Armut und Tafeln

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Nebeltal
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Re: Armut und Tafeln

Beitragvon Nebeltal » 29. Oktober 2014, 10:42

Es bringt viel, denn alles im Leben ist eine Sache der Perspektive. Wenn man immer nur darauf schaut was man nicht hat und immer nur auf diejenigen die mehr haben, wird man nicht glücklich. Viele Menschen die Behinderungen oder schweren Krankheiten erliegen schaffen das. Der Grund warum es von Armut betroffenen wahrscheinlich weniger gelingt liegt wohl daran, dass Armut als etwas selbstverschuldetes gesehen wird, während eine Krankheit eher als Schicksalhaft angesehen wird.
Es ist einfach ein guter Psychologischer Trick, der vor allem Depressiven helfen kann. Aber auch jedem in schwierigen Lebenssituationen.

Ceytlin
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Re: Armut und Tafeln

Beitragvon Ceytlin » 29. Oktober 2014, 11:54

Das ist zu simpel gedacht. Nach deiner Theorie dürfte ich gar nicht depressiv sein, da ich mir sehr wohl vor Augen halte, was ich habe und nicht die ganze Zeit darüber nachgrüble, woran es fehlt. Zum Wesen einer Depression gehört unter anderem auch, dass es einem ohne Grund schlecht geht und man dafür keine Erklärung hat, was oft auch noch zu Selbstvorwürfen führt, die die Depression verstärken, eben weil man weiß: Eigentlich passt doch alles, ich kann mir nicht erklären, warum ich so niedergeschlagen bin.

Hier also zu behaupten, einmal in die psychologische Trickkiste zu greifen, zu schauen was alles toll ist im Leben und wie schlecht es anderen geht, könnte bei Depressionen oder in schweren Lebenssituationen helfen, ist sehr kurz gedacht und zeugt zum einen von einer nicht ausreichenden Kenntnis bezüglich des Wesens der Depression und zum anderen von einer fatalen Pauschalisierung, denn bei manchen Menschen kann es sogar kontraproduktiv sein, wenn sie daran denken, dass es anderen viel schlechter geht, weil sie das aufgrund von Empathie für das Leid der anderen nur noch mehr runterzieht, weil sie an der Schlechtigkeit der Welt verzweifeln. Und indem du sagst, dass es anderen ja noch schlechter geht machst du nichts anderes als dem einzelnen sein Recht auf Leiden abzusprechen, du sagst ihm damit, dass er das gar nicht darf, das kann je nach Person genau das Gegenteil von dem bewirken, was du behauptest, nämlich die Selbstvorwürfe verstärken und damit auch die Depression.

Ja, es hilft auch auf die positiven Dinge zu schauen, und es wird oft empfohlen, zum Beispiel jeden Tag drei schöne Dinge aufzuschreiben. Das ist aber etwas ganz anderes als der fatale psychologische Trick von dem du oben schreibst, denn das dient dazu, zwischen all dem eigenen Leid auch die schönen Dinge, die Lichtpunkte zu entdecken und auch für sich selbst vielleicht zu lernen, was einem hilft, dass es einem besser geht, etwa wenn man sehr oft dasselbe aufschreibt, das man schön fand, und es hilft das Positive im eigenen Leben wiederzuentdecken. Das ist durchaus sinnvoll, da es ein Stück weit Hilfe zur Selbsterkenntnis und Selbsthilfe ist und den Blick dafür schärft, dass es auch in dunklen Zeiten Licht gibt.

Das was du aber machst, die Forderung mit anderen, denen es schlechter geht zu vergleichen mag für einige wenige Menschen funktionieren. Bei einer echten Depression, für die es oft gar keine wirkliche erkennbare Ursache gibt und die auch Menschen treffen kann, die nicht von sich behaupten würden, dass ihnen etwas fehlt im Leben und sie zuvor Schwarzmaler waren, hilft es aber kein Stück, es befördert Selbstvorwürfe und kann sogar dafür sorgen, dass man sich keine Hilfe sucht, weil man meint man habe kein Recht zu leiden, also auch kein Recht, Hilfe zu beanspruchen, weil andere sie mehr brauchen, und es kann die Angst befördern, dass der Arzt einen nur auslacht, weil man ja keinen Grund hat depressiv zu sein. Eine Depression ist eine ernste Krankheit, die du mit deiner Rede vom psychologischen Trick schlichtweg abqualifiziert, weil du es so darstellst, als würden nur Schwarzmaler depressiv sein und seien damit selbst schuld, denn würden sie mal zu schätzen wissen, dass sie ein Klo und ne Heizung im Haus haben, wären sie auch nicht depressiv.

Gerade bei Depressionen ist es eben nicht nur eine Sache der Perspektive, sie kann auch Menschen treffen, die kleine Dinge zu schätzen wissen und nicht ständig daran denken, was sie nicht haben. Aber durch solche Aussagen wie du sie triffst fühlen sie sich schuldig! Und das obwohl sie oft gar nichts dafür können, eine Depression zu bekommen!
Zuletzt geändert von Ceytlin am 29. Oktober 2014, 18:38, insgesamt 2-mal geändert.

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Re: Armut und Tafeln

Beitragvon Nebeltal » 29. Oktober 2014, 15:31

Den Satz genau lesen "..bei Depressionen helfen kann".
Dass natürlich noch andere Maßnahmen dazu gehören ist unbestritten. Verstehe auch gar nicht warum man da so Defensiv reagieren muss und sich erstmal 5 Absätze lang rechtfertigt.

Ceytlin
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Re: Armut und Tafeln

Beitragvon Ceytlin » 29. Oktober 2014, 18:20

Ich habe weder defensiv reagiert, denn ich habe mich keineswegs verteidigt, dazu müsste ich mich erstmal persönlich angegriffen fühlen, sodass ich einen Grund sehen würde, mich zu verteidigen. Ebenso wenig habe ich mich gerechtfertigt, da ich keinen Grund sehe, mich Dir gegenüber zu rechtfertigen. Ich habe allgemein über die Depression geschrieben und darüber, warum ich den von dir beschriebenen psychologischen Trick für destruktiv halte. Meine Situation habe ich dabei nur eingangs und später beiläufig formuliert, ansonsten aber allgemein geschrieben und daher auch Formulierungen wie "je nach Person" verwendet. Das als Verteidigung oder Rechtfertigung meinerselbst zu interpretieren ist ein Missverständnis.

Deinen Satz habe ich sehr wohl genau gelesen, auch mit dem einschränkenden "kann". Zuvor hattest du aber allgemein geschrieben, dass es viel bringt, und im letzten Satz meintest Du wörtlich, es könne "jedem" in schwierigen Lebenssituationen helfen, zudem meintest Du dass er "vor allem" Depressiven helfen kann. Genau das habe ich bezweifelt, ebenso wie ich bezweifle, dass es in der von Dir beschrieben Form bei wirklichen Depressionen (und nicht einfach nur schlechter Laune) wirklich helfen kann, sondern nur in der konstruktiven, auf das eigene Leben und die eigene Person bezogenen Form, wie sie auch in der Psychotherapie vermittelt wird. Und damit ist eben nicht gemeint, daran zu denken, dass es anderen noch schlechter geht.

Im Übrigen bin ich nicht "man", sondern ich. Und wie kurz oder lang ich schreibe bleibt allein mir überlassen.

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Beitragvon sdsdsdsv » 18. November 2014, 16:56

[align=justify]Beitrag im Deutschlandradio:

BILANZ NACH ZEHN JAHREN
Hartz IV war ein Reinfall - Die Folgen von Gerhard Schröders Reformprojekt
Von Christoph Butterwegge[/align]

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Re: Armut und Tafeln

Beitragvon Isabella » 18. November 2014, 21:58

Danke sdsdsdsv für den Artikel.
Er ist so treffend formuliert!
Aber das Schicksal der Benachteiligten, der Verlierer dieser Reform interessiert die Mächtigen in diesem Land eher nicht.
"Geld regiert die Welt"....
Leider.
Momentan noch.
Ich hoffe dass sich das irgendwann ändert.
Aber ich glaube nicht, dass ich das erlebe.
Wir sind alle Engel mit nur einem Flügel -
um fliegen zu können, müssen wir uns umarmen.

Luciano De Crescenzo
Das Lächeln, das Du aussendest, kehrt zu Dir zurück.
Indisches Sprichwort

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Re: Armut und Tafeln

Beitragvon Zarathustra » 20. November 2014, 16:02

@Knallschnute:
Was und wie du schreibst, berührt mich wirklich sehr. Danke! :winken:

@Offtopic:
Nebeltal & Ceytlin: Ihr habt wohl beide Recht. Wobei: Ich kann "das gute Hervorheben" und "mich an dem Elend anderer aufwerten" nicht gleichsetzen. Das ist etwas anderes. Ich würde einem an Depressionen Leidenden raten, sich überhaupt nicht mit anderen zu vergleichen. Allein schon deshalb, weil das niemand können kann. Ich habe meine Depression überstanden, bin - keine Frage - emotional instabil, doch habe mir bestimmte Mechanismen angeeignet, mich vor Melancholie zu schützen. Der oder die Gründe für eine Depression mögen nicht ersichtlich sein - sie ist eine dauerhafte Krankheit - das heisst aber nicht, dass es keine gibt.

Ich bin nun nicht der Typ, der einen Menschen, der schnell plappert und versucht, mich zu manipulieren, als "dominant" bezeichnen würde. Selbst mit einer Waffe bedroht zu werden lässt immer noch etwas Platz für meine Entscheidung - ich kann, aber muss mich dem nicht Unterordnen! Was für mich dominant ist: ein Meteroid schlägt auf die Erde ein oder... ich muss Geld verdienen, um den Energiekonzern zu füttern, damit ich eine warme Bude habe und im Winter nicht erfriere. Geld ist dominant. Selbst 'Aussteiger' müssen einen 'Anschluß' bezahlen, auch wenn sie den nicht nutzen. Das ist im Gesetz verankert. Und wenn ich wenig Geld habe, dann nagt das an mir - auch wenn ich es verdränge: Es beeinflusst mich, ob ich will oder nicht!

Ich war mal wohnungslos, nicht obdachlos, habe also nicht draußen geschlafen - habe aber mitgekriegt: Beim ersten Frost gibt es immer Tote! Und ohne ihre Finanzlage zu verdrängen, würden die meisten Armen nicht überleben, behaupte ich einfach mal. Gleichzeitig ist das ihr Ticket in die Depression oder ein Stück mehr "Scheisse", die in ihnen "lebt". Als ob man neben einem Wolfsrudel schläft. Sie haben noch nie angegriffen, aber... ab und zu hört man sie, wie sie den Mond anheulen und dann wird einem doch mulmig.

Tote Obdachlose - Hilflos auf der Straße gestorben

Finde den Artikel vom Kulturradio auch sehr gut. :begeistert:

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Re: Armut und Tafeln

Beitragvon Inselgruppe » 30. April 2016, 15:45

Vllt besteht ein Zusammenhang zwischen individuellen Lebenssituationen,
individueller Gesundheit und den allgemeinen Bedingungen, unter denen Bürger leben.

Habe meinen vorhergehenden Beitrag gelöscht.

Das Thema wirft die richtigen Fragen auf.


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