eine Wertung sieht und wütend wird, was kann ich dafür? Muss ich mich an Tabus halten und warum? Was macht das mit mir, werde ich zum "Mittäter"?

Gruß

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Re: Die Mär vom empathielosen Autisten

Beitragvon Insuffizienz » 22. Januar 2021, 19:35

Wild Mustang hat geschrieben: Das mit dem Lügen als höchste Entwicklungsstufe bei Lebewesen, ist glaube ich wissenschaftlicher Standard. Ich sehe es auch so.

Leuchtet mir jetzt nicht ein. Immer noch ist mir der Maßstab unbekannt ("Stufe" der Entwicklung welcher Art? Evolutiv durchsetzungsfähig, intellektuell, kulturell ...?). Wenn du das auch so siehst, müsstest du doch Gründe anführen können? (Das liest sich vielleicht "provokant", aber es interessiert mich bloß, ich frage da tatsächlich rein sachlich. :breites grinsen: )

Wild Mustang hat geschrieben: Ich glaube überhaupt, dass erst die Wertungen die Dinge zu Problemen machen. Man kann jemand sagen, dass er 115 kg wiegt. Ohne es zu werten. Wenn der andere darin eine Wertung sieht und wütend wird, was kann ich dafür? Muss ich mich an Tabus halten und warum? Was macht das mit mir, werde ich zum "Mittäter"?

Gut, das spielt eine Rolle - da "muss" man sich tatsächlich auch bei anderen durchlavieren, wenn man irgendwie sozialen Anschluss finden will bei "Normalos". Ich halte (auch?) nichts von Bewertungen ganz grundsätzlich.
(An dem Beispiel finde ich interessant, dass die Aussage: "Du wiegst 115 kg." sogar empathisch gemeint sein könnte (z.B. gegenüber einem Freund) - so nach dem Motto: "Das tut mir Leid für dich, dass du es noch nicht geschafft hast abzunehmen, das macht mir Sorgen. Wie kann ich dich unterstützen?")

Nur ist das Bewerten, so wie ich es bei dir verstanden habe, aber im Zusammenhang mit dem Lügen m.E. nicht der einzige Punkt wie du es insinuierst. Da hatte ich ja auch auf Aspekte wie "Grenzen", also z.B. bezüglich Privatsphäre, hingewiesen. "Probleme" gibt es auch da, ganz besonders für Autisten (was ja das Ausgangstheme des Threads ist) im Sinne von, dass sie Schwierigkeiten haben indirekte Kommunikation und unausgesprochene soziale Regeln zu erkennen. Wie dem auch sei...

Gruß

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Re: Die Mär vom empathielosen Autisten

Beitragvon Wild Mustang » 22. Januar 2021, 20:27

Ich habe mal gelesen, dass Lügen aller Art, eine Geistesleistung ist, die eben nur die am höchsten entwickelten Lebewesen, also vor allem Menschen, zustande bringen.

Würde also bedeuten, dass man man fragt, was ist es, wofür ein Lebewesen die höchste Evolutionsbiologische Entwicklungsstufe braucht, dann wäre nach dieser These , die Antwort: "Lügen."

Es wurde auch ziemlich genau erklärt, dass man mit Hilfe der Hirnforschung diese herausgefunden hätte. Lügen wäre demnach eine Meisterleistung des menschlichen Gehirns. Von alle sozialen Kompetenzen wäre das Lügen daher die Rang-Höchste, denn nichts braucht mehr Gehirn-Rechen Leistung, nichts ist so kompliziert und nichts ist so anstrengend, wie das Lügen.

Es gibt ja auch Lebenslügen. So kann z.b. ein ehemaliger SS-Mann des Kz Ausschwitz, der dort am Massenmord beteiligt war und evtl. sogar etliche direkt Morde begangen hat, die Lebenslüge aufbauen und aufrechterhalten, er wäre vollkommen unschuldig. Ja, sogar ebenfalls ein Opfer, ein Opfer der damaligen umstände, denen er genau ausgeliefert gewesen wäre, wie die Insassen des KZ.

Eine solche Lebenslüge kann derart vollkommen sein, dass sie für den Menschen genauso zur Wahrheit wird, wie dass es eine Sonne und einen Mond gibt. Ich finde, dass ist eine erstaunliche Leistung. Welche Leistung könnte da drüber gehen?

Gruß

Mustang
Zuletzt geändert von Wild Mustang am 22. Januar 2021, 20:30, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Die Mär vom empathielosen Autisten

Beitragvon Wild Mustang » 22. Januar 2021, 20:29

PS: Achja, es wurde auch erforscht, dass die Fähigkeit, die einem am weitesten bringt und am erfolgreichsten macht, das Lügen wäre.

Also, als Spezies generell, aber auch als Individuum.

Auch das deckt sich mit meiner Lebenserfahrung. Aber Lügen können ist halt auch ein perfekter Selbstschutz. Vor allem, wenn man sich selbst belügt, eben die Lebenslüge.

Vor Gericht darf ein Angeklagter lügen (ein Zeuge nicht).

Gruß

Mustang
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Sybillina

Re: Die Mär vom empathielosen Autisten

Beitragvon Sybillina » 23. Januar 2021, 07:20

Oh je, beim Lesen der neuen Entwicklung habe ich gesehen, dass ich hier noch Antworten schuldig bin. Bitte nicht persönlich nehmen, wenn ich manchmal etwas sprunghaft bin und einen Faden nicht mehr aufnehme. :zu halten: Ist nicht böse oder nachlässig gemeint, mich beschäftigt nur oft so viel und die Aufmerksamkeit schweift dann ab. Und zugleich will ich mich immer nicht so stark an einen Gedankenstrang "binden", sondern ihn lieber erstmal diffus wirken lassen.

Gut, aber jedenfalls möchte ich hierauf noch antworten, auch wenn stark verspätet. Es führt auch von der Faszination der Lüge wieder etwas mehr zum eigentlichen Threadthema zurück:
ToWCypress81 hat geschrieben:
Sybillina hat geschrieben:Wie, "auf sich bezogen"? Das kann ich einfach nicht verstehen, wie ich es auch drehe. Heißt das, andere Leute "beziehen die Welt auf sich"? Was heißt das?

Den Satz habe ich zuerst auch nicht verstanden bzw konnte mit diesem auch nichts anfangen.

Nun denke ich aber:
"Die Welt" heißt nichts anderes als "die Menschen".
Übersetzt würde das heißen:
"Weil sie (die Autisten) die Menschen (deren Verhalten) nicht auf sich beziehen".

Zumindest ist das das einzige was ich nachempfinden kann bzw bei mir auch so sehe, und so als Satz mit diesem gesamten sinngemäßen Absatz/Textblock meiner Meinung nach auch stimmig ist.
Darüber habe ich lange nachgedacht. Zunächst meinte ich - ähnlich wie tiffi im Beitrag darunter - dass die Welt doch mehr sei als nur die Menschen um einen herum. Gerade wohl auch, weil für Menschen mit nicht so starken sozialen Bedürfnissen eben die Um-Welt (nicht-menschlich) einen Ruhepol darstellen kann, der positiv besetzt ist.

Okay, aber so richtig in Bezug tritt man wohl nur mit Menschen, weil nur da gleiche (= sehr ähnliche) kognitive Voraussetzungen. Wenn ich z. B. die Rabenliaison im anderen Thread betrachte, so ist das sicher ebenfalls eine Art Bindung und Kommunikation - aber eben doch anders und vielleicht einfacher, weil der Rabe nichts von uns erwartet (außer vielleicht Futter oder interessantes Verhalten), wir ihm aber etwas geben und uns daran freuen können. Zugleich erweitert er unseren Horizont um Einblicke in Verhalten und ggf. Erleben einer anderen Lebensform und definiert uns dadurch im Unterschied zu sich. ("Was macht er, was ich nicht tue?")
Oh - vielleicht ist natürlich gerade das die im Artikel postulierte "Beziehung" ("auf sich beziehen") - dass man Verhaltens- und Denkweisen mit sich vergleicht und daraus Erkenntnisse gewinnt? Der Gedanke kam mir gerade.

Dann wäre das mit dem "auf sich bzeogen" vielleicht eher von "Bezug" abzuleiten statt von "Beziehung", wie ich erst dachte. :rätseln:
tiffi hat geschrieben:So könnte es schon sein, dass man bei Menschen eher etwas auf sich beziehen oder auch gestalten könnte.
(Als Spiegel). Wobei ich dann eher an Narzissten denke oder Leute mit Wahnvorstellungen, die übermäßig
viel in anderen sehen von sich selbst oder denken, die anderen sind "nutzbare Fläche".
Keine so gute Assoziation.
Ja, entweder so (diese beiden Möglichkeiten als Extreme), oder als Mittelweg: Man selbst als Individuum vergleicht sich stetig mit anderen Menschen, um sich einschätzen zu können - zunächst vielleicht ganz wertfrei. Kein Messwert ist was wert ohne Bezugsgrößen. Was würde uns eine Außentemperatur von 39 Grad sagen, wenn wir nicht wüssten, dass der Mensch ca. 37 Grad Körpertemperatur hat und die Außentemperaturen in Deutschland im Winter auch mal unter -10 Grad fallen können? Nichts.
In diesem Sinne wäre das "die Welt auf sich Beziehen" erstmal nur ein Ermitteln von Umgebungswerten, verknüpft mit einer Einschätzung der eigenen Person, aber noch ganz ohne Handlungs-/Reaktionserfordernis. :rätseln:

Erst wenn man in soziale Kontexte eintreten und sich dort positionieren WILL, entsteht aus dem "auf sich Beziehen" auch Leistungsdruck.

Das führt direkt weiter zu tiffis Gedanken:
tiffi hat geschrieben:
Sybillina hat geschrieben:Braucht man das, ist das hilfreich? Ich kann mich nicht anders sehen als eine Beobachterin. Da wo ich "auf die Bühne gehe" und mitmache (= Alltagsleben), betrachte ich mich dennoch jederzeit ebenfalls von außen. Gleichzeitig zum Handeln.
Vielleicht so im Sinne Selbstwirksamkeit?
Wenn es um das Thema Selbstbewusstsein geht, gehts eigentlich ja immer um das Thema-
"ich bin wertvoll im Vergleich zu anderen, ich bin nicht minderwertig, ich kann mich zeigen und mitmachen".

Keiner würde vergleichen "ich bin selbstbewusst im Vergleich zu einem Stein der da liegt und ich fühle mich
zu minderwertig,den aufzuheben".

Irgendwie finde ich das total merkwürdig, dass man sich im "Menschenraum" solche Macken angewöhnt. :rätseln:
Und doch der Raum in der Gesellschaft, das Dazugehören oder nicht, Interagieren oder außen vor sein,
ziemlich wesentlich zu sein scheint und auch auf das Wohlbefinden wirkt.

Dieses Beobachten wird von manchen Meditationsschulen trainiert. Es ist eine Art von Dissoziation
(vielleicht von diesen gesellschaftlichen Rollen?)
Ich denke, wenn man die Möglichkeit hat, in sich selbst zu ruhen (was ja Kontakt zur Außenwelt nicht ausschließt), kann man diese "Macke" gut nutzen. Schwierig wird es erst, wenn man sich in eine Art Strudel hineinziehen lässt und dann tatsächlich den "Bezug" zu den Mitmenschen automatisch und immer zu einer "Beziehung" macht.

Den Gedanken mit dem Stein fand ich toll. Mir ist es tatsächlich schon passiert, dass ich mich beim Sitzen an einem See mit der Wasserfläche verglichen habe, und ich fand es sehr hilfreich, weil es eben aufzeigte, dass man als Mensch noch mehr Handlungsraum hat als z. B. ein See, der ja auch schon einiges kann (durch Oberflächenspannung langbeinige Insekten tragen, Tropfen bilden, Wellen schlagen, unterschiedliche Temperaturschichten und Gaskonzentrationen aufweisen in Schichtung von oben nach unten, Dinge an seinem Grund verstecken, durchsichtig oder farblich schillernd sein, gefrieren und dann schwere Sachen tragen, ...).
Eigentlich sollte man sich viel öfter mit einem Stein (als Prototyp des Unbewegten) vergleichen, um zu sehen, wie viele Handlungs- und Wahrnehmungsmöglichkeiten man selbst doch hat. Attraktiv finde ich z. B. die Vorstellung, dass ein Stein rein durch die Umgebung eiskalt sein kann und sich dann auch besonders hart anfühlt, während derselbe Stein sonnendurchwärmt glatt und weich erscheint. :rätseln:

Gut, jedenfalls ist die schizoide Distanz, innerlich und äußerlich, ja ein möglicher Ausweg daraus, sich zu sehr ein-beziehen zu lassen. Doch kann es dann auch schnell wieder zu wenig werden, das man abbekommt. Ich denke, da ja gerade sehr introvertierte Personen, wie sie sich z. B. hier im Forum finden, gewöhnt sind, viel nachzudenken und zu bewerten, ist man da besonders gefährdet.

Das war ja auch das ursprüngliche Threadthema, inwieweit Empathie (was immer das ist, wie schon diskutiert wurde) benötigt wird und ob Autisten (nur) deshalb nicht angemessen sozial funktionieren können, weil sie ihnen fehlt.

Frage:
Geht "Bezug" ohne (zu tiefe, zu enge, zu beängstigende) "Beziehung"?

Ich meine hier nicht Partner- oder Freundschaftsbeziehungen, nicht mal Kollegenbeziehungen, sondern die ganz schlichten Formen des "die Welt auf sich Beziehens" oder "auf die Welt bezogen Seins", des in der Welt Da-Seins.

Vielleicht wird man aber auch als Mensch, gewollt oder nicht gewollt, automatisch und immer "hineingezogen", worunter dann eben Autisten besonders leiden. Vielleicht gibt es keinen Mittelweg?

Das dissoziierte Beobachten, das tiffi aus Meditationsschulen erwähnt, kenne ich, finde es aber auch problematisch. Das ist ja gerade das schizoide Denken und dadurch fehlende Fühlen, das man sich von jung auf angewöhnt hat als Reaktion auf eine wenig vertrauenerweckende Umwelt. Ich würde es gerne ablegen bzw. bin froh, mittlerweile (durch eine Therapie) auch andere Register zur Verfügung zu haben und dazwischen wechseln zu können.

So als tertiär erlernte Haltung im Sinne einer Entspannungs-/DissoziationsTECHNIK mag es ja ganz hilfreich sein.
Traumafrau hat geschrieben:Dieses "selbst helikoptern", also sich aus der 2.Person Perspektive beaobachten (Beäugen? Belauern? Protokollieren? Evtl sogar Kommentieren?) Wird das als Ich-Fremd oder Ich-Zugehörig von euch @Sybilina @ToWCypess81 betrachtet? Ist das wie ein Modus der jederzeit, selbstbestimmt ein- und ausgeschaltet oder eine Brille, die auf- und abgesetzt werden kann? Oder läuft das in Dauerschleife? Oder gibt es einen Auslöser/Trigger für diesen Modus?
Bei mir ist es entweder ein sehr früh erlerntes Verhalten oder eine Standardfunktion meines Gehirns, jedenfalls DAS Standardverhalten bzw. -funktionieren. :rätseln:

Wie eine Brille auf- und abgesetzt werden: Teils ja. Dann wechsele ich in einen dritten Modus, der sowohl mich als Beobachterin als auch mich als Handelnde (in einer Situation) von noch weiter außen in den Fokus nimmt. Komischerweise hat dieser "dritte Modus" mehr Bezug ( :feiern: ) zu mir als die beiden anderen, wie mir gerade auffällt. Vielleicht, weil er noch weiter weg und daher ungefährlicher, neutraler ist?
In diesem kann ich auch Gefühle zur aktuellen Situation spüren, die sich aber in der handelnden Person (mir) nicht direkt umsetzen lassen.
Als Dissoziation empfinde ich es aber nicht, sondern es sind halt verschiende Funktionsmodi meiner Person, die hilfreich zusammenwirken, da und wenn sie gleichzeitig auftreten können. Das wiederum geht nicht immer, der dritte Modus steht nicht immer zur Verfügung.

Ich-fremd/-zugehörig: Ich empfinde alle genannten Elemente als zugehörig und Teil meines Ichs. So wie verschiedene Spiegelflächen, die nicht immer alle gleichzeitig oder überhaupt genutzt werden, sondern bedarfsgerecht.
Das macht sich automatisch, "abrufen" lassen sich die verschiedenen Funktionen nicht gezielt.
ToWCypress81 hat geschrieben:Dieses Beobachten das nicht emotional besetzt ist, daher auch kein "belauern" usw darstellt, findet entweder sachlich oder zusätzlich mit der Angst falsch rüberzukommen statt - welches sich automatisch "von aussen" vollzieht, inklusive mir und den Personen die in dem Moment mit mir zu tun haben.
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(...)
Dieses "Beobachten" findet bei mir nur statt, wenn ich unter Menschen bin bzw mich nicht alleine fühle.
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Da ich nicht weiß, wie ich ansonsten die meisten Situationen mit Menschen verstehen kann - ist das meistens mein einziger Weg und Art unter Menschen zu "funktionieren".

Da das "Beobachten von aussen" keinen emotionalen Kern hat, sondern nur auf einer sachlichen Abwägung basiert, wie es richtig oder falsch ist Situationen einzuschätzen - ist somit dieses "Beobachten" für mich auch nicht emotional "negativ" geprägt, wie es stattdessen bei der Vorstellung dieses "emotionalen Beobachtens von aussen" für NT's wahrscheinlich der Fall wäre/ist, und deswegen so schlimm erscheint.
Diese Ausführungen fand ich sehr interessant und vielschichtig, danke dafür. Ich denke noch darüber nach.

Es ist wohl wirklich die zentrale Frage, inwieweit man wahrgenommene Dinge/Emotionen/Bedingungen anderer dann selbst emotional besetzt. Ob man dies muss, nur kann oder gar nicht kann.

Bei mir würde ich sagen, ist die Auswertung auch eher neutral und erzeugt keine emotionalen Reaktionen. Das liegt aber vielleicht wiederum daran, dass ich so wenig "Bezug"/"Beziehung" (???, siehe oben) zur sozialen Umgebung herstelle bzw. auch nicht herstellen möchte. :rätseln:


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