Ghostvoice hat geschrieben:Mich würde die Äußerung dieser Abgrenzungsproblematik interessieren, am besten anhand eines Beispieles vielleicht?
Man trifft auf jemanden und... was genau empfängt man, das sich so schwer abgrenzen lässt? Sind es Emotionen? Oder tatsächliche Sinneswahrnehmungen?
Das ist von allem etwas, würde ich sagen.
Ein Beispiel, letzte Woche hatte ich einen Termin bei meiner Therapeutin. Zu Beginn sagte sie, sie müsse sich kurz was zu trinken holen. Daraus wurden dann fast 10 Minuten. Das fand ich eigentlich ärgerlich, da ich viel besprechen wollte. Als sie nun wieder kam, erklärte sie mir gleich, dass sie heute einen sehr anstrengenden Tag gehabt hätte ohne Pause bisher und dass sie kurz einmal durchatmen musste, wir müssten aber trotzdem pünktlich Schluss machen, weil sie danach zu einem externen Termin fahren müsse. (Ich muss dazu sagen, dass ihr Verhalten sonst anders ist!) Was ich nun plötzlich wahrnahm und was quasi alle anderen Gefühle überdeckte / ersetzte, war einerseits das Gefühl erschöpft zu sein - im Sinne einer körperlichen Wahrnehmung, Verständnis haben zu wollen für mein Ruhebedürfnis und das Gefühl, ich müsse mehr an mich denken und mir Erholungsphasen gönnen. Diese plötzliche "Invasion der Empfindungen" und der gleichzeitige völlige Verlust meiner eigenen Empfindungen dabei stürzte mich in eine ziemliche Verwirrung, die ich nur irgendwie überspielen konnte, indem ich darauf quasi überhaupt nicht einging, sondern mich in den "sicheren" - weil strukturierten und bekannten - Teil der Therapiestunde rettete. Die Verwirrung blieb allerdings auch nach Ende der Stunde bestehen, die nächsten Tage hatte ich wieder mehr mit Mißtrauen und Rückzugsgedanken gegenüber der Therapeutin zu kämpfen im Sinne von "sie ist unberechenbar wie sowieso alle anderen Menschen auch" "sie ist mir zu nah, ich muss sie wieder weiter zurückdrängen in dem ich sie abwerte" usw. In diesem Fall hat es 3 (!) Tage gedauert, bis ich meine eigenen Empfindungen, die ich in der konkreten Situation hatte, wieder sozusagen aufdecken konnte, nämlich: Es ist nicht mein Problem, wenn sie einen anstrengenden Tag hatte, es ist nicht in Ordnung, dass sie mein Verständnis vorraussetzt und mir ungefragt meine Zeit beschneidet nur weil sie in ihren Terminplan keine Pausen für sich einbaut. Und dass ich nebenbei durch diese Umstände das diffuse Gefühl hatte, nicht willkommen zu sein.
Immerhin habe ich es geschafft, diese Dinge dann in der nächsten Stunde anzusprechen.
Dies ist ein konkretes Beispiel, aber dieser Mechanismus setzt eigentlich in jedem persönlichen Kontakt ein und ist oft auch schwer zu durchschauen.
jeAR hat geschrieben:Menschen sind schlicht zu einnehmend, wirken sich zu verwerfend auf mein Inneres aus als dass ich im Kern bei mir Selbst sein könnte.
Besonders erniedrigend sind andere Menschen in einer großen Anzahl, die Präsenz dieser Menschen selbst scheint auf mich einen krassen Verlust an Vitalität und Freude auszuüben.
Ja, wenn mehrere Menschen gleichzeitig in meinem Umfeld sind und wenn da womöglich auch noch Spannungen untereinander herrschen, dann ist das "Empfindungschaos" perfekt. Nicht weil sie irgendetwas von mir erwarten, sondern einfach schon die Anwesenheit reicht aus, "zwingt" mich sozusagen in mich selbst zurück.
Auch Streit ist sehr schwierig, da sind die Empfindungen des Anderen regelrecht übermächtig. Und da sie dann meine eigenen überdecken und sich quasi wie meine anfühlen, ist es dann doppelt schwierig, dagegen "anzugehen". Hat sowas von einer "lose/lose" Situation: Entweder ich fühle mich schlecht, weil ich nachgebe und meine Interessen nicht vertrete, oder es geht mir schlecht, weil es dem anderen schlecht geht. Aber das ist noch ein anderes Thema.
Gruß
Bernstein