Hilfe meine Therapeutin glaubt mir nicht

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birdy
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Hilfe meine Therapeutin glaubt mir nicht

Beitragvon birdy » 12. April 2018, 12:02

Hallo zunächst,
ich wende mich an dieses Forum, weil ich nicht mehr weiter weiß.

Kurzer Abriss meiner Geschichte: soweit ich weiß, fand in meiner Kindheit keine „Ich-Findung“ statt, mit 12 habe ich angefangen mich selbst zu verl*****, weil ich den inneren Druck nicht mehr ausgehalten habe. Seitdem ist es ein ständiges auf und ab, zwischen relativer Gleichgültigkeit, tiefer Trauer und Lähmung und selbstzerstörerischem Verhalten (SVV, Alkohol, Drogen..).

Ich wusste immer, dass etwas mit mir nicht stimmt, nur konnte ich es nie greifen.
Jegliche Nähe zu Menschen strengt mich an, ich fühle mich in Gesellschaft einsamer, als alleine. Zur Ruhe kommen, kann ich nur, wenn ich alleine bin, ansonsten stehe ich den ganzen Tag unter Strom. Es gibt sehr sehr vereinzelt Menschen, bei denen ich mich wohl fühle, ansonsten vermeide ich jeglichen sozialen Kontakt, selbst wenn es bedeutet, dass ich es schwerer habe, das nehme ich gerne in Kauf, wenn man mich dafür in Ruhe lässt.
Ich habe in meinem Beruf als Krankenschwester gelernt, Smalltalk und Blickkontakt zu halten, jedoch strengt mich dass dermaßen an, dass ich verzweifle.
Vor 6 Jahren habe ich meine Tochter entbunden und das erste Mal in meinem Leben Liebe für jemanden empfunden und selbst auch annehmen können. Nach 2 Jahren Elternzeit habe ich wieder begonnen in meinem alten Beruf zu arbeiten und bin aufgrund meiner Fähigkeit zum logischen Denken, schnellen Lösungen und Perfektionismus, in eine Leitungsposition gerutscht, war 8-9 Stunden massiv Menschen ausgesetzt, hatte 200 Überstunden. Ich bin alleinerziehend, habe einen Haushalt etc. und bisher einfach nicht die Zeit (oder die Lust?) mich mit mir zu befassen. Ich dachte nur immer „andere schaffen das auch, also musst du das auch schaffen“.

Aufgrund dieser beruflichen Probleme, gehäuften privaten Problemen und mangelnde Möglichkeit mich zurückzuziehen, hatte ich seit 2014 somatoforme Störungen (Übelkeit/Erbrechen, Durchfall, Herzrasen, Panikattacken, Gewichtsverlust bis 48kg) und wurde schließlich letztes Jahr mit „Depression und Burnout“ krankgeschrieben und befinde mich nun seit 6 Wochen auf Reha für Psychosomatik. Hier hatte ich das erste Mal gezwungenermaßen Zeit, mich mit mir selbst auseinanderzusetzen und mir ist aufgefallen, dass ich meine „Normalo-Maske“ noch ca. 3 Wochen aufrechterhalten konnte, mich der extreme Kontakt zu anderen aber langsam mürbe gemacht hat. Alles was oberflächlich und unpersönlich ist, fällt mir in einer Gruppe nicht so schwer, da ich durch Beobachtung gelernt habe, wie man sich verhält. Ich passe mich meinem gegenüber automatisch an um ja jeglicher Form von Konflikt aus dem Weg zu gehen, weil es bedeuten würde, Gefühle zu zeigen.
Sobald ich mit einer Person alleine bin, bin ich völlig aufgeschmissen und würde am Liebsten panikartig davonrennen, weil derjenige sich auf mich konzentriert und ich am Liebsten einfach in der Masse verschwinden würde. Ich ertrage keine Massage, keinen Frisörbesuch, keine Verabredungen, weil das zu persönlich ist.
Mein Kopf und mein Fühlen passen so gut wie nie zusammen. Meist habe ich auf meinen Kopf gehört, das bisschen Gefühl (wenn’s denn kam) verdrängt und überhört und im Nachhinein gebüßt. Sei es durch körperliche Erkrankungen, oder phasenweise Depression.

Euphorie empfinde ich ausschließlich, wenn ich Drogen nehme, ansonsten fühle ich mich stumpf. Meine Gefühle kann ich nicht benennen, jedoch fällt es mir bei anderen sehr leicht, ihre Gefühle zu lesen.

Nachdem ich mich mit der Diagnose „Depression“ nicht ganz anfreunden konnte, weil ich hier merke, dass eigentlich der Unwille und das Unvermögen in sozialen Kontakten eher das Problem ist, habe ich recherchiert und bin auf die schizoide Persönlichkeitsstörung gestoßen. Es glich einer Erleuchtung mich dort so wiederzufinden. Endlich weiß ich, was mit mir nicht stimmt, endlich kann ich es greifen und benennen und mich damit arrangieren. Als ich meine Therapeuten heute darauf angesprochen habe, hat sie sehr ablehnend reagiert, Diagnosen wären ihre Aufgabe und außerdem „ich erlebe Sie gar nicht so“, ich wäre zu freundlich und könne Blickkontakt halten. Ich bin 31 und lebe jetzt so viele Jahre damit, ich habe Strategien entwickelt und mir Fähigkeiten beigebracht, um zu kaschieren, dass ich nicht „normal“ bin. Die Depression und das „Burnout“ sind in meinen Augen nur Folgeerscheinungen der völlig ignorierten Persönlichkeitsstörung. Ich bin erschüttert über so viel Unverständnis und hoffe darauf, dass ich zuhause einen Therapeuten finde, der mich besser versteht.

Was sagt ihr dazu? Ich bin völlig überfragt.

Vielen Dank im Voraus.
Gruß, Birdy.

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Re: Hilfe meine Therapeutin glaubt mir nicht

Beitragvon tournesol » 12. April 2018, 17:53

Hallo liebe Birdy !
Ich finde es überaus schlüssig, was und wie Du es geschrieben hast !
Ich wünsche Dir von Herzen, dass Du zuhause einen diesbezüglich verständigen Therapeuten findest !

L.G.Tournesol

tiffi

Re: Hilfe meine Therapeutin glaubt mir nicht

Beitragvon tiffi » 12. April 2018, 18:23

Hallo Birdy,

ich kenne das auch, dass man durch seine "Maske" so offen und funktional wirkt, dass Therapeuten
da erstmal auf nichts kommen.

Wobei ich denke, dass Therapeuten, das ja auch im Blick haben könnten, dass man sich anpassen
gelernt hat.
Sie müssen es aber wahrscheinlich trotzdem auch erleben, um es nachvollziehen zu können?

Vielleicht könntest du noch mehr in der Therapie beschreiben, wie so soziale Dinge auf dich wirken?
Ist halt blöd, wenn man quasi automatisch in so Gruppentherapien funktioniert, die anderen
empathisch begleitet usw, und nicht so an "seins" kommt. Kommt mir auch etwas
bekannt vor.

Ich hoffe, dass du da noch hilfreiche Ansprechpartner findest auf dem Therapieweg.

Gruß
tiffi

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Re: Hilfe meine Therapeutin glaubt mir nicht

Beitragvon birdy » 12. April 2018, 18:49

Vielen Dank für Eure schnelle Rückmeldung - das beruhigt mich sehr!

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Re: Hilfe meine Therapeutin glaubt mir nicht

Beitragvon orinoco » 12. April 2018, 22:21

Hallo Birdy,

erst mal herzlich willkommen. Ist ja dein erster Beitrag und dein Einstand hier.

Das was du beschrieben hast, ist fast schon eine "Bilderbuch"-Karriere einer komplexen PTBS und einer lehrbuchmäßigen ACE-Pyramide.
Depression, Burn-Out und Persönlichkeitsstörung sind mMn nur die symptomatische Beschreibung (d)eines Zustands, keine Ursachen,
aber es beruhigt schon, wenn man etwas beim Namen nennen kann. Von einem Verständnis der Ursachen ist man dann aber noch weit entfernt, wie ich aus eigener Erfahrung sagen kann.

Und die verständnislose Therapeutin, das ist für mich auch die typisch emotional "kalte", institutionelle Therapie, die genauso von nichts eine Ahnung hat, aber so tut als hätte sie sie. Dabei ist Verständnis, echtes, ehrliches, empathisches Verständnis genau das was unser einer am meisten braucht. Schlimm genug wenn unser einer eine unheilbare, lebenslange psychische Behinderung hat, die einem vergleichsweise früh das Leben kostet, aber wenn dann auch noch die Mitmenschen und speziell diejenigen von den man sich Hilfe erwartet und die es eigentlich besser wissen müssten, einem mit Unverständnis begegnen, dann ist echt Hopfen und Malz verloren. Das ist für unser eins so als ob ein Rollstuhlfahrer die Treppe runtergeschubst wird und noch hinterher gerufen wird "Lauf doch!".

Wenn du gut logisch denken kannst und mehr über die Ursachen deines Problems erfahren willst, empfehle ich dir die Lektüre meines unten verlinkten Trauma-Blogs. Und als alleinerziehende, berufstätige Mutter mit einem solchen Problem wirst du dich dann vielleicht auch fragen, wie es wohl deiner Tochter in ihrer "kritischen" Zeit ergangen ist.

LG

Orinoco
Verständnis ist für den Traumatisierten, was die niedrige Bordsteinkante für den Rollstuhlfahrer.
t+ - mein Traumablog (nichtkommerziell und werbefrei)
Disclaimer "Lesen auf eigene Gefahr!" - unbedingt lesen!

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Re: Hilfe meine Therapeutin glaubt mir nicht

Beitragvon birdy » 13. April 2018, 09:13

orinoco hat geschrieben:Das ist für unser eins so als ob ein Rollstuhlfahrer die Treppe runtergeschubst wird und noch hinterher gerufen wird "Lauf doch!".


Wow! Guter Vergleich.

Vielen Dank, alles was ihr schreibt hilft mir. Nach 31 Jahren den Mund aufzumachen und ehrlich zu sein, um dann nur ne Klatsche zu bekommen, ist hart. Aber ich gebe nicht auf, dafür habe ich es schon zu lange geschafft ;)
Ich werde mir den Link sehr gerne ansehen. Danke nochmal!

Kalliope
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Re: Hilfe meine Therapeutin glaubt mir nicht

Beitragvon Kalliope » 13. April 2018, 11:09

Hej Birdy,
dieses "man merkt es Ihnen gar nicht an" kenne ich gut.
Es liegt daran, dass man eben sein bisheriges Leben einen riesen Kraftakt vollbracht hat, irgendwie zu kaschieren, dass man "eigentlich" anders ist (in meinem Falle geht es nicht direkt um Schizoidie, aber es ist letztlich egal, um welches "Anderssein" es geht). Und irgendwann läuft das Fass über, wie es Dir nun auch passiert ist und dann bricht das ganze Kartenhaus zusammen.

Ich weiß bis heute nicht, wie man der lieben Umwelt, die mal mehr mal weniger verständlich ist, plausibel klar macht, dass nicht nur auf den ersten Blick Sichtbares o.ä. "Beeinträchtigung" bedeutet. Und ja, leider selbst "Fachpersonal" checkt häufig erst Offensichtliches/Ins Auge Springendes, bisweilen sogar ist das bewusstes Ignorieren oder Bagatellisieren. Ursachen dafür gibt es sicher mehrere.
Man muss dann so lange den richtigen "Partner" bei den Fachmenschen suchen, der dazu passt.

Wünsche Dir alles Gute!
"In Wirklichkeit ist der andere Mensch Dein empfindlichstes Selbst in einem anderen Körper" Khalil Gibran
"Das Ideal einer vollkommenen Gesundheit ist bloß wissenschaftlich interessant. Krankheit gehört zur Individualisierung." Novalis

Themis

Re: Hilfe meine Therapeutin glaubt mir nicht

Beitragvon Themis » 13. April 2018, 13:32

Kalliope hat geschrieben:bisweilen sogar ist das bewusstes Ignorieren oder Bagatellisieren
... oder unbewusstes, weil der Fokus des Therapeuten auf was Anderem liegt. Der sprichwörtliche Tunnelblick ...

@ birdy:
Such doch am besten vor Ort nach jemandem, der auf Persönlichkeitsstörungen spezialisiert ist, falls vorhanden. Der/die sollte Dir dann auch qualifiziert sagen können (hoffentlich), was er/sie bei Dir sieht.

Eine Diagnose an sich ist vielleicht auch gar nicht so zentral, aber eine passende hilft natürlich, auch die richtige Therapieform zu finden. Falls Du eine (S)PS hast, wären Depressionen, Panik etc. ja nur Symptome und deren Behandlung führt nicht wirklich weiter. So beschreibst Du es ja auch. :rätseln:

Wünsche Dir viel Erfolg bei der Suche und guten Austausch hier. :Blümelein:

Was mich noch interessieren würde, da ich auch in der (Alten-)Pflege bin:
Du beschreibst, dass erst die Leitungsfunktion zu den massiven Symptomen führte. Wie war das bei Dir vorher in der "normalen" Pflegetätigkeit, warst Du da mehr bei Dir?
Denn bei mir ist es so (zu meinem großen Erstaunen), dass der Umgang mit den Bewohnern/Klienten mich überhaupt nicht belastet und sozusagen auch nicht unter "soziale Interaktion" fällt. Vielleicht durch die professionelle Distanz. Jedenfalls habe ich da auf Arbeit immer viel "innere" Nähe (sonst klappt es ja auch nicht in der Pflege, die Leute würden das spüren und hätten kein Vertrauen, denke ich) und gehe mit den Leuten ganz entspannt um, aber es tut mir nichts und ich bin nach der Arbeit so locker, als wäre ich allein gewesen.

Nur der Kollegenkontakt stresst mich, weil das sozusagen "echte" und damit anstrengende soziale Interaktion ist. Deswegen bin ich jetzt in die ambulante Pflege gewechselt, wo man weitgehend allein arbeiten kann.
Kennst Du das auch, oder betrifft der innere Stress durch die Leute um einen herum bei Dir auch die Patienten?

Hm, die Psychosomatik ist bei mir immer ganz ähnlich wie bei Dir - Panik mit Herzrasen, Brechen und Durchfall - wenn ich längere Zeit zuwenig Abstand von Menschen beachtet habe ... :winken:
birdy hat geschrieben:Ich dachte nur immer „andere schaffen das auch, also musst du das auch schaffen“.
Diesen Gedanken abzuschütteln, ist ganz schön schwer ... Man muss sich arbeitsmäßig ganz neu definieren.
Aber machbar. Hab ich auch gerade hinter mir. ;)

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Re: Hilfe meine Therapeutin glaubt mir nicht

Beitragvon kritisches_Auge » 13. April 2018, 18:09

Ich finde diese Therapeutin auch sehr verständnislos, sie fertigt dich kurz und barsch ab anstatt nachzufragen.
Zu sagen, Diagnosen zu stellen sei ihre Sache ist ein sehr autoritärer Standpunkt, es geht ja nicht um die Diagnose für die Krankenkasse sondern um ein Sich Finden. Und dass ein Patient sich eine gut funktionierende Persona zulegen kann mit der er agiert, sollte sie wissen.

Sie formuliert Aussagesätze anstatt einfach einmal nur zu fragen.

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Re: Hilfe meine Therapeutin glaubt mir nicht

Beitragvon birdy » 13. April 2018, 21:56

Hey @kritisches_Auge
das nicht fragen und „jetzt erzählen sie mal“ hat mich von Anfang an abgeschreckt. Ich hatte ein Mal einen Ersatztermin bei einer anderen Psychologin und die hat ne halbe Stunde gebraucht, um mich das erste Mal zu knacken und den Stein ins Rollen zu bringen. Das hätte die Andere in keiner einzigen Sitzung geschafft. Leider konnte ich nicht wechseln.

Danke für euren Zuspruch!


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