Unzureichende Realitätswahrnehmung

Ein Leben in (völliger) Isolation? Du bist sehr introvertiert, ängstlich-vermeidend oder gar schizoid? Wie gehst du damit um?
Benutzeravatar
Schattentanz
Moderator
Moderator
Beiträge: 1159
Registriert: 16. Januar 2013, 17:02

Re: Unzureichende Realitätswahrnehmung

Beitragvon Schattentanz » 17. Mai 2013, 16:12

@WWSCDneutrino:
Es geht doch gar nicht um hochwissenschaftliche Diskussionen. Du möchtest z.B. ganz konkret wissen, wie andere diese vier besagten Punkte aus deinem Eingangspost bei sich selbst erleben bzw. ob überhaupt. So als Abgleich, weil du Zweifel hast bzgl. der Bewertung deiner eigenen Realität. Der Thread-Titel sagt es doch schon - unzureichende Realitätswahrnehmung (?)

Das kann man einerseits unkompliziert aber ohne direkten persönlichen Bezug zu den anderen im Internet fragen, sich wissenschaftliche Texte oder bereits geführte Diskussionen dazu durchlesen. Das ist eine durchaus solide, sinnvolle Option. Oder man redet mit anderen vertrauenswürdigen und sympathischen Personen von Angesicht zu Angesicht darüber. Das ist bei einer sensiblen Angelegenheit, mit der man sich angreifbar macht, jedoch schwierig. Ich würde da in keine Richtung raten wollen. Du kannst die Punkte mit Fachliteratur auch für dich selbst in Ruhe durchgehen und vor allem auf mögliche Ursachen achten (z.b. Übermüdung, sonstiger Stress etc.). Was mich angeht, verweise ich auf meinen Beitrag in deinem anderen Thread "Gefühllosigkeit, innere Leere" [Anmerkung: Sorry, hatte den Thread "Gefühllosigkeit, ..." irrtümlich erst Silas zugerechnet].

Falls du mit jemanden reden möchtest, dann empfielt es sich aus naheliegenden Gründen mit deiner Freundin oder noch mit dem Freund deines Vaters darüber zu reden; eben jemand, wo die Chance sehr hoch ist, dass man mit ihm vernünftig ohne Hysterie darüber sprechen kann. Das gilt prinzipiell ebenso für jemand "Fremden", keine engen Bekannten (z.B. Mitschüler) als Gesprächspartner - da sollte man sich nur wahrscheinlich noch vorsichtiger an die Thematik herantasten im Gespräch und seine Worte genau abwägen ("Hey - ich sehe tote Menschen. Du auch?" ist wohl kaum geeignet).

Falls du ernsthaft beunruhigt (!) bist, ob mit deiner Realitätswahrnehmung etwas nicht stimmt bzw. darunter leidest, bleibt dann nur der Gang zum Fachmann. Schätze jedoch, dass das nicht umbedingt nötig ist, weil deine Realitätsprüfung ja soweit intakt zu sein scheint. Und viel Fantasie und Vorliebe für abstrakte "Was-wäre-wenn"-Diskussionen sind höchstens anstrengend, aber nicht krankhaft. Bei vollkommen gesunden Menschen können Depersonalisation, Dissoziation und Derealisation zeitweise auch auftreten. Gleiches gilt für "Tagträumen".

... man kann sich auch hervorragend selbst verunsichern, indem man sich bzw. die eigene Wahrnehmung permanent hinterfragt und sich dadurch - wie Ambivalenz treffend angemerkt hat - nach außen hin dann tatsächlich unsicher und merkwürdig/auffällig verhält + eine sehr selektive Wahrnehmung diesbzgl. entwickelt. Willkommen im Kreislauf. Frag mal Leute mit sozialer Phobie (verzerrte Eigenwahrnehmung)... oder dreh dich im Kinosessel mal um. Wetten dich schaut mindestens einer der hinter dir Sitzenden an? Das ist dann das Henne-Ei-Problem - wer hat zuerst "merkwürdig/auffällig" geschaut? ;)


@Ambivalenz
Ja die gute alte Massenpanik. Ich weiß, warum ich Hysteriker und Halluzinogene :high: :Schmetterling: weitgehend meide. ... wenn die erstmal wüßten, was ich so alles sehe manchmal.

MfG Ambivalenz :katze: (<--- zwar kein Bär, aber wir haben ja Phantasie [:)] )

Jetzt wo du es sagst ... soll ein Löwe sein oder? *duckundweg* :breites grinsen:

Liebe Grüße an euch beide, Ambivalenz & WWSCDneutrino :glück:
Wer nie vom Weg abkommt, bleibt auf der Strecke.

Benutzeravatar
Huch
engagiert
engagiert
Beiträge: 205
Registriert: 30. Dezember 2012, 03:33

Re: Unzureichende Realitätswahrnehmung

Beitragvon Huch » 18. Mai 2013, 19:19

Hallo,
ja das ist so eine Sache mit der Realität. Ich hab als Bub über so was auch oft nachgedacht. Sehr faszinierend fand ich das Höhlengleichnis von Platon. Also daß alles voneinander abhängt, die Realität von der Wahrnehmung und umgekehrt. Und natürlich auch von vorgegebenen Konventionen. Wie etwa der kleine Junge in „des Kaisers neue Kleider“ von Andersen, der am Schluß ausruft, „aber er hat ja gar nichts an...“. Wohl war ich oft so wie dieser Junge, aber es hat natürlich niemand auf mich gehört, manche Dinge spricht man halt besser nicht aus. Die Illusion zu wahren, ist vielen wichtiger. Aus diesem Grunde glaube ich aus heutiger Sicht, daß es völlig egal ist, ob es eine absolute Realität gibt, oder nicht. Wenn man also für sich akzeptiert, daß es keinen Maßstab gibt, ist man schon mal weiter. Ich glaube, daß derjenige am besten zurecht kommt, der sich an die Empfindungs- und Erfahrungswelt seines jeweiligen Gegenübers am besten anpasst. Das ist nicht leicht, okay. Aber man macht es sich leichter, wenn man das beherrscht.
Some of them want to be abused

Benutzeravatar
Soleil
engagiert
engagiert
Beiträge: 169
Registriert: 10. April 2013, 10:23
SPS: Nein
Wohnort: Niedersachsen

Re: Unzureichende Realitätswahrnehmung

Beitragvon Soleil » 28. Juni 2013, 12:53

Spannend. Ich habe mich viel mit Konstruktivismus beschäftigt. Der Konstruktivismus ist eine Erkenntnistheorie und geht davon aus, dass es zwar mit hoher Wahrscheinlichkeit eine objektive Realität gibt, dass wir alle aber keinen Zugang dazu haben. Das ist keine Zauberei, sondern liegt daran, dass das Gehirn sofort beginnt zu interpretieren, sobald es etwas wahrnimmt, und sei es nur eine Farbe oder so. Ein Beispiel sind optische Täuschungen, die keine wären, würde unser Gehirn nicht etwas (in diesem Fall "Falsches") hinein interpretieren.
Das ganze folgt folgendem Muster: Ein Mensch hat immer schon irgendwelche inneren Strukturen zu einem Thema. Diese bestehen aus Vorwissen, Erfahrungen, Reife, Gefühlen, Erziehung usw. Wenn etwa in einem Raum 20 Leute sitzen und ich sage das Wort "Löwe", um im Bild zu bleiben, dann geschieht bei jedem von den 20 Leuten Unterschiedliches. Je nachdem, was sie für Erfahrungen usw. mit Löwen schon hatten im Leben. Ich z.B. denke dann sofort, dass die streng riechen (Zirkus und Zoo und feine Nase).
Wenn nun etwa ein Mensch was Neues lernen soll z.B., dann wird mit dem Neuen immer auch das Alte, das schon da ist, wachgerufen. Der Mensch versucht, das Neue mit dem Alten in Einklang zu bringen - und zwar so, dass er möglichst sein Weltbild zu dem Thema nicht einreißen muss, weil das emotionalen Stress verursachen würde. Oder anders: schon bei der Wahrnehmung der Außenwelt verzerrt das Gehirn (und das ist völlig normal!!), damit wir alles aushalten können. Mein Doktorvater, ein Konstruktivist, hat mal den Satz geprägt: "Das Missverständnis ist in der menschlichen Kommunikation der Normalfall". Das meint der wörtlich: wir missverstehen uns hier auch gerade fortgesetzt, und das ist normal. Die Gehirne derer, die das hier lesen, werden verzerren ohne Ende und das, was ich meinte, passend zu dem machen, was schon da ist.

Dies als eine mögliche Perspektive auf das Thema Objektivität und Subjektivität. Es gibt für den Konstruktivismus eine objektive Außenwelt, aber die können wir getrost links liegen lassen, weil wir alle keinen unverzerrten Zugang zu ihr haben, sondern sie sofort vor dem Hintergrund unserer individuellen inneren Struktur verzerren (nebenbei, aus den Neurowissenschaften in den letzten Jahrzehnten zunehmend wissenschaftliche Bestätigung dieser Denkweise). Jeder hat vielmehr "sein" Bild von dieser Außenwelt. Das hört nicht jeder gern, vor allem nicht die Wissenschaftler selbst, grins. Aber es hat auch Vorteile: Die Grenzen zwischen "kranker" und "gesunder" Wahrnehmung sind offenbar nicht so schön trennscharf, wie es manche gern hätten, wenn eine gewisse Verzerrung der Normalfall ist. Wir können auch andere nicht manipulieren oder so beeinflussen, wie wir wollen - wir können uns nur über unsere Konstrukte verständigen und darüber, warum sie uns gegenwärtig lieb und teuer sind. Was wir befürchten, würden wir ganz anders denken usw. Wir können sie sanft bewegen (Driftzone nennen die Konstruktivsten das Fenster, innerhalb dessen jeder Mensch hier und heute bereit ist, seine Konstrukte zu verändern).

Spannende Sache, das.

Lieben Gruß, Soleil

P.S. Deutrino, Du hast an anderer Stelle mein "Alter" als unhöflich verstanden. Daran werde ich mich halten, da wir offenbar verschiedene Konstrukte dazu haben. Ich denke immer an den sympathischen Chirurgen aus "Scrubs", der mit diesem Wort Überraschung auszudrücken pflegt, vor allem Menschen gegenüber, die er mag. Was denkst Du, wenn Du das Wort so liest?

WWSCDneutrino

Re: Unzureichende Realitätswahrnehmung

Beitragvon WWSCDneutrino » 28. Juni 2013, 13:08

.
Zuletzt geändert von WWSCDneutrino am 7. Mai 2014, 23:08, insgesamt 1-mal geändert.

Benutzeravatar
Soleil
engagiert
engagiert
Beiträge: 169
Registriert: 10. April 2013, 10:23
SPS: Nein
Wohnort: Niedersachsen

Re: Unzureichende Realitätswahrnehmung

Beitragvon Soleil » 28. Juni 2013, 13:31

Liebe Neutrino,

ja, super, und ich habe Dich auch noch mal eben für einen Mann gehalten. UND auch noch deinen Namen falsch... ahäm. Der "Alter" - Benutzer bei Scrubs ist meistens dieser dunkelhäutige Arzt, dessen Namen mir grad nicht einfällt. Obwohl ich das gestern gerade gesehen habe, Mist. Ah doch, Dr. Turk!

Nee, keine schönen Assoziationen, ich verstehe. Bei uns wars früher entweder "Alten, ey!" oder "Alter Schwede". Auch nicht soooo toll. Aber ob Jugendsprech oder nicht, ich benutze halt Worte, die genau ausdrücken, was ich fühle. - Jedenfalls für mich, grins. Aber wie schon gesagt, das Missverständnis ist in der menschlichen Kommunikation... bla.

Es ging mir auch eher darum, Dich zu ermutigen, denn das, was Du da in der Liste schreibst, klingt schon auch nach Anstrengung und Verzweiflung. Nicht, dass ich das nicht auch kennen würde, aber es muss schon schwierig sein, ständig zu denken, oh man, hoffentlich ecke ich nicht an. Du eckst ja nicht mit Absicht an, sondern sozusagen trotz Konzentration. Aber vielleicht beruhigt es Dich: ich finde halt, das wollte ich sagen, andere auch ziemlich empfindlich manchmal. Und auch ziemlich indirekt. Wenn mir einer sagt, nimm, soviel Du magst, dann mache ich das auch, soll er sich halt anders ausdrücken. Im Zweifel, etwa, wenn er dann angewidert guckt, würde ich dem das auch ins Gesicht sagen: wieso hast Du mir das dann erlaubt...?! Da hab ich auch so meine "schizoiden" Anteile, wenn man so will. Ich kanns nicht immer leiden, wenn Leute was nicht wörtlich meinen.

Noch schlimmer: wenn Leute glauben, man selbst wäre auch so drauf und meinte eigentlich was anderes, als man gesagt hat. Und dann, so nenne ich das, ständig in einem "rumröntgen", oder anders: was in mich hinein interpretieren, was ich nie gesagt oder gedacht habe, weil ich dann doch eher geradeaus bin. Ich mag manchmal hart rüberkommen. Aber meine Philosophie ist: das, was ich dann gesagt habe, bin ICH. Keine bösen Überraschungen darüber hinaus, keine tückischen heimlichen Hintergedanken oder so. Und ich wundere mich so wie Du, dass man damit aneckt - die Leute wollen offenbar hin und wieder keine Ehrlichkeit, wo ich sie angebracht und überhaupt nicht schädlich fände, warum auch immer.

Und wie schon geschrieben, klar, wenn ich jemandem sagen will, dass ich ihn etwa nervig finde, dann sage ich das auch nicht einfach so. Es gibt einen Unterschied zwischen aus meiner Sicht sinnlosen und oberflächlichen Höflichkeitsregeln (fragen, wie gehts Dir und nicht ernsthaft Interesse an einer ehrlichen Antwort haben z.B.) und wirklicher Höflichkeit, die andere nicht verletzen will. Auch DA hilft sehr (!) der Konstruktivismus. Wenn ich etwa jemanden nervig finde, denke ich mittlerweile erstmal drüber nach, warum ICH den nervig finde: was sagt das eigentlich über mich aus, dass ich das und das nervig finde? Dass ich das und das an dem nicht aushalten kann? Andere können den Zeitgenossen genau deshalb total sympathisch finden (andere Konstrukte halt). Das Nervige ist erstmal nur meine Wahrnehmung, also eine Aussage darüber, wie meine innere Struktur auf diesen Menschen reagiert. Nichts IST so, nur weil ich das (aus Angst, Bequemlichkeit usw.) so finde. Nicht jeder hat einen Faible für Theorie, aber Du ahnst nicht, wie mir dieser Konstruktivismus geholfen hat!!!

Lieben Gruß, Soleil

Nordstern
engagiert
engagiert
Beiträge: 207
Registriert: 20. August 2013, 08:46
SPS: Eher Ja
Wohnort: Schleswig-Holstein

Re: Unzureichende Realitätswahrnehmung

Beitragvon Nordstern » 24. August 2013, 13:23

Hallo,

wieso heißt es unzureichende Realitätswahrnehmung? Für mich wäre abweichende oder andere Realitätswahrnehmung zutreffender.

Unzureichend bedeutet für mich, dass ich die Realität nicht vollständig wahrnehme, dass es einen Teil gibt, den ich nicht erkenne. Das glaube ich nicht. Ich weiß aus vielen Situationen, dass ich akustisch und optisch mehr wahrnehme als andere Personen. Theoretisch steht mir damit für die Wahrnehmung der Realität mehr Material zur Verfügung als den anderen. Möglicherweise gewichte ich die Beobachtungen anders oder ich lege andere Bewertungsmaßstäbe an. Dadurch wird meine Realitätswahrnehmung aber doch nicht unzureichend (?).

Ambivalenz hat geschrieben:Einem Subjekt ist es unmöglich, objektiv zu sein.


Das halte ich für vollkommen richtig. Es gibt keine objektive Realität. Die Realitätswahrnehmung ist immer durch die Persönlichkeit beeinflusst. Bei der Wahrnehmung spielt eine Rolle:
- wie viel Material steht zur Verfügung
- wie stark werden einzelne Teile gewichtet
- welche grundlegenden Maßstäbe werden angelegt (persönliche Wertvorstellungen)
- in welcher konkreten Situation findet die Wahrnehmung statt
Sicherlich gibt es noch weitere Kriterien...

Wenn von der Realität gesprochen wird, kann es sich nur um die von der Gesellschaft als Norm angesehene Realität handeln. Es kann sich nur um die Realität handeln, welche in dieser Form von der Mehrheit in der Gesellschaft wahrgenommen wird. Eine hiervon abweichende Beschreibung der individuellen Realität kann aus meiner Sicht aber nicht als "unzureichend" bezeichnet werden. Daher mein Ansatz, sie eher als "abweichend" oder "anders" zu umschreiben.

Vielleicht nehme ich das auch zu wörtlich oder bin gedanklich total auf dem Holzweg (?). Da mich die Sache aber doch gedanklich stark beschäftigt, würde ich mich über eure Meinung freuen.

LG
Nordstern. :stern:
[align=left]Die Tatsache ist ein kleiner kompakter Glaube.[/align] (Les Murray)


Zurück zu „Schizoide Wesenswelten“

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 31 Gäste