Here I am

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Chev
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Here I am

Beitragvon Chev » 7. August 2020, 10:46

Hallo zusammen

Ich bin ein 36 Jahre alter Mann aus der Schweiz und glaube, eine schizoide Persönlichkeitsstörung zu haben. Allerdings gibt es keine Diagnose, da ich erst gerade daran bin, die richtige Fachperson dafür zu finden. Scheinbar ist diese Störung ja auch für Therapeut*innen aufgrund oft mangelnder Erfahrung nicht so einfach, da ja viele gar nicht in Therapie gehen. Ein Erstgespräch habe ich bereits hinter, das mir durch die Hausarztpraxis vermittelt wurde. Dort fühlte ich mich aber überhaupt nicht verstanden, bzw. hatte das Gefühl, es bestand gar nicht das Interesse, ein gesamtheitliches Bild abzufragen.

Dass ich nicht bin wie andere Menschen ist mir schon seit der Kindheit bzw. spätestens seit dem Teenager-Alter bewusst. Da ich aber auch schwul bin, habe ich es wohl lange auch eher darauf geschoben. Aufgrund von starkem Mobbing im neunten Schuljahr lebe ich seither aber sehr zurückgezogen. Mit der Familie habe ich sehr wenig Kontakt und habe mittlerweile eigentlich gar keine Freunde mehr, abgesehen von meinem Partner, mit dem ich aber immerhin seit 14 Jahren zusammen bin. Er ist die einzige Person, für die ich Platz habe in meinem Leben, aber auch er tut mir manchmal leid, weil er meinen ausgeprägten Bedürfnissen von Raum und Ruhe halt ausgesetzt ist. Glücklicherweise kommt er aber auch ganz gut damit zurecht. Vor ein paar Jahren kamen wir zum Entschluss, dass ich eventuell einfach Asperger-Tendenzen habe und die sozialen Defizite und auch die Empfindlichkeit auf Lärm und viele Leute darauf zurückzuführen sind. Diese Erkenntnis half uns ein wenig, das Ganze zu akzeptieren. Mittlerweile glaube ich aber eher, dass es eine schizoide Persönlichkeitsstörung ist, da die Symptome recht gut passen und doch einige Aspekte von Autismus bei mir fehlen. Womit ich eigentlich am meisten zu kämpfen habe und weshalb ich jetzt auch das Bedürfnis nach einer Diagnose und ev. Therapie habe, ist das Fehlen von Freude in meinem Leben. Ich treibe einfach mein Leben lang herum, ohne richtige Ziele, Träume, Leidenschaft, und nichts macht über längere Zeit Spass. Von Zeit zu Zeit finde ich mal wieder ein Hobby (Origami, Programmieren, Häkeln,...), wo ich mich eine Weile reinhängen kann. Aber zum einen verleidet mir das dann auch immer relativ schnell wieder, und zum anderen empfinde ich es auch oft mehr als Beschäftigung als als Hobby. Oder ich mache es mehr, weil ich gut darin bin, als weil ich es gern tue. Oder ich hätte Lust etwas neues anzufangen, finde aber tausend Gründe, die dagegen sprechen wie Kosten, Weg, oder die Abhängigkeit von anderen Personen. Auch in meinem Beruf, wo ich zwar in einem Team arbeiten muss, aber mich soweit es geht abgrenzen kann, finde ich keine Erfüllung.

Komischerweise finde ich zu diesem Aspekt des Leidens an der fehlenden Freude sehr wenig Erfahrungsberichte online. Macht euch das nichts aus? Ich frage mich einfach, wie ein Leben ohne wirklichen Spass und das Gefühl von glücklich sein lebenswert sein kann.

Ich fühle mich manchmal, als wäre ich ein Luftballon, der einfach so vor sich hin schwebt, losgelöst vom Rest der Welt und ohne eigenen Motor, der mir Antrieb und Richtung vorgibt. Und mein Freund ist der einzige, der die Schnur des Ballons in der Hand hält und so einen Kontakt zur Welt aufrecht erhält. Ich fürchte mich auch ein bisschen davor, was passiert, wenn diese Beziehung irgendwann mal zu Ende gehen sollte, und niemand mehr den Ballon festhält. Ich hoffe, dass mir eine Therapie für das Finden von Freude und ev. auch für den Aufbau eines Auffangnetzes für den Fall dass der Ballon wegschwebtm helfen kann...

Das sind so meine Gedanken, die mich im Moment beschäftigen. Ich schaue nun mal noch durch das Forum. Vielleicht finde ich den einen oder anderen hilfreichen Gedanken. Ich freue mich auch, von euch zu hören, wenn euch etwas davon bekannt vorkommt, und ihr etwas dazu sagen wollt.

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Re: Here I am

Beitragvon Ziege007 » 7. August 2020, 20:49

Hallo Chev,

schön, dass du hier bist!

Ich bin auch noch ganz frisch in diesem Forum und ich habe auch (noch) keine Diagnose.

Was du da beschreibst kommt mir bekannt vor.
Für mich war und ist das immer wieder ziemlich zermürbend, das Gefühl zu haben ziellos zu sein und gleichzeitig nirgendwo bleiben zu können. Manchmal treibt mich das an den Rand des Erträglichen und es fühlt sich ziemlich einsam an.
Bisher hat es mich dann zum Glück doch immer wieder dazu angetrieben, weiter zu suchen und die Hoffnung nicht zu verlieren.

Gerade gibt mir dieses Forum viel Halt, Hoffnung und Erkenntnis. Vielleicht hilft es dir ja auch weiter.
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verwende ich bei Personenbezeichnungen und personenbezogenen Hauptwörtern die männliche Form. Entsprechende Begriffe gelten grundsätzlich für alle Geschlechter.

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Re: Here I am

Beitragvon Schabenkraut82 » 7. August 2020, 22:42

Klingt doch sehr vertraut .. ich glaube du bist auf der richtigen Fährte.

Auch bei mir ist die Anhedonie (Freudlosigkeit) ein großes Thema. Und ja es belastet mich sehr und macht mich unverständlich für meine Mitmenschen.
Ich bemühe mich bewusst meinen Drang nach perfekter Rechtschreibung, Grammatik und Zeichensetzung zu unterdrücken. Meine Beiträge erstelle ich mit dem Smartphone für eine sehr begrenzte Leserschaft. Die Investition an Zeit lohnt sich nicht.

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Re: Here I am

Beitragvon Insuffizienz » 8. August 2020, 09:00

Hallo Chev.

Interessant finde ich, dass du bei den Beispielen für die Hobbys, die du manchmal für dich findest, eigentlich nur Hobbys aufzählst, die man allein macht (zumindest machen kann). Da wäre meine Frage, ob du nicht einmal Hobbys suchen könntest, bei denen man mit anderen zusammenarbeitet? Ich kann nur vermuten: vielleicht plagt dich auch Einsamkeit? - das wäre ein Schritt etwas dagegen zu tun.
Aber das war jetzt nur mein Gedanke dazu.

Was mich noch interessieren würde, warum meidest du genau soziale Kontakte bzw. (wahrscheinlich) dich anderen gegenüber zu öffnen? Aus Desinteresse? Aus Unbehagen bei zwischenmenschlicher Nähe? Aus Angst vor (unvertrauten) Menschen? Aus (emotionaler, sensorischer usw.) Überlastung unter Menschen zu sein?

Gruß
Zuletzt geändert von Insuffizienz am 8. August 2020, 17:28, insgesamt 1-mal geändert.

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Re: Here I am

Beitragvon Richey Edwards » 8. August 2020, 09:19

Chev hat geschrieben:Scheinbar ist diese Störung ja auch für Therapeut*innen aufgrund oft mangelnder Erfahrung nicht so einfach, da ja viele gar nicht in Therapie gehen.


Meine Therapeutin kannte gar nicht den Unterschied zwischen schizoid und schizophren.
Na ja, ich hab sie dann aufgeklärt. :breites grinsen:

Chev hat geschrieben:Partner, mit dem ich aber immerhin seit 14 Jahren zusammen bin

Chev hat geschrieben:Beruf, wo ich zwar in einem Team arbeiten muss, aber mich soweit es geht abgrenzen kann


Von außen betrachtet könnte man sagen: Du hast einen Partner und einen Beruf, bist
also immerhin doppelt in der Menschenwelt "verankert".
Auch wenn es verständlich ist, dass du mehr möchtest (Freude, Erfüllung,...), so ist das doch zumindest
kein schlechter "Ausgangspunkt". Es ist gut, dass du einen Partner und einen Beruf hast,
diese beiden Anker geben zumindest Sicherheit und Stabilität, oder nicht?

Hallo und herzlich willkommen! :winken:
Ich würde keinem Club angehören wollen, der mich als Mitglied aufnimmt. (G. Marx)
Wenn man im fahrenden Zug in die Gegenrichtung geht, fährt der Zug trotzdem in die falsche Richtung. (Welzer) Es gibt keine hoffnungslosen Fälle, nur hoffnungslose Menschen.

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Re: Here I am

Beitragvon 2ost » 8. August 2020, 11:11

Chev hat geschrieben:Ein Erstgespräch habe ich bereits hinter, das mir durch die Hausarztpraxis vermittelt wurde. Dort fühlte ich mich aber überhaupt nicht verstanden, bzw. hatte das Gefühl, es bestand gar nicht das Interesse, ein gesamtheitliches Bild abzufragen.
Kommt mir bekannt vor. Bei meiner Diagnosefindung wollten mich viele einfach nur therapieren, ohne überhaupt zu wissen was ich habe, bzw. ob ich denn überhaupt was habe. Das ich eine grundsätzliche Antwort haben wollte (ob) was denn nicht stimmte? Schien außer mich selbst nienanden groß zu interessieren.
Chev hat geschrieben:Womit ich eigentlich am meisten zu kämpfen habe und weshalb ich jetzt auch das Bedürfnis nach einer Diagnose und ev. Therapie habe, ist das Fehlen von Freude in meinem Leben.
Mein dritter und letzter Anlauf in Sachen Diagnosefindung lief ziemlich genau darum (wider vermeintlich besseren Wissens) an: Ich hatte mich aus einer vormals hoffnungslos scheinenden Lebenssituation in einem solchen Maße freigekämpft, das jeder andere Mensch vermutlich Freudentänze veranstaltet und in Champagner fortan gebadet hätte. Ich stand da, wartete auf irgendwas in der Art und... merkte keinen wirklichen Unterschied zu vorher.
Chev hat geschrieben:Komischerweise finde ich zu diesem Aspekt des Leidens an der fehlenden Freude sehr wenig Erfahrungsberichte online. Macht euch das nichts aus?
Bei mir paart sich der Zugang zur Freude anscheinend mit dem zum.Leid. Wäre da kein Leid, hätte ich wohl nie die Diagnose gesucht. Aber auch das ist halt, wie die Freude, ziemlich tief vergraben. Aber es gibt hier im Forum, und wohl auch in der Literatur, Stimmen, die (eventuell ja eben darum?) die SPS und Depressionen als recht häufig komorbid beschreiben (wenn ich nicht irre).
Chev hat geschrieben:Ich frage mich einfach, wie ein Leben ohne wirklichen Spass und das Gefühl von glücklich sein lebenswert sein kann.
Gib Bescheid, wenn du es rausgefunden hast! Nein, im Ernst: Ich habe immer wieder seltene Kleinigkeiten (ein schöner Sonnenaufgang, etc.), die ich verpassen würde, wenn ich nicht mehr lebte. Das ist nicht viel (oder hört sich zumindest nicht danach an), reicht für mich aber zum Weitermachen. Und darüber hinaus habe ich ja auch eh kaum eine andere Wahl, als halt jeden Morgen aufzustehen und eben zu tun, was der Rest der Welt scheinbar von mir erwartet.
Chev hat geschrieben:Ich fürchte mich auch ein bisschen davor, was passiert, wenn diese Beziehung irgendwann mal zu Ende gehen sollte, und niemand mehr den Ballon festhält.
Bin zwar beziehungslos, hatte aber eine Weile der engsten Familie diese Funktion auch eingeräumt und ähnliche Befürchtungen, was passieren würde, wenn ich eben jenen Anker je verlöre. Inzwischen bin ich berufsbedingt in einem anderen Bundesland und... nichts. Kann bei jedem natürlich anders ablaufen, aber zumindest in meinem Fall, war die Sorge unbegründet. (Vor der Diagnose hab ich solch eine Reaktion/Haltung schlicht nicht für vorstellbar gehalten und mich darum fast schon so (sorgenvoll) verhalten, wie ich es für angemessen hielt. Mit der Erkenntnis, das ich da ev. einfach anders ticke, scheint mir meine Sorge rückblickend eher wie ein dilletantisches Schauspiel vor mir selbst. Familie ist in meinem Fall natürlich immer noch da, und nicht etwa unerreichbar fort, aber selbst dort tut mir der größere Abstand gefühlt inzwischen eher gut, habe ich dadurch doch noch mehr an kostbarem Rückzugsraum so für mich gewonnen.

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Re: Here I am

Beitragvon Chev » 8. August 2020, 21:19

Vielen Dank erst mal für eure Antworten und Reaktionen. Der Grundtonus scheint also so, dass diese Anhedonie schon für einige ein Problem ist. Ich frage mich nun, ob es denn gar keinen Weg gibt, diese Glücksgefühle wieder "freizuschalten", oder irgendwie einen Weg zu finden, die Freude wieder zu erkennen und zu erleben? Hat da jemand Erfahrung, oder kennt jemanden, dem das gelungen ist? Wenn das Symptom nicht durch eine Depression entstanden ist, wirken Medikamente ja wahrscheinlich auch nur bedingt.

Insuffizienz hat geschrieben:Interessant finde ich, dass du bei den Beispielen für die Hobbys, die du manchmal für dich findest, eigentlich nur Hobbys aufzählst, die man allein macht (zumindest machen kann). Da wäre meine Frage, ob du nicht einmal Hobbys suchen könntest, bei denen man mit anderen zusammenarbeitet? Ich kann nur vermuten: vielleicht plagt dich auch Einsamkeit? - das wäre ein Schritt etwas dagegen zu tun.

Ich glaube, es ist weniger direkt die Einsamkeit selbst, die mich plagt, sondern die Unzufriedenheit, dass eben einige Dinge, die ich eigentlich gern machen würde, davon abhängig sind, dass andere Personen dafür nötig sind. Beispielsweise mag ich Dinge wie Escape Rooms, oder Gesellschaftsspiele, da das durch wechselnde Rätsel/Impulse nicht so schnell verleidet. Mein Freund hat aber dazu zum Einen weniger Spass dran und zum anderen braucht es oft noch weitere Personen, um ein bisschen Dynamik reinzubringen. Komplett fremde Leute sind dafür aber auch nicht so geeignet, da es ein gewisses Gespür für die anderen braucht und eine Gelassenheit im Umgang miteinander beim Gegeneinander mehr Spass macht. Aber ja, vielleicht gäbe es hier eine Möglichkeit, ein Grüppchen zu finden, wo man sich gezielt dafür trifft, und mit der Zeit kennt man sich ein bisschen, aber braucht auch kein schlechtes Gewissen zu haben, danach einfach wieder auseinanderzugehen. Vielleicht hat ja jemand Lust? Es gibt ja mittlerweile auch genügend online-Möglichkeiten dazu, wo der räumliche Abstand nicht so wichtig ist.

Insuffizienz hat geschrieben:Was mich noch interessieren würde, warum meidest du genau soziale Kontakte bzw. (wahrscheinlich) dich anderen gegenüber zu öffnen? Aus Desinteresse? Aus Unbehagen bei zwischenmenschlicher Nähe? Aus Angst vor (unvertrauten) Menschen? Aus (emotionaler, sensorischer usw.) Überlastung unter Menschen zu sein?

Diese Frage finde ich nicht so einfach zu beantworten, da ich die Gefühle dazu nicht so klar greifen kann. Ich glaube grundsätzlich ist es schon Desinteresse. Ich habe nicht ein intrinsisches Bedürfnis, mich über mein Gegenüber zu erkundigen. Schon das berufliche Sozial-Tänzchen, wenn jemand bspw. aus den Ferien kommt, und fast vorgeschrieben ist, dass man sich erkundigt, wie denn der Urlaub war, muss ich mir erzwingen. Wenn mir Leute näher sind, wie beispielsweise einige Freunde meines Partners, fällt es mir etwas leichter. Aber ich finde es grundsätzlich immer leichter, über Themen oder Dinge zu sprechen, als über die Personen selbst, jedenfalls wenn ich eine Meinung dazu habe und es mich auch selbst interessiert. Ich bin aber schlecht darin, Interesse vorzuheucheln. Ich bin auch beispielsweise schlecht darin zu lügen, wenn mein Partner ein neues Kleidungsstück gekauft hat und mich fragt, wie er darin aussieht, wenn es mir nicht gefällt. In solchen Fällen bin ich oft direkter, als es die „sozialen Gesetze“ vorgeben. Ich vermeide aber beispielsweise auch, wenn irgendwie möglich, sämtliche Telefonate. Ich weiss nicht ob das noch aus einer zusätzlichen vermeidenden gsstörung oder so hervorgeht, oder einfach durch mangelndes Erlernen aufgrund der langen Zurückgezogenheit entstanden ist. Wirkliche Angst vor den Telefonaten ist es aber nicht, eher eine Art Blockade.

Ich glaube, deine erste Frage hier sind auch zwei verschiedene Aspekte. Vielleicht täusche ich mich, aber ich glaube, die Schwierigkeit, mich selbst zu öffnen gegenüber anderen, liegt eher in meiner Schwäche, meine Gefühle klar zu greifen und zu formulieren, während das meiden von Kontakten eher eben aus zu wenig Interesse, aber schon auch aus einem gewissen Unbehagen oder auch sensorischer Überlastung besteht bei grösseren Gruppen. Aber klar, es hängt auch insofern zusammen, dass Beziehungen zwangsläufig auch auf ein zumindest teilweises Öffnen meinerseits herauslaufen sollten.

Richey Edwards hat geschrieben:Auch wenn es verständlich ist, dass du mehr möchtest (Freude, Erfüllung,...), so ist das doch zumindest
kein schlechter "Ausgangspunkt". Es ist gut, dass du einen Partner und einen Beruf hast,
diese beiden Anker geben zumindest Sicherheit und Stabilität, oder nicht?

Da hast du sicher recht. Der Beruf zählt sicher auch als ein gewisser Halt, im Sinne, dass ich doch noch zwischendurch unter Menschen komme. Aber ich würde mich jetzt nicht an meine Team-Kolleg*innen wenden wollen, wenn meine Beziehung auseinanderbräche, oder ich sonst in ein Tief fallen sollte. Aber im Sinne der Sicherheit und Stabilität, ist es auf jeden Fall auch ein wichtiger Anker.

2ost hat geschrieben:Ich habe immer wieder seltene Kleinigkeiten (ein schöner Sonnenaufgang, etc.), die ich verpassen würde, wenn ich nicht mehr lebte.

Schön, dass du das so sehen kannst! Ich finde auch, dass solche Dinge, oder auch schöne Ferien irgendwo durchaus angenehm sind, und sich ein bisschen abheben vom sonstigen Grau. Aber irgendwie glaube ich einfach immer, dass noch Luft nach oben ist, was meine persönliche Empfindung dieser Momente angeht. Vielleicht liegt ein Teil des Wegs für mich auch darin, diesen unterbewussten Vergleich mit anderen zu unterdrücken und meinen Glückspegel auf mein persönliches Höchstlevel zu kalibrieren, anstatt zu denken, andere wären in dem Moment noch viel glücklicher, oder hätten mehr Spass, o.ä.

2ost hat geschrieben:Ich stand da, wartete auf irgendwas in der Art und... merkte keinen wirklichen Unterschied zu vorher.
2ost hat geschrieben:Inzwischen bin ich berufsbedingt in einem anderen Bundesland und... nichts. Kann bei jedem natürlich anders ablaufen, aber zumindest in meinem Fall, war die Sorge unbegründet.

Interessant, dass es da so wenig emotionale Reaktion gab in beiden Momenten. Beim ersten Beispiel ist es schon schade, dass da nicht ein gewisses Gefühl von Freude oder Stolz, das überwunden zu haben, einsetzen konnte. Im zweiten Fall natürlich gut, dass du dort nicht irgendwie in ein Loch gefallen bist, oder so. Ich glaube einfach, wenn gar keine enge Bezugsperson mehr da ist, steht man halt eventuell schnell mal vor einem Problem, wenn irgendein Notfall eintritt oder so. Wer kümmert sich um meine Katze, wenn ich ins Spital muss, oder ähnliches... Da gibt es halt schon auch ein paar ganz rationale Nachteile, die man als vollständiger Eremit hätte.

Das war nun eine längere Nachricht als geplant, aber ich fand eure Gedanken und Fragen spannend, um auch noch etwas nachzudenken. Dafür hilft es mir immer, das niederzuschreiben.
Nun aber mal noch einen schönen Sonntag euch allen!

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Re: Here I am

Beitragvon Insuffizienz » 9. August 2020, 10:44

@Chev

Wie ist es denn mit anderen Gefühlen? Kannst du Trauer zulassen und richtig spüren? Kannst du deine Liebe zu deinem Partner offen zeigen und emotional ausleben?

Ich habe in einem anderen Thread ("Leben ohne wahrnehmbare Gefühle") meinen Standpunkt allgemein zur Wiederherstellung der Verbindung zur eigenen Gefühlswelt und zum Körperempfinden beschrieben:

"Also ich hatte früher auch eine schlechte Verbindung zu meiner Gefühlswelt - ob sie jetzt so viel besser ist, kann ich nicht so recht sagen. Ich jedenfalls konnte trotzdem mehr Verbindung zu meinen Gefühlen und meinem Körperempfinden entwickeln, indem ich mehr Achtsamkeit geübt habe [für das Körpergefühl hilft z.B. PMR oder jegliche körperbezogene Achtsamkeits-Meditationen]; also Momente bewusst wahrnehmen, den eigenen Körper und das, was man tut, bewusst beobachten und spüren - seine Gefühle klar benennen und reflektieren, heißt auch im Nachhinein Tagebuch schreiben, wie man sich in einer Situation gefühlt hat, oder wie man sich gerade fühlt usw. Ich denke, da habe ich mich doch schon entwickelt, ich bin nicht mehr so unbewusst gegenüber meinen Gefühlen und kann sie besser kontrollieren, ich kann auch schöne, glückliche Momente mehr genießen und fühle mich nicht mehr so fremd in der Welt wie früher bzw. nicht mehr rein in Gedanken verloren." Was genau jemand schön findet und genießen kann, ist natürlich individuell - bei mir ist es die Natur zu beobachten und zu spüren, Tiere beobachten oder streicheln, natürlich insbesondere Zeit mit unserem Hund zu verbringen, interessante Filme schauen usw.
Ich habe zudem besser gelernt Empathie für andere zu empfinden und mich auf sie einzulassen - obwohl da immer noch eine Menge Hürden und Blockaden vorliegen.
Das fällt mir dazu ein...

Gruß

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Re: Here I am

Beitragvon 2ost » 9. August 2020, 11:51

Chev hat geschrieben:Ich glaube einfach, wenn gar keine enge Bezugsperson mehr da ist, steht man halt eventuell schnell mal vor einem Problem, wenn irgendein Notfall eintritt oder so. Wer kümmert sich um meine Katze, wenn ich ins Spital muss, oder ähnliches... Da gibt es halt schon auch ein paar ganz rationale Nachteile, die man als vollständiger Eremit hätte.!
Hab mir da keine großen Gedanken gemacht, da meine bisherigen Bezugspersonen zwar aus meinem Leben, aber noch nicht aus der Welt sind, und drum da noch einspringen könnten. Aber selbst andernfalls:

Vorweg ein paar Tierheime anschauen (und wenn man schon mal da ist ggf. unterstützen), das für die Katze Geeignetste auswählen, andere Punkte ähnlich regeln und Schlüssel wie Vollmachten, etc. für den Fall der Fälle vorbereiten/hinterlegen (beim Notar, Arbeitgeber, Nachbarn, Therapeuten, woauchimmer) und gut ist.

Ist ja hier zum Glück hier nicht notwendig (ich hab die Familie, du deinen Partner) aber diese Art Sorge habe zumindest ich inzwischen als obsolet verworfen.


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