Eine kafkaeske Beziehung
Verfasst: 10. Februar 2016, 14:54
Hallo,
vor kurzem habe ich mich erst hier im Forum angemeldet. Ich möchte aber gleich die Geschichte der Beziehung mit einer Frau erzählen, weil ich seit drei Jahren darüber nachgrüble und hoffe, auf diese Weise von der ewigen Grübelei (mit Selbstgesprächen verbundenes perseveratives Denken, ich bin fast ständig alleine) loszukommen.
Die Geschichte meiner Beziehung mit der Frau (die Beziehung ist seit gut drei Jahren beendet) ist höchst ungewöhnlich und dürfte in dieser Form selten vorgekommen sein.
Wir haben sage und schreibe 25 Jahre krass an einander vorbeigelebt, ohne es zu merken.
Sie wollte mich heiraten und setze auf eine Langzeitstrategie, wartete geduldig und sagte nichts. Ich wollte nicht heiraten, sagte deshalb nichts. Sie glaubte sich mit mir im stillschweigenden Einvernehmen, dass wir, spätestens nach meiner Pensionierung, heiraten würden. Dafür nahm sie als Beweis, dass ich die Beziehung nicht abbrechen konnte. Ich glaubte mich mit ihr im stillschweigenden Einvernehmen, dass wir nicht heiraten würden. Dafür nahm ich als Beweis, dass sie nichts sagte. Die Beziehung konnte ich nicht abbrechen, weil die Frau sich von mir geduldig auf Distanz halten ließ. Denn nur auf Distanz konnte ich eine Beziehung führen.
Ich kann die ganze Geschichte unmöglich auf einmal erzählen. Ihre Quintessenz ist, dass niemand so verrückt ist, als dass er nicht noch eine(n) Verrücktere(n) fände, der auf ihn herein fiele.
Ich gab eine Kontaktanzeige auf, um eine Partnerin (ich verspürte Lust auf Sex) zu finden. Ich war damals 36 und traf auf eine 38-Jährige, die mir nicht sonderlich gefiel. Sie war nicht mein Typ. Dennoch ging ich eine Beziehung mit ihr ein. Ich hatte die Tatsache, dass sie nicht mein Typ war, von mir abgespalten. Heute weiß ich, dass ich gar kein Bedürfnis nach einer engeren Beziehung habe (nach einer Beziehung schon, aber sie darf nicht zu eng sein). Heute weiß ich auch, dass ich als Mann gar nicht auf Frauen stehe, sondern homosexuell bin. Das hatte ich damals ebenfalls von mir abgespalten. Ich fühlte mich keinesfalls als schwul, sondern als verklemmter Heterosexueller. Als wir das erste Mal ins Bett gingen, versagte ich sexuell. Sie hielt mich daraufhin für impotent. Das war ich jedoch keineswegs.
Ich wollte Sex mit einer Frau, wollte ihn gleichzeitig jedoch nicht. Ich wollte die Frau als Partnerin, wollte sie gleichzeitig aber auch los werden, konnte es aber nicht, da ich dann ganz allein gewesen wäre.
Da die Frau ebenfalls psychisch gestört war (endogene Depression und meines Erachtens auch leicht schizoide Züge hatte) nahm eine 25-jährige Beziehung ihren Lauf, wie sie - in dieser Form jedenfalls - die Welt selten gesehen haben dürfte. Man könnte darüber lachen, wenn es nicht so tragisch grotesk und kafkaesk gewesen wäre.
Hier möchte ich erst einmal abbrechen.
---
Ich fahre fort, die Geschichte meiner Beziehung mit Maria (Name geändert) zu erzählen.
Bemerkenswert ist, dass mir diese Frau, die ich durch eine Kontaktanzeige kennen gelernt hatte, eigentlich gar nicht gefiel. Da ich aber das Gefühl hatte, sie könnte sich auf mich einlassen und da ich nicht völlig allein sein wollte, ließ ich mich auf die Beziehung ein.
Es war eine Wochenend-Beziehung. Ich besuchte sie sonntags, wir ging zusammen spazieren und tranken Kaffee. Dann fuhr ich wieder für eine Woche oder 14 Tage nach Hause (wir wohnten etwa 35 Kilometer auseinander).
Mir ging es damals nicht gut, ich litt unter depressiven Verstimmungen und war froh, wenigstens eine Wochenend-Beziehung zu haben.
Wir hatten zunächst Sex. Schon nach kurzer Zeit machte ich ihr eine Szene. Ich schmiss sie aus meiner Wohnung, wo sie mich besucht hatte. Heute weiß ich, warum: Die Beziehung wurde mir zu eng. Das konnte ich nicht ertragen. Sie glaubte schon, die Beziehung sei zu Ende. Aber nach wenigen Tagen meldete ich mich wieder, als ob nichts geschehen sei. Darüber wunderte sie sich. Sie war bereit, die Beziehung fortzusetzen.
Das Verhalten, den Partner tief zu verletzen, dann aber so zu tun, als ob nichts geschehen wäre, ist typisch.
Wir hatten dann noch einige Zeit Sex mit einander. Bis sie ihn mir aufkündigte. Denn ich hatte im Bett zunehmend keine rechte Lust mehr. Das waren nur noch mechanische Turnübungen, die ich veranstaltete. Sie kündigte mir aber die Beziehung nicht auf, sondern setzte sie als platonische Wochenend-Freundschaft fort. Dass sie Hintergedanken dabei hatte, ahnte ich nicht.
Ich möchte hier einmal innehalten und meiner Meinung nach einige typische schizoide Merkmale aufzählen: Eingehen einer Beziehung mit einem Partner, den man eigentlich gar nicht mag und mit dem man nicht viel anfangen kann; abruptes Zurückstoßen dieses Partners aus heiterem Himmel, wenig später wird versucht, so zu tun, als sei gar nichts gewesen; Angst und Unbehagen vor zu großer Nähe, Schwierigkeit mit Sex, es fehlt die rechte Lust zum intimen Verkehr mit einem anderen Menschen. Das heißt nicht, dass keine Sexualität da ist, aber es ist schwer, sie mit anderen auszuleben.
(Fortsetzung folgt)
---
Mit dem Dritten Teil möchte ich meinen Bericht über den von mir praktizierten "schizoiden Kompromiss" zu Ende bringen.
Die Beziehung zwischen mir und meiner Freundin bestand insgesamt 25 Jahre. Sie war abgesehen von den beiden ersten Jahren platonisch und bestand darin, dass ich sie sonntags besuchte, mit ihr spazieren ging oder fuhr und mit ihr in einem Café einkehrte. Außerdem fuhren wir etwa ein bis zwei Mal im Jahr bei getrennten Hotelzimmern in Urlaub und trafen uns an Feiertagen unter der Woche.
Die kafkaeske Dimension lag darin, dass wir vollständig aneinander vorbei lebten, ohne es zu merken. Meine Freundin setzte auf eine Langzeitstrategie. Sie sah, dass ich massive soziale Probleme hatte und keine andere Partnerin fand. Sie rechnete darauf, dass ich irgendwann, spätestens nach meiner Pensionierung im Alter, nicht anders können würde, als sie zu heiraten und damit materiell zu versorgen, denn sie bekam eine recht knappe Rente. Sie hat mir im Vorfeld unserer Trennung gesagt, dass sie mit mir eine Zweckbeziehung geführt hat. Sie dachte zweckrational und war mir gegenüber weitgehend ohne Gefühle. Sie war extrem verschlossen und reserviert. Sie sagte auch nichts über ihre Pläne mit mir.
Auf der anderen Seite habe ich mit ihr ebenfalls eine Zweckbeziehung geführt, aber ich hatte einen anderen Zweck, nämlich den schizoiden Kompromiss. Was ist ein schizoider Kompromiss? Näheres unter Google im Internet. Aber man kann die Sache auf die kurze Formel bringen: "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!"
Der schizoide Kompromiss bleibt in der Mitte zwischen vollständigem Alleinsein und enger Beziehung (Zusammenleben in einer gemeinsamen Wohnung ohne oder mit Trauschein) stecken. Ich war nicht allein, hatte aber auch keine engere Beziehung. Der schizoide Kompromiss ist ein Notbehelf. Wer ihn eingeht, ist vor dem Schlimmsten (dem vollständigen Alleinsein) bewahrt, aber er wird auch nicht glücklich.
Der schizoide Kompromiss ist mit einem Ersatzrad am Pkw vergleichbar. Dieses Ersatzrad verhindert, dass man liegen bleibt. Man kann weiterfahren, aber nur bis zur nächsten Werkstatt, da es sich um einen Notbehelf handelt. Der Schizoide fährt aber mit diesem Notreifen sein Leben lang und ist damit in seiner Bewegungsfähigkeit eingeschränkt.
Der Schizoide fürchtet sich oder ist unfähig, seinen Notreifen gegen ein vollwertiges Rad auszutauschen. Er schreckt vor dieser Operation zurück. Ich habe mich mit Kafka beschäftigt und ich spüre deutlich, dass auch er in diese Kategorie fällt, wenn man etwa seine Beziehungen mit Frauen betrachtet. Man denke an die berühmte Verlobung mit Felice, die zweimal aufgelöst wurde und schließlich zu nichts führte.
Ein ähnlicher Fall ist übrigens auch Heinrich von Kleist.
[mod="sdsdsdsv"]Die drei Teile wurden zusammengefügt. Weitere Erklärung siehe unten.[/mod]
vor kurzem habe ich mich erst hier im Forum angemeldet. Ich möchte aber gleich die Geschichte der Beziehung mit einer Frau erzählen, weil ich seit drei Jahren darüber nachgrüble und hoffe, auf diese Weise von der ewigen Grübelei (mit Selbstgesprächen verbundenes perseveratives Denken, ich bin fast ständig alleine) loszukommen.
Die Geschichte meiner Beziehung mit der Frau (die Beziehung ist seit gut drei Jahren beendet) ist höchst ungewöhnlich und dürfte in dieser Form selten vorgekommen sein.
Wir haben sage und schreibe 25 Jahre krass an einander vorbeigelebt, ohne es zu merken.
Sie wollte mich heiraten und setze auf eine Langzeitstrategie, wartete geduldig und sagte nichts. Ich wollte nicht heiraten, sagte deshalb nichts. Sie glaubte sich mit mir im stillschweigenden Einvernehmen, dass wir, spätestens nach meiner Pensionierung, heiraten würden. Dafür nahm sie als Beweis, dass ich die Beziehung nicht abbrechen konnte. Ich glaubte mich mit ihr im stillschweigenden Einvernehmen, dass wir nicht heiraten würden. Dafür nahm ich als Beweis, dass sie nichts sagte. Die Beziehung konnte ich nicht abbrechen, weil die Frau sich von mir geduldig auf Distanz halten ließ. Denn nur auf Distanz konnte ich eine Beziehung führen.
Ich kann die ganze Geschichte unmöglich auf einmal erzählen. Ihre Quintessenz ist, dass niemand so verrückt ist, als dass er nicht noch eine(n) Verrücktere(n) fände, der auf ihn herein fiele.
Ich gab eine Kontaktanzeige auf, um eine Partnerin (ich verspürte Lust auf Sex) zu finden. Ich war damals 36 und traf auf eine 38-Jährige, die mir nicht sonderlich gefiel. Sie war nicht mein Typ. Dennoch ging ich eine Beziehung mit ihr ein. Ich hatte die Tatsache, dass sie nicht mein Typ war, von mir abgespalten. Heute weiß ich, dass ich gar kein Bedürfnis nach einer engeren Beziehung habe (nach einer Beziehung schon, aber sie darf nicht zu eng sein). Heute weiß ich auch, dass ich als Mann gar nicht auf Frauen stehe, sondern homosexuell bin. Das hatte ich damals ebenfalls von mir abgespalten. Ich fühlte mich keinesfalls als schwul, sondern als verklemmter Heterosexueller. Als wir das erste Mal ins Bett gingen, versagte ich sexuell. Sie hielt mich daraufhin für impotent. Das war ich jedoch keineswegs.
Ich wollte Sex mit einer Frau, wollte ihn gleichzeitig jedoch nicht. Ich wollte die Frau als Partnerin, wollte sie gleichzeitig aber auch los werden, konnte es aber nicht, da ich dann ganz allein gewesen wäre.
Da die Frau ebenfalls psychisch gestört war (endogene Depression und meines Erachtens auch leicht schizoide Züge hatte) nahm eine 25-jährige Beziehung ihren Lauf, wie sie - in dieser Form jedenfalls - die Welt selten gesehen haben dürfte. Man könnte darüber lachen, wenn es nicht so tragisch grotesk und kafkaesk gewesen wäre.
Hier möchte ich erst einmal abbrechen.
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Ich fahre fort, die Geschichte meiner Beziehung mit Maria (Name geändert) zu erzählen.
Bemerkenswert ist, dass mir diese Frau, die ich durch eine Kontaktanzeige kennen gelernt hatte, eigentlich gar nicht gefiel. Da ich aber das Gefühl hatte, sie könnte sich auf mich einlassen und da ich nicht völlig allein sein wollte, ließ ich mich auf die Beziehung ein.
Es war eine Wochenend-Beziehung. Ich besuchte sie sonntags, wir ging zusammen spazieren und tranken Kaffee. Dann fuhr ich wieder für eine Woche oder 14 Tage nach Hause (wir wohnten etwa 35 Kilometer auseinander).
Mir ging es damals nicht gut, ich litt unter depressiven Verstimmungen und war froh, wenigstens eine Wochenend-Beziehung zu haben.
Wir hatten zunächst Sex. Schon nach kurzer Zeit machte ich ihr eine Szene. Ich schmiss sie aus meiner Wohnung, wo sie mich besucht hatte. Heute weiß ich, warum: Die Beziehung wurde mir zu eng. Das konnte ich nicht ertragen. Sie glaubte schon, die Beziehung sei zu Ende. Aber nach wenigen Tagen meldete ich mich wieder, als ob nichts geschehen sei. Darüber wunderte sie sich. Sie war bereit, die Beziehung fortzusetzen.
Das Verhalten, den Partner tief zu verletzen, dann aber so zu tun, als ob nichts geschehen wäre, ist typisch.
Wir hatten dann noch einige Zeit Sex mit einander. Bis sie ihn mir aufkündigte. Denn ich hatte im Bett zunehmend keine rechte Lust mehr. Das waren nur noch mechanische Turnübungen, die ich veranstaltete. Sie kündigte mir aber die Beziehung nicht auf, sondern setzte sie als platonische Wochenend-Freundschaft fort. Dass sie Hintergedanken dabei hatte, ahnte ich nicht.
Ich möchte hier einmal innehalten und meiner Meinung nach einige typische schizoide Merkmale aufzählen: Eingehen einer Beziehung mit einem Partner, den man eigentlich gar nicht mag und mit dem man nicht viel anfangen kann; abruptes Zurückstoßen dieses Partners aus heiterem Himmel, wenig später wird versucht, so zu tun, als sei gar nichts gewesen; Angst und Unbehagen vor zu großer Nähe, Schwierigkeit mit Sex, es fehlt die rechte Lust zum intimen Verkehr mit einem anderen Menschen. Das heißt nicht, dass keine Sexualität da ist, aber es ist schwer, sie mit anderen auszuleben.
(Fortsetzung folgt)
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Mit dem Dritten Teil möchte ich meinen Bericht über den von mir praktizierten "schizoiden Kompromiss" zu Ende bringen.
Die Beziehung zwischen mir und meiner Freundin bestand insgesamt 25 Jahre. Sie war abgesehen von den beiden ersten Jahren platonisch und bestand darin, dass ich sie sonntags besuchte, mit ihr spazieren ging oder fuhr und mit ihr in einem Café einkehrte. Außerdem fuhren wir etwa ein bis zwei Mal im Jahr bei getrennten Hotelzimmern in Urlaub und trafen uns an Feiertagen unter der Woche.
Die kafkaeske Dimension lag darin, dass wir vollständig aneinander vorbei lebten, ohne es zu merken. Meine Freundin setzte auf eine Langzeitstrategie. Sie sah, dass ich massive soziale Probleme hatte und keine andere Partnerin fand. Sie rechnete darauf, dass ich irgendwann, spätestens nach meiner Pensionierung im Alter, nicht anders können würde, als sie zu heiraten und damit materiell zu versorgen, denn sie bekam eine recht knappe Rente. Sie hat mir im Vorfeld unserer Trennung gesagt, dass sie mit mir eine Zweckbeziehung geführt hat. Sie dachte zweckrational und war mir gegenüber weitgehend ohne Gefühle. Sie war extrem verschlossen und reserviert. Sie sagte auch nichts über ihre Pläne mit mir.
Auf der anderen Seite habe ich mit ihr ebenfalls eine Zweckbeziehung geführt, aber ich hatte einen anderen Zweck, nämlich den schizoiden Kompromiss. Was ist ein schizoider Kompromiss? Näheres unter Google im Internet. Aber man kann die Sache auf die kurze Formel bringen: "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!"
Der schizoide Kompromiss bleibt in der Mitte zwischen vollständigem Alleinsein und enger Beziehung (Zusammenleben in einer gemeinsamen Wohnung ohne oder mit Trauschein) stecken. Ich war nicht allein, hatte aber auch keine engere Beziehung. Der schizoide Kompromiss ist ein Notbehelf. Wer ihn eingeht, ist vor dem Schlimmsten (dem vollständigen Alleinsein) bewahrt, aber er wird auch nicht glücklich.
Der schizoide Kompromiss ist mit einem Ersatzrad am Pkw vergleichbar. Dieses Ersatzrad verhindert, dass man liegen bleibt. Man kann weiterfahren, aber nur bis zur nächsten Werkstatt, da es sich um einen Notbehelf handelt. Der Schizoide fährt aber mit diesem Notreifen sein Leben lang und ist damit in seiner Bewegungsfähigkeit eingeschränkt.
Der Schizoide fürchtet sich oder ist unfähig, seinen Notreifen gegen ein vollwertiges Rad auszutauschen. Er schreckt vor dieser Operation zurück. Ich habe mich mit Kafka beschäftigt und ich spüre deutlich, dass auch er in diese Kategorie fällt, wenn man etwa seine Beziehungen mit Frauen betrachtet. Man denke an die berühmte Verlobung mit Felice, die zweimal aufgelöst wurde und schließlich zu nichts führte.
Ein ähnlicher Fall ist übrigens auch Heinrich von Kleist.
[mod="sdsdsdsv"]Die drei Teile wurden zusammengefügt. Weitere Erklärung siehe unten.[/mod]