sina hat geschrieben:Im Prinzip wäre es denkbar, dass jemand wahnsinnige Angst davon hat, Gefühle zu zeigen, aber sie zu haben ist kein Problem (zumindest dann, wenn man für sich ist).
Ja, so geht es mir zum Beispiel. Auch wenn diese Angst als solche nicht für mich sichtbar im Vordergrund steht. Aber sie zeigt sich durchaus in anderen Formen und ich kann sie in Reflektion guten Gewissens als solche benennen. Manche Gefühle rücken erst zu Hause in geschützter Athmosphäre nach, nehmen sich ihren Raum dann unter dem Einfluss von Musik oder in Auseinandersetzung mit irgendwas. Dann bin ich plötzlich für eine Zeit übermäßig gerührt, oder traurig, oder glücklich und genieße es, das zu erfahren. Exklusive Panik oder Depression.
sina hat geschrieben:Etwas ganz anderes ist es, wenn man tatsächlich vor seinen eigenen Gefühlen Angst hat. Gerade heute ist mir das bei einer Person passiert, die aktuell um jemanden trauert und Angst hat, dass Dinge in der Umwelt sie wieder an den Verlust erinnern und damit die Gefühle wieder aufleben lassen.
Habe etwas Vergleichbares zuletzt vorgestern Morgen erlebt. Liebe Menschen ziehen Weg von hier und das Kind der Familie (mir augenscheinlich ans Herz gewachsen) ist mit den Großeltern schonmal einen Tag früher abgereist. Mir war gar nicht klar, was oder das überhaupt mit mir machen könnte. Wir standen draußen am Auto und haben sie verabschiedet. Alles wäre ok gewesen, aber ich wurde in der Situation auch noch von einem Beteiligten kumpelhaft angesprochen und berührt. (Dummerweise wussten alle Beteiligten im Ansatz um meine letzten Krisen und treten unheimlich freundlich und wohlmeinend auf - hab mich gefühlt wie ein Plakat meiner selbst). Ich war innerlich kurz davor, zu explodieren und bin dann ohne Worte weg (konnte gar nichts tun gegen diesen Impuls) weil mir unter diesen Umständen Tränen in die Augen gestiegen sind
. Wäre ja objektiv auch völlig ok in diesem Moment zu weinen, aber ich glaub ich hatte einerseits Angst dabei "was größeres" emotional zu erinnern und anzuhaften, und steckte andererseits in der Klemme, meinen Schutz vor der Erinnerung durch die Nähe und Zuwendung Anderer zu verlieren.
sina hat geschrieben:Das kann dann im Extremfall dazu führen, dass man seine Gefühle nicht mehr wahrnimmt oder sogar dazu, dass man tatsächlich kaum Gefühle hat. Aber tatsächlich kaum Gefühle haben kommt bestimmt eher selten vor. Das ist ja extrem wider der menschlichen Natur.
Ich denke der Begriff "Gefühle Haben" ist sprachlich etwas irre führend. Manche denken wenn sie das lesen vielleicht, es würde bedeuten, dass man beim "haben" etwas empfindet, es total-identifizierbar kommuniziert und auch kognitiv zuzuordnen bzw. zu beschreiben weiß, am besten alles gleichzeitig. Andere meinen vielleicht, Eine augenblickliche Empfindung wertfrei wahrzunehmen, sei das "gehabte Gefühl" usw.......
So kann ich selbst z.B. völlig verwirrt wirken oder auch sehr kühl und distanziert, obwohl in mir (siehe oben) eine Trauer oder eine Angst wütet, die ich gar nicht als solche verstehe. Dennoch fühle ich, es kommt nur sehr komplex verbaut heraus, so dass weder ich noch jemand anders es als "gehabtes Gefühl" erkennen kann. Auf den Psychosomatische Wegen, auf denen man ja auch noch verarbeitet, kann es sich genauso deutlich-undeutlich abbilden, was man fühlt, oder gefühlt hat.
sina hat geschrieben:Und wenn man seine Gefühle nicht mehr wahrnimmt oder sie chaotisch hin- und herschwanken, ist die Frage, wie man funktionieren soll (...). Man kann sich dann nicht mehr auf sein "Bauchgefühl" verlassen, was für viele Entscheidungen nötig ist. Und muss sich ggf. gegen sein Bauchgefühl entscheiden. Das war meine Ausgangsfrage.
Hmm, ja und nein finde ich.
Wenn ich ins Schwanken gerate, in die Wolke aus mich überlagernden Zuständen, verbauten Gefühlen Und Bedürfnissen, dann hab ich auch keinen guten Zugriff zu meinem Bauchgefühl. Entscheidungen, sind in diesem Moment also leider nicht möglich. Nichts was ich tu, fühlt sich dann nach einer Entscheidung an. Was nicht heißt, dass sich eine Handlung wider meinen vordegründigen Bedürfnissen nicht ggf. positiv entwickeln kann.
Zum Beispiel wenn ich für eine Zeit zu sehr das Gefühl hatte, missverstanden zu werden/ mich aus Gründen gegenüber einem Menschen nicht richtig sichtbar machen konnte. Dann muss ich mich schon zwingen, den Kontakt wider meinen eigenen Ängsten aufzunehmen, was dann irgendwie im Moment des Anrufs oder Treffens etc. zu einer tatsächlichen Entscheidung, also ein Teil von mir wird. Aber irgendwas stachelt einen ja überhaupt zu Ideen an, so eine Art Bauchgefühlfunken vielleicht. Bei mir hat es sich schon gelohnt dem nachzugehen, teils hab ich mich auch heillos selbst überfordert.
Weiß nicht, wie das bei Dir läuft, ob auch so unterschiedlich oder phasenweise oder überhaupt und
ich weiß wirklich nicht, wieviel davon mit SP zu tun hat, aber z.B. so tritt es bei mir in Erscheinung.
[spoil]Das ich mein Bauchgefühl gar nicht mehr wahrnehmen kann merke ich daran, dass ich nur noch Muster abspulen kann und Entscheidungen treffe, die nicht annähernd meinen Bedürfnissen entsprechen. Einkaufen gehen geht gar nicht in so einem Zustand, das Bedürfniss zu Essen ist dann eh kaum lokalisierbar, also kann ich keinen Einkaufszettel schreiben, ohne den ich in dem Zustand völlig aufgeschmissen wäre.
?..oder ich brauche für eine einfachste technische Entscheidung (Handwerker bin ich, wenns denn klargeht) so lange, dass ich Schweißausbrüche bekomme, und Wut und Trauer über diesen grotesken Zustand in mir hochkochen. Weil der Zugang weg ist, weil ich nicht weiß warum ich irgendwas entscheiden können wollte.
Mein Körper gibt mir dann aber auch Signale, dass es zu viel ist. Zu wenig ich.... und zu wenig Bauchgefühl. Ich fange an komische Augen zu kriegen, habe Spannungen und Druck darin, sehe auch schlechter. Ich bin völlig verkrampft oder wächsern, ich stehe dann phasenweise rum wie eine Säule. Mein Bauch und Unterleib fühlt sich dann manchmal an, als hätte gerade jemand mit Anlauf hineingetreten. Die Muskulatur an Hüfte und Rumpf gibt mir kein Feedback und ich werde haltlos, selbst wenn sie da ist und mich wider aller Wahrnehmung stehen lässt.
Musste ich mir jetzt vielleicht auch mal bei der Gelegenheit von der Seele schreiben. hüst
Würde Jemand in dem Moment fragen, wie ich mich fühle, könnte ich ihm nur einen Bruchteil zur Klärung anbieten, weil ich völlig überfordert wäre und eine differenzierte Erläuterung nicht klargeht, weil ich schon merke, wie mich die zusätzlich zündet.... was ich dann vermeiden muss. Es dauert manchmal Tage um zu verstehen, was da eigentlich mit mir los war. Manchmal kommen dann die Gefühle oder Bezüge hoch, die mich in der Situation eigentlich angestachelt haben.[/spoil]
sina hat geschrieben:Was du von deinen Reaktionsweisen geschrieben hast, fand ich sehr interessant. Wie kannst du eloquent, prägnant und sicher auftreten, wenn du eigentlich gerade durch einen Konflikt verunsichert wurdest? Wenn du innerlich Gefühlsachterbahn fährst?
Das ist nur noch in Situationen so, in denen ich existentielle Angst habe, ob zu recht oder nicht. Es ist die letzte Verteidigungsbastion, wenn eine Flucht unmöglich ist. Eigentlich bin ich dann nicht wirklich eloquent und sicher, aber so werde ich oft verstanden. De facto bin ich in diesen Momenten ein in die Ecke gedrängtes und verletztes Tier, dass aus Angst zu beißen bellt. Hinterher bin ich meist ausgelaugt und völlig fertig. Kann eine Woche oder einen Monat dauern oder Jahre bis ich der betreffenden Person wieder ohne verfremdende Zustände unter die Augen treten kann. Selbst wenn sie mir objektiv nichts Schlimmes "angetan" hat, oder ich ihr.