Die Banalität des Bösen oder was ist eigentlich Neurotypisch (Normal)?

Ein Leben in (völliger) Isolation? Du bist sehr introvertiert, ängstlich-vermeidend oder gar schizoid? Wie gehst du damit um?
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ToWCypress81
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Die Banalität des Bösen oder was ist eigentlich Neurotypisch (Normal)?

Beitragvon ToWCypress81 » 1. Januar 2024, 17:02

Die Banalität des Bösen oder was ist eigentlich Neurotypisch (Normal)?

Erst durch direkte oder indirekte Traumata wird der Mensch sensibilisiert?

Oder: was ist eigentlich Mitgefühl?

All dies möchte ich in diesem Thread behandeln und hinterfragen, und hoffe dabei auch von euch und eurer Perspktive zu erfahren.

Denn ich finde, das jeder Mensch viel zu leichtfertig Begriffe wie: das ist "Neurotypisch" und "Neurodivers" bzw "Normal und "nicht Normal" im psychologischen bzw "menschlichen" Kontext anwendet.

Vielleicht können wir hier durch das Aufdröseln dieser Themenbereiche einen neuen Raum schaffen, für das Verständnis und Sicht auf uns und unsere Umwelt.

Das nicht immer alles in vorgegebene Schubladen gepackt wird, die uns in traditionellen Rollenbildern oder momentan vielleicht noch ärztlich zu undifferenzierten Sachverhalten beigebracht werden.

Dies den Zweck einer Emanzipation und Stereotypen-Überdenkung, sowie vielleicht Umkehrung verschiedener (fälschlicherweise) geglaubter Sachverhalte hat.


Warum ich auf das Thema kam?
- Mitgefühl..
Mir kommt es oft so vor, das sogenannte neurotypische Menschen sehr leicht zur Objektifizierung von Tier sowie auch zu Mensch neigen.
Tiere werden meines Erachtens solange es keine ganz eng und innig empfundenen Haustiere sind, von vielen Menschen als Objekt wahrgenommen. Sodass sie wissentlich kein Problem haben wenn Tiere leiden, Angst haben, Schmerzen haben und für sie getötet werden, oder sie gar selbst töten, Schmerz, Qual und Leid zuführen (in z. B. der Fleischindustrie).

Teils ähnlich verhält es sich mit Menschen die andere Menschen als weniger intelligent, weniger entwickelt oder als weniger Wert ansehen.

Speziesismus, Rassismus..

Ein Mensch, der durch direkte oder indirekte traumatische Erfahrungen, Leid, Herabwürdigung, starke Angst, Schmerz, Vertrauensbruch, Missbrauch oder Ausgrenzung erfahren hat - weiß denke ich, was Machtlosigkeit durch entsprechende Vereinnahmung und Übergriffkeit bedeutet.

Diese Menschen sind dahingehend sensibilisiert.
Und möchten daher nicht, das solche Gefühle und Verhaltensweisen nochmal an sie herangetragen werden.
Dementsprechend denke ich das diese Menschen, da sie dieses Wissen um Wirkung und Resultat dieser Übergriffigkeiten haben, auch niemand anderen so etwas bewusst antun würden - durch jene Sensibilisierung.

Ein Neurotypischer Mensch, der keine entsprechend direkten oder indirekten erwähnten traumatischen Erfahrungen gemacht hat, hat diese Sensibilisierung um Wirkung und Resultat - nicht, oder zumindest in der Regel nicht so stark, selbst wenn Erziehung und mediale Aufklärung vorhanden ist. So meine Denke.

Denn oft sehe ich, das neurotypische Menschen sich nur für Dinge einsetzen und mitfühlen, die in ihrem Horizont bzw ihrer Perspektive eine Rolle spielen.
Für Menschen, Tiere, Umwelt die sich außerhalb dieses Horizontes bzw Perspektive befinden, entsteht dieses Mitgefühl, meiner Meinung nach in der Regel entweder gar nicht, oder wenn dann vielleicht nur dezent oder (eher) kaum merklich. Wie sind da eure Erfahrungen?

Ich denke, ein traumatisierter Mensch würde nicht freiwillig in den Krieg ziehen, Tiere töten oder bewusst anderen Schaden zufügen.
Denn sie/er weiß um die Wirkung und Resultat (=Sensibilisierung).

Ist daher die Banalität des Bösen neurotypisch?
Durch das Unwissen um Wirkung und Resultat?

Sind nicht eigentlich die, die sensibilisiert sind "normal", da weniger schadhaft und schädigend?

Dies meine ersten Gedanken dazu..
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Klopskerl
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Re: Die Banalität des Bösen oder was ist eigentlich Neurotypisch (Normal)?

Beitragvon Klopskerl » 3. Januar 2024, 15:56

Meine ersten und unsortierten Gedanken dazu:

Wer Opfer ist, kann/wird zum Täter.

Aus eigener Erfahrung heraus erlebt. Da ich aber reflektiert bin. Zudem noch aufmerksam und beobachtend mir selbst gegenüber bin, wurde mir meine Täter-Rolle bewusst. So kann/konnte ich dieses Verhalten analysieren und nicht mehr umsetzen.
Das war zum Glück ein einmaliger Vorfall.
Aber es gibt ja eben auch Situationen, Muster, Gewohnheiten, die a) nicht bewusst sind und b) selbst bei Bewusstheit sich nicht leicht ändern lassen.

Hinzu kommt ja, dass der Mensch von Natur aus gerne Gewohnheiten mag. D.h Veränderung ist schwierig, anstrengend und mit Kraft verbunden. Und wenn kein Bewusstsein vorhanden ist, und kein damit verbundenes Ziel, warum sollte ich mein Verhalten oder mich ändern?!

Und nun muss ich aus persönlicher Erfahrung und Einstellung sprechen: ich habe ganz einfach gar nicht die Kraft, umweltschonender zu leben. Ich wohne auf dem Land ohne öffentliche. Ich muss täglich mit dem Auto fahren wenn ich einkaufen möchte, zur Post muss, meine Kids in Schule oder kiga zu bringen....
Wir haben zwei Autos. Da es der von außen auferlegte zeitliche Rahmen nicht zulässt, nur ein Auto zu nutzen.
Genauso mit Nahrungsmittel: wenn ich ein Kind habe, das hauptsächlich Fleisch und Weißmehlprodukte isst und kaum andere Lebensmittel oder nur sehr eingeschränkt zulässt, habe ich wenig Einfluss oder Spielraum was ich einkaufen kann. (Autismus-Verdacht)
Zudem würde hier nun die pädagogische Seite beleuchtet werden müssen. Deswegen gehe ich da jetzt nicht näher drauf ein.

Neurodivers und neurotyp .... Da hatte ich letztens ein interessantes Video gesehen. Ging eigentlich um Autismus. Aber eine Teilnehmerin schien da schon sehr lange in solch einem Kreis (Verein, Wissenschaft etc) zu sein. Und sie meinte, zu Beginn war der Begriff neurodivers so ausgerichtet, dass er ALLE Arten von Gehirnaktivitäten einschließt. Also Leute mit ADHS, ass...... Usw und eben auch Leute mit normaler Gehirnaktivität. Erst mit der Zeit wurde dieser Begriff verallgemeinert und das neurotypisch kam als Abgrenzung dazu. (Ich hoffe ich habe das noch richtig in Erinnerung)
Inzwischen wird wohl von neurodivergenz gesprochen, wenn ass, ADHS und weiteres damit gemeint ist.

Ganz viel ist eben auch Mainstream und Verallgemeinerung, damit auch "normale" Leute die Dinge verstehen und begreifen können.

Persönliche Meinung: Schlussendlich sollte es uns egal sein. Jeder Mensch ist individuell.
Und so Versuche ich auch meine Kids zu erziehen. (Gerade weil auch ich nicht normal im klassischen Sinn bin und meine eine Tochter auch nicht)
Aber auch ich bin geprägt und stigmatisiert. Und das ist nicht so leicht abzulegen. Gerade Kinder triggern ungemein eigene Themen. Unbewusst!
Auch mit fällt es schwer, offen und neurodivers in einer Gesellschaft voll mit Stigmata, Diagnosen und Schubladen zu denken und zu leben. Aber ich Versuche in meinem kleinen Wirkungskreis so effektiv wie mit möglich, ein bisschen dagegen zu steuern. Ein bisschen anders zu leben. Und da glaube ich ganz fest an ein Kollektiv: wenn einer eine Idee hat und diese auch lebt, überträgt sich das auf andere und wiederum andere. Und so ziehen sich Kreise.

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Re: Die Banalität des Bösen oder was ist eigentlich Neurotypisch (Normal)?

Beitragvon ToWCypress81 » 4. Januar 2024, 07:24

Hallo Klopskerl,

danke für deinen Beitrag.
Du hast damit recht das jeder Mensch individuell ist. Demnach gibt es kein Rezept oder vorhersehbares Merkmal warum sich neurotypische oder neurodivergente/-diverse Menschen "immer" so oder so verhalten.

Dennoch denke ich schon, das es gewisse Tendenzen gibt, warum sich Menschen mehr so oder so verhalten.
So denke ich auch, das es innerhalb neurodivergenten/-diversen Menschen, durch die Art des indirekten oder direkten Traumatas mit zusätzlich vererbter Genetik - eine große Rolle spielt wie sich die Person letztendlich verhält.

Nicht umsonst werden z. B. bei Persönlichkeitsstörungen verschiedene Tendenzen ausgemacht, zu denen man im Verhalten neigt. Wie etwa "vermeidend", "zwanghaft", "abhängig", "schizoid", "schizotypisch", "paranoid", "emotional instabil", "narzisstisch" usw. Sowie verschiedene Kombinationen daraus.
Autismus-Unterschiede, sowie nicht zu vergessen Schizophrene und deren Unterarten, die in dem Sinne vielleicht gesondert behandelt werden müssen, aufgrund der teils fremdgefährdenten Psychosen.

Abgesehen davon, gibt es wie vorangeführt meiner Meinung nach, aber auch eine grundlegende Tendenz.
Die der Sensibilisierung.

Egal ob aus gemachten Fehlern und daraus entstandener traumatischer Erfahrung oder direkter und indirekter Traumata in z. B. der Kindheit/Jugend.

Denn..
Klopskerl hat geschrieben:Wer Opfer ist, kann/wird zum Täter. Aus eigener Erfahrung heraus erlebt. Da ich aber reflektiert bin. Zudem noch aufmerksam und beobachtend mir selbst gegenüber bin, wurde mir meine Täter-Rolle bewusst. So kann/konnte ich dieses Verhalten analysieren und nicht mehr umsetzen.
Das war zum Glück ein einmaliger Vorfall.
Das entspricht meiner Meinung nach einer Sensibilisierung.

Diese Art der Reflexion haben meines Erachtens viele neurotypische Menschen in der Regel (eher) nicht.

Ansonsten gäbe es meines Erachtens nicht so viele "Wiederholungstäter" bzw Menschen, vor allem Männer, die noch auf ihrem Recht bestehen Frauen, andere Ethnien, Tiere, Umwelt usw so oder so behandeln zu "dürfen".

Eine Sensibilisierung könnte man demnach auch als "selbstreflektierendes Denken und Verhalten" verstehen. Zu dem meiner Erfahrung nach neurotypische Menschen tendenziell weniger neigen als "Neurodivergente/-diverse".

Klopskerl hat geschrieben:Und nun muss ich aus persönlicher Erfahrung und Einstellung sprechen: ich habe ganz einfach gar nicht die Kraft

Den Punkt der Kraftlosigkeit durch gesellschaftliche Hürden, dort vor allem auch als Frau sich gewissen Rollenbildern oft noch fügen zu müssen, und aufgrund der eigenen Störung/Krankheit ist verständlich.

Hat aber mit bewusst herbeigeführten Schaden an anderen, meines Erachtens wenig zu tun.
Dies eher einer Fügung entspricht und wenn man so will Ohnmacht zwecks Unausweichlichkeit gesellschaftlicher Zwänge und Krankheit/Störung.
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Re: Die Banalität des Bösen oder was ist eigentlich Neurotypisch (Normal)?

Beitragvon Traumafrau » 4. Januar 2024, 16:12

Vorweg: ich war ein fremdgefährdendes Kind, immer mit einem Bein in Instituten für Kindesentwicklung oder integrativen Kindertageseinrichtungen. Es hieß immer "Behindertenausweis liegt schon bereit". Das ganze mündete dann noch in einem feuchten Fiebertraum in Sachen Schullaufbahn. Mir konnte damals kein Bewusstsein für Sozialverhalten, Eigentumsverhältnisse, kein Verhältnis zu meinen oder anderer Kinder Schmerzempfinden usw vermittelt werden. Aus meinem Überlebensmodus entsprang damals eine seelische Verwahrlosung, verrohte Denke und Handlung, ich würde es schon als Anpassung an einen bestimmten Teil meiner Lebensrealität sehen. Und vielleicht steckt es auch schon in der Epigenetik.

Es dauerte Jahrzehnte außerhalb meines familiären Umfeldes, und wichtiger noch, die richtigen Alltags-Rollenvorbilder und viel Abgleich und Reflektion waren nötig um mitfühlendes Verhalten zu erlernen. In Bezug auf Mitmenschen und zwischenmenschliches Miteinander war ich seelisch taub, auf eine Art.

Es heißt doch von mancher Seite "Eine Gesellschaft, der es (zu) gut geht, verweichlicht." Einzelne stricken daraus gar, das es mal wieder einen "gescheiten Krieg" bräuchte. Ich denke, das dieses als verweichlicht verschimpfte eher ein Genesungsprozess ist. Fühlen lernen, spüren lernen, Mitgefühl lernen, Bedürfnisse wahrnehmen und kommunizieren lernen. Überhaupt den Blick angemessen auf sich und andere richten lernen, eigene Grenzen zu lernen (die Kindern in unserer Generation oftmals nicht zugestanden wurden), daraus resultierend die Grenzen oder Bedürfnisse anderer wahrzunehmen und respektieren, das dauert Zeit und erfordert eine sichere Basis. Dann kommt für viele Leute mit fortschreitender Zeit die Müdigkeit und Abgewetztheit dazu, alles irgendwie am Laufen halten zu müssen, was an familiären- und Alltagsverpflichtungen so ansteht.

Nicht jeder hat das Glück, die Mittel oder die Fähigkeit sich diese Genesungsgrundlage schaffen zu können und sei es auch nur temporär. Ich merke es zumindest an mir, wie stark ich mich aus dem Alltags- und Weltgeschehen herausnehmen musste und auch immer noch muss, damit ich "abtaue" überhaupt etwas fühle und eine mitfühlende, gutmütige Seite von mir entdecken, pflegen und leben kann. Das hat lange gedauert bis sich mir schmerzhaft der Magen zusammenzog, wenn ich sah, das jemand anderem etwas schmerzhaftes passierte. Ich merke zudem jedesmal, das es für mich ein neues, seltsames Gefühl ist. Ich war auch immer von meinem Umfeld bestätigt "geborene Ersthelferin", da mich schon als Kind, aber auch als Adoleszente nicht groß beeindruckte was ich da sah, sondern handlungsfähig blieb. Haben sich nun also Filter/Blockaden zurückgebildet oder gar Spiegelneuronen gebildet? Dasselbe mit Verbundenheit, bei Tieren und Kindern spüre ich starke Oxytocin Ausschüttungen (bei Jungtieren, im Gegensatz zu Kindern schon immer). Sehr kitzelig, kuschelig, verliebt- und rauschhaft fühlt sich das an. Bei Erwachsenen ist es stets ein Vorsatz, der mich in eine Beziehung gehen lässt und wenn es, mit viel Glück, lange genug dauert, wird es Vertrautheit, Nachsicht, Verständnis, Rücksichtnahme, Kompromiss- und Hilfsbereitschaft.

Ich bin da also nicht Fisch, nicht Fleisch und gestatte mir noch weitere Entwicklung.

Wenn du dich in dieser Welt nicht verhältst wie ein Wolf, nicht mitheulst wie ein Wolf, dann wirst du früher oder später gerissen. Auch von Teilen deiner eigenen Sippe. Insofern kann ich Menschen, die Tätergruppen auch noch schützen und Mittäter werden, oder sich zumindest mit marginalisierten Gruppen nicht solidarisieren, ansatzweise nachvollziehen. Für sie gilt imho:

https://youtu.be/utEEe97Ir4o

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Re: Die Banalität des Bösen oder was ist eigentlich Neurotypisch (Normal)?

Beitragvon ToWCypress81 » 5. Januar 2024, 12:49

Bis zu meinem ca 28. Lebensjahr war ich gedanklich auch Täter, anstatt mitfühlender reflektierter Mensch.
Hass bildete da jegliche Grundlage an Denken.
Das durch eine Mischung aus falschen Hobbys, Angst um das Wissen der Grausamkeiten menschlichen Daseins aus Fremderfahrungen und Familiengeschichte, und Perfektionismus meines Selbstverständnisses bzw -bildes hin, das in einem Art Narzissmus mündete, was bei scheitern dessen zu selbstzerstörerischen Denk- und Verhaltensmustern führte.
Das in der Mischung zu einem Kreisen um mich, und Hass/Antipathie anderen gegenüber, und damit auch Störung/Blockade meines Mitgefühls, Trauer und Leid führte.
In dem Zustand war mir Alles scheißegal. Ich kümmerte mich um nichts und niemand. Sollte doch alles verrecken (ich inklusive). So wie ich in meiner kaputten Denkweise dachte.

Dennoch äußerten sich meine Gedanken nicht in tätlichen Verhalten anderen gegenüber. Auch wenn ich sehr oft kurz davor war, wenn die Wut/Hass überkochte, wegen Kleinigkeiten wie ein schiefer Blick oder Lachen (ohne eindeutig zu wissen ob es mir galt).
Erst mit ca 35 war ich so reflektiert, um auch anderen gegenüber wieder in gewissen Situationen aufrichtiges Mitgefühl spiegeln zu können, Trauer, Liebe und jegliches positives Denken in Teilen zulassen zu können, da ich dies als mein Kredo nach all meinen Fehldenkweisen (im Sinne eines indirekten Traumas) ansah.
Dies aber mindestens 7 Jahre harte Arbeit an Selbstreflexion einforderte.

Sicher bleiben viele Traumatisierte auf der Strecke, und schaffen keinen reflektierten Absprung, aufgrund der Art des Traumas, Epigenetik und dahingehender Kraftlosigkeit, und/oder weiterer Gründe.

So kommen neurotypische Wiederholungstäter statistisch gesehen vielleicht genauso ab einem gewissen Punkt zur Erkenntnis, das sie ihr Verhalten nicht weiterbringt.
Genauso wahrscheinlich viele aber auch ihr Leben weiter schädigend durchziehen.

Zum Thema Schadhaft:
Psychisch auffällige Einzelfälle bei denen sich alles auf einmal entläd, wie etwa bei einem Amoklauf bei diesem sie davor vielleicht tätlich vollkommen unauffällig waren, ist in dem Ausmaß, Art und Weise sicher nicht geringer zu werten (ganz im Gegenteil !) - als Wiederholungstäter, die es für sich als gegeben ansehen schadhaft zu sein bzw sein zu "dürfen".

Vielleicht spielt daher eine Sensibilisierung bzw dahingehende Reflexion durch Traumata in den Denkprozessen bis zu einer gewissen Altersgrenze doch keine relevante Rolle.

Nur das vielleicht tendenziell Geschädigte weniger in die Tat gehen, durch die Art der psychischen Behinderung ("Behinderung" da jede Art psychisches Leiden meint).

Traumafrau hat geschrieben:Wenn du dich in dieser Welt nicht verhältst wie ein Wolf, nicht mitheulst wie ein Wolf, dann wirst du früher oder später gerissen.
Als Mitglied der Gesellschaft sehe ich das auch so. Daneben gibt es noch das am Rande der Gesellschaft leben, welches dann vielleicht dem Sinnbild eines ausgeschlossenen Rudeltieres mit entsprechenden Hürden zum überleben innehat.
Und wenn es gut läuft, vielleicht gar eine alternative Kommune an einsamen Wölfen die wiederum ein eigenes Rudel bildet.
:schneemänner
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Re: Die Banalität des Bösen oder was ist eigentlich Neurotypisch (Normal)?

Beitragvon Geextah » 6. Januar 2024, 07:16

Erst einmal stellt sich die Frage: "Was ist das Böse eigentlich?"

In der Philosophie finden wir nur schwerlich eine Definition dazu.

Jedoch ist klar, dass es sich um etwas sehr subjektives handelt.

Ich selbst habe kaum bis kein Mitgefühl (oder nur sehr selektiv) und lebe sehr gut damit. Das heißt noch lange nicht, dass ich dadurch "böse" bin. Auch wenn in meiner Welt die Menschen eher den Zweck von Werkzeug haben und austauschbar sind, bin ich noch kein Bösewicht (habe höchstens psychopathische Züge).

Denn für den einen mag die Welt mit Mitgefühl und sozialem Engagement himmlisch sein und funktionieren, für mich funktioniert sie so nicht.
Es gibt keine Schablone die für alle passt und mit der wir sagen können "Hier, mach so. Alle anderen machen auch so, passt dir weil du Mensch bist."

Das hat schon bei Religionen nicht funktioniert und schon gar nicht passt es auf Verhaltensmuster.
Der eine reagiert auf das Trauma so, der andere so - da würde ich nie von etwas pauschalem ausgehen.
"Erfindungen bedürfen der ungestörten Ruhe, des stillen, beständigen Nachdenkens und eifrigen Erprobens, und all dies gibt nur die Einsamkeit, nicht die Gesellschaft der Menschen."
- Gerolamo Cardano -

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Re: Die Banalität des Bösen oder was ist eigentlich Neurotypisch (Normal)?

Beitragvon ToWCypress81 » 6. Januar 2024, 10:39

Geextah hat geschrieben:Erst einmal stellt sich die Frage: "Was ist das Böse eigentlich?"

In der Philosophie finden wir nur schwerlich eine Definition dazu.

Jedoch ist klar, dass es sich um etwas sehr subjektives handelt.

Ich selbst habe kaum bis kein Mitgefühl (oder nur sehr selektiv) und lebe sehr gut damit. Das heißt noch lange nicht, dass ich dadurch "böse" bin.

Übergriffig (nicht einvernehmlich) herbeigeführte Qual, Leid und Schmerz aus traditionellen, religiösen, idiologischen oder bspw white privilege Gründen usw Mensch oder Tier anzutun, ist nichts subjektives.

Unter "Banalität des Bösen" verstehe ich:
Sich seiner schadhaften Taten nicht bewusst zu sein. Es als etwas "normales" "selbstverständliches" betrachten sich schadhaft-übergriffig anderen gegenüber verhalten zu "dürfen".

Kein Mensch, egal wie er/sie sich verhält macht Dinge vorsätzlich um "böse" zu sein. Jeder Mensch denkt - egal in welcher verkorksten Denkweise - das dies für sie/ihn erstmal richtig ist.

Kein Mitgefühl zu haben macht niemanden "böse".
Nur die Taten und das damit übergriffig herbeigeführte Leid, Qual und Schmerz führt dazu, das andere Wertungen aufstellen können ob jemand schadhaft für andere ist, oder nicht.
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Re: Die Banalität des Bösen oder was ist eigentlich Neurotypisch (Normal)?

Beitragvon 2ost » 6. Januar 2024, 16:18

ToWCypress81 hat geschrieben:Übergriffig (nicht einvernehmlich) herbeigeführte Qual, Leid und Schmerz aus traditionellen, religiösen, idiologischen oder bspw white privilege Gründen usw Mensch oder Tier anzutun, ist nichts subjektives.

Damit wäre jeder nicht vollkommen vegan lebende Mensch böse, der Tiere zum Verzehr tötet und/oder ausbeutet?

Ich fürchte, dass dir viele da nicht beipflichten werden, bei der Definition. Und selbst jene, die das Tierwohl hoch achten, würden vielleicht bei z. B. in der Arktis lebenden Inuit, die nur von Tieren leben können, einfach weil die Vegetation dort nichts her gibt, das zum überleben reicht, dann doch bestreiten dass zu überleben alleine diese Ureinwohner böse mache.

ToWCypress81 hat geschrieben:Unter "Banalität des Bösen" verstehe ich […]

Bei den Inuit (und vermutlich trifft das auch auf andere Wüstenvölker so zu) ist ein Überleben ohne Jagd (per definitionem eine nicht einvernehmliche Tötung zum Selbstzweck) würdest du also auch von einer Banalität des Bösen (Kenne den Begriff so eigentlich nur von Hannah Arendt) ausgehen? Wäre da selbstlos statt dessen zu sterben die einzig legitime Handlungsweise?

Ich meine das jetzt auch nicht als Fleischesserargument. Hier und in fast jeder nicht autark indigenen Gemeinschaft kann sehr wohl auf Fleisch verzichtet werde. Ich will damit wirklich grad nur diese Definition hinterfragen. [:)]

Ich stelle die Frage sogar in dem Sinn offen, als ich für mich da noch zu keiner unumstößlichen Antwort etwa gekommen bin … was meint, das die Frage auch nicht rein rhetorisch gemeint ist. Ich denke nur momentan, das es so einfach wirklich nicht ist, "das Böse" außerhalb jedweden sozialisatorischen Kontextes allgemeingültig definieren zu können.(?)

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Re: Die Banalität des Bösen oder was ist eigentlich Neurotypisch (Normal)?

Beitragvon ToWCypress81 » 6. Januar 2024, 19:18

Allgemeingültige Wertungen zum Zweck Schaden zu vermeiden stellt eine Gesellschaft auf, die von Gesellschaft zu Gesellschaft anders definiert wird.

Dennoch entwickeln sich Gesellschaften auch.
So gab es z. B. in Deutschland bis 1994 noch den Paragraph 175 Strafgesetzbuch (StGB) der Homosexuelle kriminalisierte.
Die Bürgerrechtsbewegung in den USA der 1960er sorgte für die Gleichberechtigung Afroamerikanischer Menschen.
Was Tiere betrifft - aus Wikipedia:
1822 wurde in England das erste Tierschutzgesetz verabschiedet, vor allem zum Schutz von Pferden. In Deutschland verfügte das Reichsstrafgesetzbuch erst rund 50 Jahre später, ab 1871, dass jemand bestraft werden kann, der „öffentlich oder in Ärgernis erregender Weise Tiere boshaft quält oder misshandelt“. Der Stuttgarter Pfarrer Albert Knapp gründete 1837 den ersten deutschen Tierschutzverein; 1881 entstand dann der Deutsche Tierschutzbund. Beide Vereinigungen setzten sich seit ihrer Gründung für Tierrechte ein.
Nach Ansicht des Deutschen Tierschutzbundes sind bis heute viele Rechte von Tieren nur ansatzweise, wenn überhaupt formalisiert. So wurde bereits 2013 beschlossen, dass Bauern ihre Ferkel nur bis 2019 ohne Betäubung kastrieren dürfen, ein Datum das mittlerweile wieder um zwei weitere Jahre verschoben wurde.

Usw...

2ost hat geschrieben:Und selbst jene, die das Tierwohl hoch achten, würden vielleicht bei z. B. in der Arktis lebenden Inuit, die nur von Tieren leben können, einfach weil die Vegetation dort nichts her gibt, das zum überleben reicht, dann doch bestreiten dass zu überleben alleine diese Ureinwohner böse mache.

Es gibt meines Erachtens bei Tieren, genauso wie Menschen die zum überleben töten, kein Sinnstiftendes Argument, dem eine Wertung zu geben. Dies ist ein nötiger und natürlicher Kreislauf der zum überleben dient.

Eine industrielle Gesellschaft allerdings, die die Möglichkeit hat diesen Kreislauf zu durchbrechen, zum Zwecke Millionen an Menschen zu ernähren und dabei die Umwelt zu bewahren, kommt oft zu der Einsicht, Werte aufzustellen zum Erhalt dieser Umwelt. Sodass viele Menschen in solchen Industrie-Nationen in dieser Entwicklung ihre gewohnte Perspektive überdenken, und somit ein Gefühl (Mitgefühl) für ihre Umwelt entwickeln.

Eine Wertung was "böse" (schadhaft) ist, hängt daher damit zusammen, in welcher Gesellschaft ein jeder sich befindet, und welchen Entwicklungsstand jeder dieser Menschen für sich als sinnvoll und damit gesellschaftsfähig empfindet.

Daher führt immer erst ein mehrheitliches Gesellschaftsempfinden zu Wertvorstellungen, die dann wiederum oftmals der Staat durch Gesetze festsetzt.

Daher: so etwas wie "böse" per Definition - gibt es nicht.
Auch wenn sich die meisten Gesellschaftsformen schon darauf geeinigt haben das Vergewaltigung, Raub, Mord und Folter unter Menschen als kriminelle Handlung gilt.

Dennoch finde ich das Thema auch hier relevant, da sich nicht nur Gesellschaftsformen wie eine Industrie-Nation Deutschland entwickeln (können), sondern auch Definitionen, Einsortierungen und damit auch ein Selbstverständnis für jeden (Geschädigten) was die Psyche im Sinne neurotypischer und neurodivergenter schadhafter und geschädigter Menschen in der Gesellschaft (wie die in Deutschland) bedeutet.
"Vergleiche dich niemals mit anderen. Vergleiche dich immer nur mit deinem früheren Ich". - R. M.
Jeder ist komisch. Die meisten können es nur (gedacht) besser verbergen - T. W.

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Re: Die Banalität des Bösen oder was ist eigentlich Neurotypisch (Normal)?

Beitragvon sdsdsdsv » 6. Januar 2024, 23:07

ToWCypress81 hat geschrieben:Ein Mensch, der durch direkte oder indirekte traumatische Erfahrungen, Leid, Herabwürdigung, starke Angst, Schmerz, Vertrauensbruch, Missbrauch oder Ausgrenzung erfahren hat - weiß denke ich, was Machtlosigkeit durch entsprechende Vereinnahmung und Übergriffkeit bedeutet.

Diese Menschen sind dahingehend sensibilisiert.

Klingt nach "Lernen durch Schmerz", was möglicherweise funktioniert, aber sicherlich die schlechteste Methode ist, um als sozialer Mensch heranzureifen. Dem möchte ich die Übernahme schädigender Verhaltensmuster entgegensetzen (Geschlagene schlagen später selbst). Es gehört schon Selbstreflektion und ggf. enorm viel Arbeit dazu, bekannte Muster zu hinterfragen und sich selbst auf die Suche nach Alternativen zu machen. Letzte Woche hat mir erst jemand erzählt, wie schlimm es in der Sonderschule war und wie schlecht er dort von den anderen Kindern behandelt wurde. In dieser Hinsicht kann ich der ursprüngl. These nicht ohne weiteres beipflichten.

Und möchten daher nicht, das solche Gefühle und Verhaltensweisen nochmal an sie herangetragen werden.
Dementsprechend denke ich das diese Menschen, da sie dieses Wissen um Wirkung und Resultat dieser Übergriffigkeiten haben, auch niemand anderen so etwas bewusst antun würden - durch jene Sensibilisierung.

Das klingt idealistisch, dürfte aber in der Praxis die Ausnahme sein.

Das führt aber meiner Meinung nach zu der Frage, wie und inwieweit Sensibilität im Umgang mit anderen erlernt werden kann. Da wären einerseits, wie schon erwähnt, vorhandene oder weniger vorhandene genetische Grundlagen und andererseits die Möglichkeit von Eltern, Schule, Kindergarten zu einem guten Umgang beizutragen. Meiner Meinung nach ist eine pädagogische Erziehung hier sehr wirksam, auch ohne Extreme zu bemühen (muss selbst traumatisiert werden). Dazu kommt die Beeinflussung des soz. Klimas und Gruppendynamik:
Ich erinnere mich daran, wie bei der Bundeswehr beispielsweise der Vorgesetzte immer wieder ein paar mal Leute dazu angehalten hat anderen zu helfen, bis dieses Verhalten selbstverständlich war. Dadurch kann man sicherlich leicht sensibilisieren und Leute erreichen, aber es etabliert auch schlicht eine soz. Regel, die vom Herdentier Mensch, der wir sind, i. d. R. befolgt wird. Dazu muss niemand tief in sich gehen. Nur meine Gedanken dazu.

Ein Neurotypischer Mensch, der keine entsprechend direkten oder indirekten erwähnten traumatischen Erfahrungen gemacht hat, hat diese Sensibilisierung um Wirkung und Resultat - nicht, oder zumindest in der Regel nicht so stark, selbst wenn Erziehung und mediale Aufklärung vorhanden ist. So meine Denke.


Ich meine du hast schon auf gewisse Weise recht. Ich denke da v. a. an Angehörige von psychisch kranken Menschen, die das ganze Dilemma hautnah erleben.

Denn oft sehe ich, das neurotypische Menschen sich nur für Dinge einsetzen und mitfühlen, die in ihrem Horizont bzw ihrer Perspektive eine Rolle spielen.
Für Menschen, Tiere, Umwelt die sich außerhalb dieses Horizontes bzw Perspektive befinden, entsteht dieses Mitgefühl, meiner Meinung nach in der Regel entweder gar nicht, oder wenn dann vielleicht nur dezent oder (eher) kaum merklich. Wie sind da eure Erfahrungen?


Wie gesagt in vielen Bereichen kann man da mit einfacher pädagogischer Arbeit viel erreichen. Das Thema Tierwohl z. B. wird ziemlich in unserer Wahrnehmung ausgeblendet, wenn man mal von der einen oder anderen einsamen Doku absieht, die man einfach wegschalten kann (Triggerwarnung, vorsicht bei dem Link). Aber ein engagierter Lehrer könnte hier m. Meinung nach in kurzer Zeit viel erreichen, einfach, indem er die Schüler dazu anleitet sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen.

Ich denke, ein traumatisierter Mensch würde nicht freiwillig in den Krieg ziehen, Tiere töten oder bewusst anderen Schaden zufügen.
Denn sie/er weiß um die Wirkung und Resultat (=Sensibilisierung).


Oder eben gerade.

Ist daher die Banalität des Bösen neurotypisch?
Durch das Unwissen um Wirkung und Resultat?


Würde ich so nicht sagen, ist meiner Meinung nach eine größere gesell. Frage.


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