Sollte Schizoidität als Krankheit betrachtet werden? Philosophische Reflexion
Verfasst: 26. Dezember 2016, 21:20
Sollte man Schizoidität als Krankheit betrachten? Philosophische Reflexion
Die rein formale Beantwortung der Frage lautet natürlich: ja. Sowohl im DMS als auch im ICD (psychologischen Manuals über psychische Krankheiten) ist die schizoide Persönlichkeitsstörung eben als Persönlichkeitsstörung, als Krankheit definiert. Hierzu kurz die Definition von Persönlichkeitsstörungen nach ICD 10:
Eine Persönlichkeitsstörung ist gekennzeichnet durch rigide und wenig angepasste Verhaltensweisen, die eine hohe zeitliche Stabilität aufweisen, die situationsübergreifend auftreten, die zu persönlichem Leid oder gestörter sozialer Funktionsfähigkeit führen.
Ich will die offizielle Definition nicht angreifen, mir geht es darum, eine andere Sicht auf Schizoidität und psychische Normabweichungen zu entwickeln, die auch praktische Handlungsimperative ableiten lässt.
Mein Fokus hierbei liegt auf “zu persönlichem Leid oder gestörter sozialer Funktionsfähigkeit führen”. Dies ist auch allgemein Teil der Definition psychischer Krankheiten. Schizoide leiden ja tatsächlich oft unter ihrer Andersartigkeit. Aber mein Problem mit dieser Definition ist, dass nicht bedacht wird, ob Menschen unter dieser Eigenheit, unabhängig von der Gesellschaft, leiden müssen. Um dies an einem anderen Beispiel zu erläutern: Sexuelle Abweichungen werden (heutzutage) nur als Krankheit definiert, wenn Menschen unter ihrer Andersartigkeit leiden (oder andere leiden lassen). Ob jemand unter seiner (hier sexuellen) Andersartigkeit leidet, hängt aber auch von den Reaktion des Umfelds ab. Homosexualität ist in unserer klinischen Kategorisierung nicht mehr als Krankheit eingestuft, da Homosexuelle unter ihrer Ausrichtung nicht leiden (müssen). In unserer größtenteils toleranten Gesellschaft leiden Homosexuelle nicht an ihrer Neigung und können ein glückliches Leben führen (dass es durchaus Homophobie in Deutschland gibt möchte ich für meine Argumentation ausblenden). Aber in Hinsicht auf den Iran, wo homosexuelle Handlungen unter Todesstrafe stehen, könnte man die Definition sexueller Störung so interpretieren, dass Homosexualität dort eine potentiell lebensgefährliche “Krankheit” sei. Mir ist bewusst, dass diese meine Interpretation von der Intention der Definition psychischer Erkrankung im DSM/ ICD abweicht, und diese Argumentation soll Homosexuelle in keinster Weise abwerten, sondern nur die Problematik dieser Krankheitsdefinition aufzeigen. Ein Krankheitsbegriff, der diese als “Leiden unter Andersartigkeit” definiert, lässt außer Acht, ob das Leiden nur durch die Intoleranz oder Unflexibilität des Umfelds verursacht wird.
Ich würde daher einen theoretischen Krankheitsbegriff vorschlagen, der dazu anregt, anders über psychische Abweichungen nachzudenken. Man stelle sich vor, man nehme sich Menschen, die alle die gleiche psychische Abweichung von der statistischen Norm aufweisen, und lasse sie zusammen eine eigene kleine Stadt nur für ihresgleichen gründen. Die Frage, die darüber entscheidet, ob diese Abweichung eine Krankheit ist, lautet nun:
Wären diese Menschen so glücklich wie eine technologisch und wirtschaftlich vergleichbare Gesellschaft die nur aus statistisch-normalen besteht?
Wenn die Antwort auf diese Frage “Ja” lautet, dann ist diese psychische Abweichung keine Krankheit oder Störung. Wäre diese Gesellschaft aber unglücklicher als eine Gesellschaft statistisch-normaler, so wäre diese psychische Abweichung eine Störung.
Dabei wird davon ausgegangen, dass die Menschen mit diesen abweichenden Eigenheiten ihre Gesellschaft mit vorstellbaren und praktisch erreichbaren Mitteln so gestalten können, wie es für ihre Eigenheiten angemessen ist.
Zur Erläuterung wende ich meine Definition auf einige von der Mehrheit abweichende Eigenschaften an:
Gesellschaft von Homosexuellen
Ich gehe davon aus, dass diese Gesellschaft genauso glücklich wäre wie eine Gesellschaft von Heterosexuellen.
Gesellschaft von hochfunktionellen / Asperger-Autisten
Ich denke, dass auch diese so glücklich sind wie statistisch-normale in einer vergleichbaren Gesellschaft. Das entspricht auch meinen Erfahrungen mit einer Gruppe von Asperger-Autisten, die ich ein paar Mal besucht habe und in der sich alle untereinander gut verstehen. Die hochfunktionell-autistische Kommunikation auf allein verbaler, nicht non-verbaler Ebene, funktioniert ja durchaus gut, solange Verständnis und Aussenden non-verbaler Signale eben nicht verlangt werden. Die autistische starke Fixierung auf eingegrenzte Themen kann für die Arbeitswelt auch überaus fruchtbar sein. Danach wäre hochfunktioneller/ Asperger-Autismus keine Krankheit.
Gesellschaft von Menschen mit paranoider Schizophrenie
Auch unter sich würden paranoide Schizophrene vielleicht weniger stigmatisiert werden, aber doch auch den Mit-Schizophrenen mit vergleichbarer Paranoia begegnen wie Nicht-Schizophrenen. Diese Menschen würden unter sich meiner Meinung nach ähnlich leiden wie in unserer Gesellschaft. (Paranoide) Schizophrenie wäre danach eine Krankheit.
Bei Schizoiden ist die Situation meines Erachtens ambivalenter:
Grundsätzlich sehe ich keinen Leidensdruck dadurch, weniger Emotionen zu empfinden und weniger oder gar keine sozialen Kontakte zu wünschen. Viele Schizoide (inklusive mir) suchen ja auch keine Therapie, weil sie unter ihrer Persönlichkeit selbst leiden, sondern wegen Schwierigkeiten, die letztlich durch Unverständnis anderer bedingt sind. Sie wollen bestimmte Schwierigkeiten behandeln, die durch ihre Andersartigkeit verursacht werden, nicht ihre Andersartigkeit selbst “korrigieren”. Auch Mangel an Verständnis für soziale Normen und mangelnde Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen, sind nicht problematisch, sofern das alle Gesellschaftsmitglieder betrifft und ähnlich wie bei Asperger-Autisten auf explizit-verbale Kommunikation gesetzt wird.
Bei Schizoiden, die nur von diesen Eigenheiten betroffen sind, würde ich daher nicht von einer Störung/Krankheit sprechen. Problematischer ist es, wenn Schizoide von Gefühlen der Leere und Sinnlosigkeit geplagt werden. Aber dies ist - zumindest in meinem Fall, meiner Vermutung nach auch bei vielen anderen - nicht Teil der schizoiden Persönlichkeit selbst, sondern eine zusätzliche depressive Erkrankung, die dadurch entsteht, dass bestimmte Bedürfnisse nicht erfüllt werden, etwa die nach dem doch noch gewünschten Maß an sozialen Kontakten, oder Unzufriedenheit mit dem eigenen Beruf. Aber auch dies ist für sich betrachtet nur ein nicht-notwendiges Problem, dass im richtigen Umfeld nicht bestehen würde. Einige Schizoide wünschen sich ja durchaus (in geringem Maße) soziale Kontakte, und wenn diese Schizoiden zueinanderfinden, muss dieses Problem der Vereinsamung nicht bestehen. Als eine Störung würde ich aber eine bestimmte Ausprägung der schizoiden Persönlichkeit betrachten, bei der hinsichtlich sozialer Kontakte ein Annäherungs-Vermeidungs-Konflikt vorherrscht. Dieser liegt dann vor, wenn sich Schizoide nach sozialen Kontakten sehnen, diese aber schwer ertragen können, weil sie in diesen Kontakten ihre Autonomie bedroht sehen. Wenn dieser Konflikt für jeden Kontakt bestehen würde, nicht nur bei als bedrängend wahrgenommenen Nicht-Schizoiden, würden diese Schizoiden unter ihrem Annäherungs-Vermeidungs-Konflikt auch in einer Gesellschaft von Schizoiden leiden. Nur diese eine mögliche Eigenschaft schizoider Persönlichkeit würde ich daher als krankhaft und behandlungsbedürftig einstufen.
Meine Krankheitsdefinition erscheint zwar erstmal als rein theoretisches Konstrukt, hat hinsichtlich der Behandlung aber auch praktische Konsequenzen und kann zu einer neuen Sicht auf psychische Abweichungen anregen. Wenn etwa Asperger-Autismus nur durch das Umfeld selbst zum Leiden wird, dann muss eben nur ein Umfeld aufgesucht werden, das den Autismus nicht zum Leiden macht. Es wird auch von manchen Autismus-Forschern vorgeschlagen, dass sich Autisten ein Umfeld suchen, in dem sie nicht unter ihrer Andersartigkeit leiden, etwa in der Wissenschaft. Auf die manchmal von Autisten geäußerte Analogie “Ich bin auf dem falschen Planeten ausgesetzt worden.” lässt sich demnach erwidern: “Dann suchen wir dir den richtigen Planeten”. Und wenn man sich vorstellt, dass eine Gesellschaft von Autisten durchaus gut funktionieren würde und glücklich wäre, wirkt dies dem Gedanken entgegen, gesünder, “besser” zu sein als Autisten. In diesem Fall betrachtet man Autismus schlicht als eine Andersartigkeit, die nur deshalb ein Problem ist, weil Autisten eine Minderheit darstellen.
Genauso sehe ich die Situation für Schizoide, wenn man von dem möglichen Annäherungs-Vermeidungs-Konflikt absieht. Anstatt dass Therapeuten bei Schizoiden aus ihrem eigenen Normvorstellungen heraus versuchen, (wie ich es aus meiner Erfahrung kenne) deren Wunsch nach sozialen Kontakten zu erhöhen und sie zu normalisieren, fände ich es sinnvoller, wenn Therapeuten Schizoiden, wenn gewünscht, dabei helfen, ein soziales Umfeld zu finden, in dem die Schizoiden akzeptiert werden, ohne dass sie ihre Bedürfnisse zurückstellen müssen - also z.B. nicht zu Small Talk gezwungen sind. Einzig und allein den Annäherungs-Vermeidungs-Konflikt würde ich behandeln lassen, sofern dieser so beschaffen ist, dass es letztlich keinen realistisch denkbaren Kontakt gibt, der nicht unter diesem Konflikt leiden würde.
Dabei verneine ich nicht, dass es sehr sinnvoll sein kann, Fähigkeiten zu erwerben, die für den Umgang mit statistisch-normalen hilfreich sind, etwa mehr non-verbaler Ausdruck. Aber eine Therapie sollte nicht zum Ziel haben, die Bedürfnisse und Eigenheiten eines Menschen gegen dessen Ansicht zu pathologisieren und zu “korrigieren”, obwohl dies Eigenheiten sind, die im passenden Umfeld keinen Leidensdruck verursachen würden.
PS: Ich kann mir gut vorstellen, dass es die von mir ausgeführte Krankheitsdefinition bereits gibt, habe aber nichts vergleichbares gefunden. Wenn jemand die gleiche Definition schon gehört hat, kann er die hier gerne posten.
Die rein formale Beantwortung der Frage lautet natürlich: ja. Sowohl im DMS als auch im ICD (psychologischen Manuals über psychische Krankheiten) ist die schizoide Persönlichkeitsstörung eben als Persönlichkeitsstörung, als Krankheit definiert. Hierzu kurz die Definition von Persönlichkeitsstörungen nach ICD 10:
Eine Persönlichkeitsstörung ist gekennzeichnet durch rigide und wenig angepasste Verhaltensweisen, die eine hohe zeitliche Stabilität aufweisen, die situationsübergreifend auftreten, die zu persönlichem Leid oder gestörter sozialer Funktionsfähigkeit führen.
Ich will die offizielle Definition nicht angreifen, mir geht es darum, eine andere Sicht auf Schizoidität und psychische Normabweichungen zu entwickeln, die auch praktische Handlungsimperative ableiten lässt.
Mein Fokus hierbei liegt auf “zu persönlichem Leid oder gestörter sozialer Funktionsfähigkeit führen”. Dies ist auch allgemein Teil der Definition psychischer Krankheiten. Schizoide leiden ja tatsächlich oft unter ihrer Andersartigkeit. Aber mein Problem mit dieser Definition ist, dass nicht bedacht wird, ob Menschen unter dieser Eigenheit, unabhängig von der Gesellschaft, leiden müssen. Um dies an einem anderen Beispiel zu erläutern: Sexuelle Abweichungen werden (heutzutage) nur als Krankheit definiert, wenn Menschen unter ihrer Andersartigkeit leiden (oder andere leiden lassen). Ob jemand unter seiner (hier sexuellen) Andersartigkeit leidet, hängt aber auch von den Reaktion des Umfelds ab. Homosexualität ist in unserer klinischen Kategorisierung nicht mehr als Krankheit eingestuft, da Homosexuelle unter ihrer Ausrichtung nicht leiden (müssen). In unserer größtenteils toleranten Gesellschaft leiden Homosexuelle nicht an ihrer Neigung und können ein glückliches Leben führen (dass es durchaus Homophobie in Deutschland gibt möchte ich für meine Argumentation ausblenden). Aber in Hinsicht auf den Iran, wo homosexuelle Handlungen unter Todesstrafe stehen, könnte man die Definition sexueller Störung so interpretieren, dass Homosexualität dort eine potentiell lebensgefährliche “Krankheit” sei. Mir ist bewusst, dass diese meine Interpretation von der Intention der Definition psychischer Erkrankung im DSM/ ICD abweicht, und diese Argumentation soll Homosexuelle in keinster Weise abwerten, sondern nur die Problematik dieser Krankheitsdefinition aufzeigen. Ein Krankheitsbegriff, der diese als “Leiden unter Andersartigkeit” definiert, lässt außer Acht, ob das Leiden nur durch die Intoleranz oder Unflexibilität des Umfelds verursacht wird.
Ich würde daher einen theoretischen Krankheitsbegriff vorschlagen, der dazu anregt, anders über psychische Abweichungen nachzudenken. Man stelle sich vor, man nehme sich Menschen, die alle die gleiche psychische Abweichung von der statistischen Norm aufweisen, und lasse sie zusammen eine eigene kleine Stadt nur für ihresgleichen gründen. Die Frage, die darüber entscheidet, ob diese Abweichung eine Krankheit ist, lautet nun:
Wären diese Menschen so glücklich wie eine technologisch und wirtschaftlich vergleichbare Gesellschaft die nur aus statistisch-normalen besteht?
Wenn die Antwort auf diese Frage “Ja” lautet, dann ist diese psychische Abweichung keine Krankheit oder Störung. Wäre diese Gesellschaft aber unglücklicher als eine Gesellschaft statistisch-normaler, so wäre diese psychische Abweichung eine Störung.
Dabei wird davon ausgegangen, dass die Menschen mit diesen abweichenden Eigenheiten ihre Gesellschaft mit vorstellbaren und praktisch erreichbaren Mitteln so gestalten können, wie es für ihre Eigenheiten angemessen ist.
Zur Erläuterung wende ich meine Definition auf einige von der Mehrheit abweichende Eigenschaften an:
Gesellschaft von Homosexuellen
Ich gehe davon aus, dass diese Gesellschaft genauso glücklich wäre wie eine Gesellschaft von Heterosexuellen.
Gesellschaft von hochfunktionellen / Asperger-Autisten
Ich denke, dass auch diese so glücklich sind wie statistisch-normale in einer vergleichbaren Gesellschaft. Das entspricht auch meinen Erfahrungen mit einer Gruppe von Asperger-Autisten, die ich ein paar Mal besucht habe und in der sich alle untereinander gut verstehen. Die hochfunktionell-autistische Kommunikation auf allein verbaler, nicht non-verbaler Ebene, funktioniert ja durchaus gut, solange Verständnis und Aussenden non-verbaler Signale eben nicht verlangt werden. Die autistische starke Fixierung auf eingegrenzte Themen kann für die Arbeitswelt auch überaus fruchtbar sein. Danach wäre hochfunktioneller/ Asperger-Autismus keine Krankheit.
Gesellschaft von Menschen mit paranoider Schizophrenie
Auch unter sich würden paranoide Schizophrene vielleicht weniger stigmatisiert werden, aber doch auch den Mit-Schizophrenen mit vergleichbarer Paranoia begegnen wie Nicht-Schizophrenen. Diese Menschen würden unter sich meiner Meinung nach ähnlich leiden wie in unserer Gesellschaft. (Paranoide) Schizophrenie wäre danach eine Krankheit.
Bei Schizoiden ist die Situation meines Erachtens ambivalenter:
Grundsätzlich sehe ich keinen Leidensdruck dadurch, weniger Emotionen zu empfinden und weniger oder gar keine sozialen Kontakte zu wünschen. Viele Schizoide (inklusive mir) suchen ja auch keine Therapie, weil sie unter ihrer Persönlichkeit selbst leiden, sondern wegen Schwierigkeiten, die letztlich durch Unverständnis anderer bedingt sind. Sie wollen bestimmte Schwierigkeiten behandeln, die durch ihre Andersartigkeit verursacht werden, nicht ihre Andersartigkeit selbst “korrigieren”. Auch Mangel an Verständnis für soziale Normen und mangelnde Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen, sind nicht problematisch, sofern das alle Gesellschaftsmitglieder betrifft und ähnlich wie bei Asperger-Autisten auf explizit-verbale Kommunikation gesetzt wird.
Bei Schizoiden, die nur von diesen Eigenheiten betroffen sind, würde ich daher nicht von einer Störung/Krankheit sprechen. Problematischer ist es, wenn Schizoide von Gefühlen der Leere und Sinnlosigkeit geplagt werden. Aber dies ist - zumindest in meinem Fall, meiner Vermutung nach auch bei vielen anderen - nicht Teil der schizoiden Persönlichkeit selbst, sondern eine zusätzliche depressive Erkrankung, die dadurch entsteht, dass bestimmte Bedürfnisse nicht erfüllt werden, etwa die nach dem doch noch gewünschten Maß an sozialen Kontakten, oder Unzufriedenheit mit dem eigenen Beruf. Aber auch dies ist für sich betrachtet nur ein nicht-notwendiges Problem, dass im richtigen Umfeld nicht bestehen würde. Einige Schizoide wünschen sich ja durchaus (in geringem Maße) soziale Kontakte, und wenn diese Schizoiden zueinanderfinden, muss dieses Problem der Vereinsamung nicht bestehen. Als eine Störung würde ich aber eine bestimmte Ausprägung der schizoiden Persönlichkeit betrachten, bei der hinsichtlich sozialer Kontakte ein Annäherungs-Vermeidungs-Konflikt vorherrscht. Dieser liegt dann vor, wenn sich Schizoide nach sozialen Kontakten sehnen, diese aber schwer ertragen können, weil sie in diesen Kontakten ihre Autonomie bedroht sehen. Wenn dieser Konflikt für jeden Kontakt bestehen würde, nicht nur bei als bedrängend wahrgenommenen Nicht-Schizoiden, würden diese Schizoiden unter ihrem Annäherungs-Vermeidungs-Konflikt auch in einer Gesellschaft von Schizoiden leiden. Nur diese eine mögliche Eigenschaft schizoider Persönlichkeit würde ich daher als krankhaft und behandlungsbedürftig einstufen.
Meine Krankheitsdefinition erscheint zwar erstmal als rein theoretisches Konstrukt, hat hinsichtlich der Behandlung aber auch praktische Konsequenzen und kann zu einer neuen Sicht auf psychische Abweichungen anregen. Wenn etwa Asperger-Autismus nur durch das Umfeld selbst zum Leiden wird, dann muss eben nur ein Umfeld aufgesucht werden, das den Autismus nicht zum Leiden macht. Es wird auch von manchen Autismus-Forschern vorgeschlagen, dass sich Autisten ein Umfeld suchen, in dem sie nicht unter ihrer Andersartigkeit leiden, etwa in der Wissenschaft. Auf die manchmal von Autisten geäußerte Analogie “Ich bin auf dem falschen Planeten ausgesetzt worden.” lässt sich demnach erwidern: “Dann suchen wir dir den richtigen Planeten”. Und wenn man sich vorstellt, dass eine Gesellschaft von Autisten durchaus gut funktionieren würde und glücklich wäre, wirkt dies dem Gedanken entgegen, gesünder, “besser” zu sein als Autisten. In diesem Fall betrachtet man Autismus schlicht als eine Andersartigkeit, die nur deshalb ein Problem ist, weil Autisten eine Minderheit darstellen.
Genauso sehe ich die Situation für Schizoide, wenn man von dem möglichen Annäherungs-Vermeidungs-Konflikt absieht. Anstatt dass Therapeuten bei Schizoiden aus ihrem eigenen Normvorstellungen heraus versuchen, (wie ich es aus meiner Erfahrung kenne) deren Wunsch nach sozialen Kontakten zu erhöhen und sie zu normalisieren, fände ich es sinnvoller, wenn Therapeuten Schizoiden, wenn gewünscht, dabei helfen, ein soziales Umfeld zu finden, in dem die Schizoiden akzeptiert werden, ohne dass sie ihre Bedürfnisse zurückstellen müssen - also z.B. nicht zu Small Talk gezwungen sind. Einzig und allein den Annäherungs-Vermeidungs-Konflikt würde ich behandeln lassen, sofern dieser so beschaffen ist, dass es letztlich keinen realistisch denkbaren Kontakt gibt, der nicht unter diesem Konflikt leiden würde.
Dabei verneine ich nicht, dass es sehr sinnvoll sein kann, Fähigkeiten zu erwerben, die für den Umgang mit statistisch-normalen hilfreich sind, etwa mehr non-verbaler Ausdruck. Aber eine Therapie sollte nicht zum Ziel haben, die Bedürfnisse und Eigenheiten eines Menschen gegen dessen Ansicht zu pathologisieren und zu “korrigieren”, obwohl dies Eigenheiten sind, die im passenden Umfeld keinen Leidensdruck verursachen würden.
PS: Ich kann mir gut vorstellen, dass es die von mir ausgeführte Krankheitsdefinition bereits gibt, habe aber nichts vergleichbares gefunden. Wenn jemand die gleiche Definition schon gehört hat, kann er die hier gerne posten.