Kritik an die Demokratie

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Kritik an die Demokratie

Beitragvon Insuffizienz » 22. Juli 2016, 04:05

Gedanken zur parlamentarischen bzw. repräsentativen Demokratie (vorweg sei mir das grammatische Maskulinum - stellvertretend für alle Geschlechter - verziehen, dass ich der Einfachheit halber verwendet habe):

Wie Horst Stowasser in seinem (frei zugänglichen) Buch "Freiheit Pur" im verlinkten Kapitel 7 schon verdeutlicht hat, ist die Demokratie an sich, die Herrschaft des Volkes, entweder redundant und ein Widerspruch in sich oder eine Unterdrückung von Minderheiten, die von der Mehrheit ausgeht. Gesetzt dem letzten Fall wird deutlich, dass eine Gesellschaft, die von Mehrheitsmeinungen beherrscht wird, sicherlich nicht das Attribut „freiheitlich“ verdient.

Mit dem Parlamentarismus sind Parteien gegeben, die das Fundament der Struktur dieser staatlichen Herrschaft sind.
Parteien bieten lediglich „Meinungspakete“ an. Nähmen wir mal an, die Parteien strebten an ihre Wahlprogramme umzusetzen, so bestünde nicht die Möglichkeit meine konkrete Meinung zu einzelnen Themen zu wählen. Als Wähler muss man also irgendwie abwägen zwischen den Meinungspaketen. Es kann gar nicht deutlich werden, welche Meinung die Bevölkerung zu einzelnen Streithemen vertritt.
Hier kommen die Idee der direkten Demokratie bzw. deren Elemente ins Spiel, innerhalb dieser möglicherweise Wahlen zu konkreten Fragen stattfinden. Jedoch scheinen diese seitens der Mächtigen bewusst manipuliert zu sein.
Bspw. das „Brexit-Referendum“ lässt dem Wähler nur zwei Wahlen, also die Frage, ob das Vereinigte Königreich Mitglied in der EU bleiben oder die EU verlassen soll. Das erinnert an „Wahlen“ totalitärer Staaten wie das Deutsche Reich oder die DDR. Am amüsantesten ist da noch der berüchtigte Wahlzettel der Volksabstimmung von 1938 zur Frage des Anschlusses Österreichs an das Deutsche Reich. Der anzukreuzende Kreis (natürlich "vorne", also links als Erstes aufgelistet) für die Wahl „Ja“ ist im Durchmesser mindestens doppelt so groß wie für die Wahl „Nein“.
Jeder kann sich denken, dass es nicht nur zwei Möglichkeiten gibt bei politischen Fragen. Man müsste mehrere Optionen angeben, die verschiedenste Wege darbieten, um wirklich Meinungen des Volkes zu erfassen. Nur zwei Wahloptionen darzubieten ist hochgradig manipulativ und offensichtlicher sowie dreister kann man die Würde eines denkenden Menschen kaum beleidigen.
Daneben gibt es noch die Möglichkeiten Wahlen so oft zu wiederholen bis das Ergebnis den Eliten gefällt.
Das Problem sind also in der direkten Demokratie die konkreten Fragen und Antwortmöglichkeiten. Wer entscheidet diese? Wer erachtet dieses und jenes gerade als wichtiges Thema? Was passiert dann mit dem Ergebnis?
Allein diese Fragen zeigen auf, dass wahrscheinlich kaum die Macht weniger Menschen ganz oben abzubauen ist.

Die repräsentativen Demokratien stellen sog. freie Mandate bereit. Das bedeutet, die (vorweg) gewählten Abgeordneten müssen sich dem Volk gegenüber nicht für ihre politische Arbeit innerhalb ihrer Wahlperiode verantworten. Sie sind, nachdem sie gewählt wurden, „frei“ zu tun, was sie wollen innerhalb des Systems.
Im Grundgesetz heißt es: „[Die Abgeordneten] sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“
Recht absurd gerade auf das Gewissen von Menschen zu vertrauen, die in hierarchischen Systemen ganz nach oben kommen. In Systemen, in denen es vorteilhaft ist für den Aufstieg besonders selbstsüchtig und rücksichtslos gegenüber den Mitmenschen, anderen Lebewesen und der Natur zu sein, besonders schwach ausgeprägtes oder gar kein Einfühlungsvermögen zu besitzen, nur oberflächliche kurzfristig erdachte Ziele zu verfolgen, Machtgeil zu sein und ohne Reue andere zu belügen und zu manipulieren.
Diese Eigenschaften treffen besonders auf Psychopathen zu, welche viel häufiger in den oberen Ebenen von Hierarchien zu finden sind. Dort, wo es Macht gibt. Jedenfalls kann sich jeder auch aus seinen eigenen Erfahrungen ausmalen, dass die beschriebenen Eigenschaften wahrscheinlicher zum Erfolg innerhalb hierarchischer Systeme führen.
Es ist sogar von der Bevölkerung gefragt, dass bspw. Kanzlerkandidaten solche Eigenschaften besitzen. Dann sind sie konkurrenzfähig. Wissen also wie man rücksichtlos nach oben steigt. Das wird sogar als positive Kompetenz angesehen.

Doch auch in dem Falle die Gewählten wären so gewissenhaft und gutmütig wie man es vielleicht kühn daherfantasiert, warum sollte man auf die Idee kommen, ein paar Wenigen die Befugnis zur absoluten Unterdrückung aller zu übergeben?
Für mich ist jedenfalls nichts zweifelloser gewiss als dass die Mächtigen dieser Welt herzlos und rücksichtslos sind und irgendwelchen wahnsinnigen Machtspielen nacheifern.
Wie kann man sich das Leid auf dieser Welt denn anders erklären? Es kann nicht stimmen, dass die meisten Einflussreichen auf diesem Planeten auch nur einen am Durchschnitt liegenden Grad an Einfühlungsvermögen besitzen.

Jedoch weiß wahrscheinlich der Leichtgläubigste heute, dass keine Demokratien auf dieser Welt zu finden sind. Es herrschen lediglich Oligarchien vor - also die Herrschaft ein kleinen Gruppe - die sich als Demokratien bezeichnen.
Die Oligarchen sind die Macht-Eliten, d. h. Politiker, Magnate, also durch unternehmerisch-wirtschaftliche Macht politisch Mächtige und andere über das Kapital Einflussreiche. Nicht zu vergessen seien die Manipulationssysteme, also die Chefetagen in jeglichen Medien.

Die parlamentarische Demokratie ist also eine Oligarchie, eine Zwangsherrschaft. Es wurde nicht gefragt, ob die Menschen mit der Unterdrückung einverstanden sind. Staaten beanspruchen einfach Land für sich und die Bestimmung was der Mensch tun darf und was nicht. Manche dürfen gar nicht erst frei auf das Land der Erde gehen, man darf kaum irgendwo legal in der Natur Zelten oder gar leben. Der Staat bestimmt wem welches Grundstück gehört, wie man solches erhalten kann und was man dort darf und was nicht. Wer sich nicht an die willkürlichen Regeln hält, der wird erst mit indirekter Gewalt (Geldstrafen, d. h. möglicherweise Entzug der Existenzgrundlage) und notfalls mit körperlicher Gewalt durch gewaltbereite Beamte, also die Polizei oder das Militär, an einen anderen Platz verwiesen, vielleicht sogar erschossen oder völliger Freiheit beraubt durch Freiheitsentzug, d. h. Haft.

Das Abstruse jedoch ist, dass die Wähler glauben, Politiker wären überhaupt fähig ihre Sorgen wirklich zu beheben. Es ist dem Kapitalismus schuldig, dass es Verlierer und Gewinner gibt. Der Staat hat sich auf den Kapitalismus eingelassen, es gibt das (private) Eigentumsrecht. Es ist Sache des Systems also, dass Menschen an Armut leiden, es ist so geplant. Hoffen, dass diese etwas daran ändern, ist widersinnig.

Wer seinen Stimmzettel abgibt, der gibt gleichzeitig seine Stimme gegen Frieden und Gewaltfreiheit, gegen Freiheit und gegen Selbstbestimmung an die herrschende Elite ab. Er gibt seine Stimme an den Kapitalismus, damit direkt an die Ausbeute von Menschen. Es kann kein Unternehmen geben, dass nicht die meisten Leute ausbeutet. Solch ein Unternehmen kann nicht bestehen im Kapitalismus, denn es kommt einzig auf den Profit an, nicht auf das Subjekt.

Mit der Stimme verrät man (zumindest augenscheinlich) nicht nur seine Freiheit, insbesondere die der Mitmenschen.
Wer wählen geht, der wählt die Unterdrückung der Gesellschaft und die Zerstörung der Erde.
Nichts beschert und bescherte seit Jahrtausenden der Menschheit und der fühlenden Lebewesen mehr vermeidbares Leid als die zentralistischen und despotischen Zwangsherrschaften, also alle Staaten; nichts der Erde mehr vermeidbaren Schaden als die Staatsgläubigkeit, ohne die der Kapitalismus nicht besteht.

Ich wünsche allen aufmerksamen Lesern noch einen schönen Tag. :-)

https://www.anarchismus.at/texte-anarch ... demokratie

https://www.youtube.com/watch?v=ay7Zvsoc1Yw

Besonders empfehlenswert (man schrecke sich nicht vom etwas verwirrenden Anfang ab):
https://www.youtube.com/watch?v=eG9-rWmkV7s

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Re: Kritik an die Demokratie

Beitragvon orinoco » 22. Juli 2016, 09:54

Dem kann ich nicht viel hinzufügen, außer es noch mal in meine eigenen Worte zu fassen:
* Die sogen. "repräsentative Demokratie" ist keine Demokratie sondern eine institutionelle Diktatur
* Ich gehe schon seit bald 20 Jahren nicht mehr wählen. Der Heizwert eines Wahlzettels übersteigt den seines politischen Wertes bei weitem. Seinen Wahlzettel öffentlich in der Fuzo verbrennen bringt mehr, als ihn in die Urne zu werfen. Man kann auch ein youtube-Video draus machen.
* Ich setze mich schon seit 1993 für echte (direkte) Demokratie ein. Hab dazu auch eine eigene Website (im gleichen "Haus" ;) ). Unendlich viel Stoff für den der sich da mal einarbeiten will, zumal dies auch kein klassischer, sondern eher schizoider Blick auf die (direkte) Demokratie ist.
* Es ist für mich kein Wunder, dass andere Schizoide auf ähnliche Gedanken kommen, denn was Freiheit, Selbstbestimmung und Gerechtigkeit angeht kann die Traumazone ziemlich weit bis in den politischen Bereich hinein reichen. Unfreiheit, Fremdbestimmung und Ungerechtigkeit machen Angst, Stress und unglücklich. Meiner einer, der sich mehr Gedanken um die Welt macht, mehr als ein NT, der seine Hirnaktivität besser unter Kontrolle hat und sich gar nichts dabei denken kann.

---
"Deutschland hat ein unglückliches Volk und glückliche Politiker,
die Schweiz hat ein glückliches Volk und unglückliche Politiker"
Kurt Felix (1941-2012)

Nachtrag (nachdem ich in die youtube-Videos, vor allem das zweite reingeschaut habe): ich finde es immer sehr bedauerlich, dass sich sehr häufig selbst diejenigen, die diese Missstände kritisieren, sich der verlogenen Definition von "Demokratie" der Herrscherelite unterwerfen und diese nicht kritisch hinterfragen. Gerade in solchen intellektuellen Kreise sollte der Begriff des Dekonstruktivismus bekannt sein. Nur wenn's wirklich drauf ankommt, wird er nicht angewendet. Da war das Känguru schon weiter: Neues vom Känguru - Episode 3
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Re: Kritik an die Demokratie

Beitragvon Insuffizienz » 22. Juli 2016, 15:29

orinoco hat geschrieben:* Ich gehe schon seit bald 20 Jahren nicht mehr wählen. Der Heizwert eines Wahlzettels übersteigt den seines politischen Wertes bei weitem. Seinen Wahlzettel öffentlich in der Fuzo verbrennen bringt mehr, als ihn in die Urne zu werfen.

Habe vergessen zu erwähnen, dass die Stimme einen Effekt von 1 zu 60 Mio. hat auf Bundesebene bspw. Also keinen im Grunde.

* Ich setze mich schon seit 1993 für echte (direkte) Demokratie ein. Hab dazu auch eine eigene Website (im gleichen "Haus" ;) ).

Also vertrittst du die Ansicht, es solle ein direkt demokratischer Staat, also eine Herrschaft errichtet werden?

* Es ist für mich kein Wunder, dass andere Schizoide auf ähnliche Gedanken kommen, denn was Freiheit, Selbstbestimmung und Gerechtigkeit angeht kann die Traumazone ziemlich weit bis in den politischen Bereich hinein reichen. Unfreiheit, Fremdbestimmung und Ungerechtigkeit machen Angst, Stress und unglücklich. Meiner einer, der sich mehr Gedanken um die Welt macht, mehr als ein NT, der seine Hirnaktivität besser unter Kontrolle hat und sich gar nichts dabei denken kann.

Ich habe auch das Gefühl, dass gerade Schizoide (überhaupt) ein Gespür für Freiheit und Gerechtigkeit aufweisen.

LG

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Re: Kritik an die Demokratie

Beitragvon AlleinunterMenschen » 22. Juli 2016, 17:35

@Insuffienz:

Ansich stimme ich Dir in Deiner Sicht auf die Demokratie völlig zu. Sie basiert auf Manipulationen, Lügen, Vertuschungen und Unterdrückung der Minderheiten.

Die Frage ist nur, welche Staats-, Regierungs- oder Gesellschaftsform stattdessen funktionieren würde und da sehe ich keine wirkliche Lösung. Alle bisherigen Formen sind früher oder später gescheitert. Am längsten hat sich noch die Monarchie gehalten.

Ich weiß, Du bist ein Anhänger der anarchischen Gesellschaftsform und ich selbst tendiere prinzipiell auch in diese Richtung. Da lässt meine, als Schizoide (und/oder möglicherweise Asperger) vorhandene extreme Sehnsucht nach Freiheit seit Kindertagen grüßen. An Deiner Vermutung könnte also was dran sein.
Dennoch bin ich mir fast sicher, dass auch dieses System in der Praxis komplett scheitern würde. Das Hauptproblem sehe ich darin, dass es dafür mittlerweile einfach viel zu viele Menschen auf viel zu wenig Fläche gibt. Und, dass man es eben nun mal letztendlich immer mit Menschen zu tun hat. Die funktionieren leider ganz und gar nicht so, wie es der Plan auf Papier vielleicht darstellen möchte.

Dazu zitiere ich hier mal einen Beitrag von Dir aus einem anderen Thread rein, der thematisch ja hier dazu passt:

Welchen Sinn sollte die Kontrolle der Mächtigen haben? Das würde auf dasselbe hinauslaufen, denn wer soll die Richtung der Kontrolle bestimmen, was soll kontrolliert werden? Dass die Herrschaft ordentlich funktioniert? Dass die Menschen ordentlich unterdrückt und stets nur vom Aberglauben überzeugt werden, dass Herrschaft Notwendigkeit für ein friedliches Zusammenleben zwischen Menschen ist?
Ich lehne Herrschaft jeder Form (z. B. alle Staatsformen) vollständig ab.

Auch wenn es dann vielleicht keine Herrschenden und Mächtigen mehr gäbe, was sollte denn mit den Personen hinter diesen Positionen passieren, also den Machtgierigen? Die sind ja in einem z.B. anarchischem System nicht einfach verschwunden. Es wird immer Machtgierige geben.
Ich bin der festen Überzeugung, dass es kein friedliches Zusammenleben von Menschen gibt. Hat es nie gegeben (vor allem auf längere Sicht) und es gibt auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass es das in näherer Zukunft geben könnte. Schon gar nicht mit so vielen Menschen auf dem Planeten.

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Re: Kritik an die Demokratie

Beitragvon Indigocat » 22. Juli 2016, 18:01

AlleinunterMenschen hat geschrieben:Auch wenn es dann vielleicht keine Herrschenden und Mächtigen mehr gäbe, was sollte denn mit den Personen hinter diesen Positionen passieren, also den Machtgierigen? Die sind ja in einem z.B. anarchischem System nicht einfach verschwunden. Es wird immer Machtgierige geben.
Ich bin der festen Überzeugung, dass es kein friedliches Zusammenleben von Menschen gibt. Hat es nie gegeben (vor allem auf längere Sicht) und es gibt auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass es das in näherer Zukunft geben könnte. Schon gar nicht mit so vielen Menschen auf dem Planeten.


Völlig richtig. Außer es gelänge jemanden, den ganzen Haufen unter Kontrolle zu bringen, natürlich auf friedliche Art und Weise. Was nicht geschehen wird.

Für Autonomie wäre nur eine Handvoll Schizoide geeignet, und auch von denen auch nicht alle.
Geniale Menschen sind selten ordentlich, Ordentliche selten genial. A. Einstein

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Re: Kritik an die Demokratie

Beitragvon orinoco » 22. Juli 2016, 21:21

Insuffizienz hat geschrieben:
orinoco hat geschrieben:* Ich setze mich schon seit 1993 für echte (direkte) Demokratie ein. Hab dazu auch eine eigene Website (im gleichen "Haus" ;) ).

Also vertrittst du die Ansicht, es solle ein direkt demokratischer Staat, also eine Herrschaft errichtet werden?


Wie man's nimmt. Ich bin vor allem dafür diesen diktatorischen Unrechtsstaat in einem (direkt-)demokratischen Rechtsstaat zu verwandeln und das mit einem systempolitischen Modell was sowohl theoretisch durchdacht als auch empirisch erfolgreich getestet wurde. Ob man das nun "Herrschaft" nennt, ist für mich zweitrangig. Es geht um die staatliche Regelung des Zusammenlebens. Wichtiger ist mir den derzeitigen Staat nicht mehr als Demokratie sondern als Diktatur zu bezeichnen.
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Re: Kritik an die Demokratie

Beitragvon Insuffizienz » 22. Juli 2016, 21:27

AlleinunterMenschen hat geschrieben:Ich bin der festen Überzeugung, dass es kein friedliches Zusammenleben von Menschen gibt. Hat es nie gegeben (vor allem auf längere Sicht) und es gibt auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass es das in näherer Zukunft geben könnte. Schon gar nicht mit so vielen Menschen auf dem Planeten.

Das ist schonmal faktisch völlig falsch. Wieso behauptest du so etwas, wenn du keine historischen, ethnologischen Belege recherchierst? ;-D
Der Mensch hat in vorgeschichtlichen Zeiten wahrscheinlich vollständig anarchisch gelebt (Staatsentstehung (wikipedia)). Wie der Staat entstanden ist wäre die interessante Frage. Es gab sogar in den letzten Jahrzehnten noch Naturvölker, die anarchistisch gelebt haben (afrikanische Sans , südamerikanische Reche-Mapuche, um konkrete Beispiele zu nennen).
Bei dieser Frage merkt man schon den eingeschränkten Horizont des Menschen, weil er nichts anderes kennt als jegliche Form der Unterdrückung, aus der nahen Historie und aus seiner Zeit.
Vor allen Dingen reine Bauern- oder Jägervölker waren friedliche, anarchische Gesellschaften. Hirten- und Seefahrts-Völker meist grundsätzlich herrschaftlich organisiert und haben andere unterjocht. (s. Unterwerfungstheorie, oder allgemein Der Staat von Franz Oppenheimer)
Diese Beschreibungen basieren auf ethnologische und damit auch historische Befunde.
Damit basiert "Am längsten hat sich noch die Monarchie gehalten." auf keiner Grundlage.

Dennoch bin ich mir fast sicher, dass auch dieses System in der Praxis komplett scheitern würde.

Es gibt nicht ein Gesellschaftssystem für die Anarchie. Als Beispiel dienen der Kommunismus nach Marx oder die historischen segmentären anarchischen Stämme.
Es steht jedem frei verschiedenartigste Ansätze zu überlegen und mit anderen irgendwie auszuprobieren. Wahrscheinlich gibt es davon schon genug, wenn man suchen würde.
Du hast wahrscheinlich nie einen Versuch der Anarchie gesehen, kein "Volk", dass dieses Ziel erstrebt.
Als Beispiel möchte ich die weitestgehende Anarchie Kataloniens und Andalusiens nennen, 1936-39 während des Spanischen Bürgerkriegs. Zu der Zeit florierte die Kultur absolut unfassbar, sogar die Wirtschaft. Natürlich wurde dieser Versuch durch den Faschisten Franco zerschlagen.

Und heute besteht sogar ein ähnlicher Versuch, jedoch geschwächt durch Kriegsgegner in Rojava, Nordsyrien, der sog. Demokratische Konföderalismus.

Bürgerkriege und Kriege allgemein bzw. Zeiten danach bieten immer die Chance für neue Gesellschaftsformen, wie auch die Anarchie. Genauso die Gefahr, dass diese genau dann bekämpft werden.
Es wäre mal interessant mit einem Generalstreik o. Ä. gewaltfrei etwas zu bewirken. Hier kann man natürlich sagen, dass es prinzipiell ausgeschlossen ist. Man kann natürlich immer behaupten, dass Neues nie entstehen kann, weil man's nicht kennt.

Ich sehe persönlich also keinen Anlass prinzipell den Libertarismus als unrealistisch abzutun, insbesondere ohne sich überhaupt informiert zu haben. Man kann z. B. aus diesen Gegebenheiten lernen, Neues entwickeln, diese Konzepte an die Öffenlichkeit bringen, eine Bewegung starten etc.

Es wird immer Machtgierige geben.

Das muss gar nicht stimmen. Z. B. in der etablierten Anarchie könnte solch ein Bedürfnis vielleicht kaum aufkommen. Es muss einen Grund geben, warum Bauern- und Jagd-Völker tendenziell nicht zu Herrschaften führen.
Selbst wenn, wie schon erwähnt wurde, könnte man es vielleicht schaffen ein System zu errichten, in dem man gegen solche Menschen verteidigt ist bzw. ist es ja auch möglich eine anarchische Gemeinschaft zu bilden, die sich vor allen Dingen militärisch zusammentut, falls sie von Herrschern und deren Untertanen angegriffen wird.
Zuletzt geändert von Insuffizienz am 22. Juli 2016, 21:53, insgesamt 1-mal geändert.

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Re: Kritik an die Demokratie

Beitragvon Insuffizienz » 22. Juli 2016, 21:35

orinoco hat geschrieben:
Insuffizienz hat geschrieben:
orinoco hat geschrieben:* Ich setze mich schon seit 1993 für echte (direkte) Demokratie ein. Hab dazu auch eine eigene Website (im gleichen "Haus" ;) ).

Also vertrittst du die Ansicht, es solle ein direkt demokratischer Staat, also eine Herrschaft errichtet werden?


Wie man's nimmt. Ich bin vor allem dafür diesen diktatorischen Unrechtsstaat in einem (direkt-)demokratischen Rechtsstaat zu verwandeln und das mit einem systempolitischen Modell was sowohl theoretisch durchdacht als auch empirisch erfolgreich getestet wurde. Ob man das nun "Herrschaft" nennt, ist für mich zweitrangig. Es geht um die staatliche Regelung des Zusammenlebens. Wichtiger ist mir den derzeitigen Staat nicht mehr als Demokratie sondern als Diktatur zu bezeichnen.

Warum willst du, dass die Menschen unterdrückt werden? Warum willst du ihnen nicht die Wahl lassen, daran teilnehmen zu können oder nicht?

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Re: Kritik an die Demokratie

Beitragvon Insuffizienz » 22. Juli 2016, 21:50

Fun fact: http://www.herbert-quandt-stiftung.de/files/publications/autoritaet_in_deutschland_thomas_petersen_43_9ddfd7.pdf, S. 33 Grafik 12 und 13

Es wird den Befragten einer Umfrage die Frage gestellt: „Hier stehen einige Einrichtungen und Berufsgruppen. Bei welchen davon
würden Sie sagen ...“
und im Falle "deren Wort zählt für mich" bei der Gruppe Politiker oder Parteien glauben tatsächlich 1 %, dass es zutrifft (falls ich die Tabelle richtig interpretiere).
:D
Wundert mich, dass dann höchstens ein Anflug von Aufbegehren der Unterdrückten hier vorherrscht. Was für eine Basis wäre die "Demokratie" dann? Also falls man glauben würde, die würden einem helfen können und dem Kapitalismus an sich ist nicht systemimmanent, dass es Verlierer und Gewinner gibt, aber machen es sowieso nicht...

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Re: Kritik an die Demokratie

Beitragvon AlleinunterMenschen » 22. Juli 2016, 22:28

Insuffizienz hat geschrieben:Der Mensch hat in vorgeschichtlichen Zeiten wahrscheinlich vollständig anarchisch gelebt (Staatsentstehung (wikipedia)). Wie der Staat entstanden ist wäre die interessante Frage. Es gab sogar in den letzten Jahrzehnten noch Naturvölker, die anarchistisch gelebt haben (afrikanische Sans , südamerikanische Reche-Mapuche, um konkrete Beispiele zu nennen).
Bei dieser Frage merkt man schon den eingeschränkten Horizont des Menschen, weil er nichts anderes kennt als jegliche Form der Unterdrückung, aus der nahen Historie und aus seiner Zeit.
Vor allen Dingen reine Bauern- oder Jägervölker waren friedliche, anarchische Gesellschaften. Hirten- und Seefahrts-Völker meist grundsätzlich herrschaftlich organisiert und haben andere unterjocht. (s. Unterwerfungstheorie, oder allgemein Der Staat von Franz Oppenheimer)
Diese Beschreibungen basieren auf ethnologische und damit auch historische Befunde.
Damit basiert "Am längsten hat sich noch die Monarchie gehalten." auf keiner Grundlage.

Ok, ich gebe zu, ich habe mich auf größere Gesellschaften bezogen. Dass es in vorgeschichtlichen Zeiten, bei indigenen Völkern oder kleineren Gemeinschaften anarchisches Zusammenleben gab und gibt, das weiß ich. Ich meinte damit, dass das auf größere Gesellschaften wie z.B. Deutschland (oder gar weltweit) bezogen nicht funktionieren wird und es das in dem Umfang auch bisher nicht gab.

Insuffizienz hat geschrieben:Es gibt nicht ein Gesellschaftssystem für die Anarchie.

Das weiß ich. Der Einfachheit halber habe ich die verschiedenen Strömungen unter dem Gesamtbegriff zusammengefasst. Sonst ginge das doch etwas sehr ins Detail.

Insuffizienz hat geschrieben:Du hast wahrscheinlich nie einen Versuch der Anarchie gesehen, kein "Volk", dass dieses Ziel erstrebt.
Als Beispiel möchte ich die weitestgehende Anarchie Kataloniens und Andalusiens nennen, 1936-39 während des Spanischen Bürgerkriegs. Zu der Zeit florierte die Kultur absolut unfassbar, sogar die Wirtschaft. Natürlich wurde dieser Versuch durch den Faschisten Franco zerschlagen.

Gesehen noch nicht, aber von diesen anarchischen Gemeinschaften in Spanien zu dieser Zeit weiß ich. Nur, warum gibt es sie nicht mehr? Weil sie, wie Du ja selbst schreibst, zerschlagen wurden. Von wem? Von Machtgierigen (Franco). Es hat also nicht funktioniert - auf eine breite Bevölkerung und auf lange Sicht bezogen. Wie gesagt, es gibt immer Machtgierige. Und ihre Anhänger.

Insuffizienz hat geschrieben:Und heute besteht sogar ein ähnlicher Versuch, jedoch geschwächt durch Kriegsgegner in Rojava, Nordsyrien, der sog. Demokratische Konföderalismus.

Ideen und Versuche wird es wahrscheinlich immer geben. Aber die Umsetzung - dauerhaft, stabil, von anderen toleriert und akzeptiert - daran kann ich nicht glauben.

Insuffizienz hat geschrieben:Ich sehe persönlich also keinen Anlass prinzipell den Libertarismus als unrealistisch abzutun, insbesondere ohne sich überhaupt informiert zu haben. Man kann z. B. aus diesen Gegebenheiten lernen, Neues entwickeln, diese Konzepte an die Öffenlichkeit bringen, eine Bewegung starten etc.

Das will ich Dir auch gar nicht absprechen. Und wenn Du im Kleinen auch damit zufrieden bist, dann hast Du ja vielleicht auch realistische Chancen.

Insuffizienz hat geschrieben:Das muss gar nicht stimmen. Z. B. in der etablierten Anarchie könnte solch ein Bedürfnis vielleicht kaum aufkommen. Es muss einen Grund geben, warum Bauern- und Jagd-Völker tendenziell nicht zu Herrschaften führen.

Ich persönlich denke, und dafür habe ich keine Beweise, dass es an der eben geringeren Anzahl von Menschen liegt, die in der Form zusammen leben, dass es mitunter funktioniert. Da ist es auch viel einfacher, Einzelne auszumachen, die Anstalten machen, eine Führungsrolle einzunehmen und diese dann entsprechend aufzuhalten (oder zu verbannen, wie das bei Naturvölkern ja z.B. der Fall ist). Aber im größeren Stil, bezogen auf ein ganzes Land bzw. Volk wäre das viel zu komplex.

Ich persönlich sehe die beste Chance, halbwegs (!) frei zu leben in der Einsiedelei. Natürlich ebenfalls nicht umsetzbar für ein ganzes Volk oder die Menschheit im Allgemeinen. [;)]


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