Diagnose von Persönlichkeitsstörungen

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Regina
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Diagnose von Persönlichkeitsstörungen

Beitragvon Regina » 4. Juni 2016, 13:38

Hallo zusammen!

Im Rahmen meiner Abschlussarbeit an der Universität Bielefeld befasse ich mich mit der Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen. Genauer gesagt habe ich einen Fragebogen ins Deutsche übersetzt, welcher ein Teil des Alternativen Persönlichkeitsstörungsmodells, wie es erstmals im DSM V (Manual zur Diagnostik psychischer Erkrankung) erschienen ist, erfassen soll.

Dieser Teil beinhaltet das sogenannte „Funktionsniveau der Persönlichkeit“, welchem nicht nur bei Persönlichkeitsstörungen, sondern auch bei anderen psychischen Erkrankungen eine entscheidende Rolle zukommen soll (z.B. als ein Indikator für empfohlene Therapieformen etc.).
Da es im deutschsprachigen Raum kaum Diagnoseinstrumente zu diesem Funktionsniveau gibt, lasse ich den von mir übersetzten Fragebogen möglichst viele Menschen ausfüllen (egal ob psychisch erkrankt oder nicht), um überprüfen zu können ob dieser auch valide ist, also erfasst was er erfassen soll, und in Zukunft weiter eingesetzt werden kann.

Die Teilnahme an der Studie ist natürlich anonym, dauert in etwa eine halbe Stunde und beinhaltet zwei Fragebögen. Ihr habt die Möglichkeit im Anschluss an einer Verlosung teilzunehmen. Zu gewinnen gibt es drei BestChoice Gutscheine im Wert von je 20 Euro.

Die Studie findet ihr unter folgendem Link:
http://wwwhomes.uni-bielefeld.de/upsyf007/cgi/fportal/studypubliclist.pl
Wichtig! Dann folgende Studie auswählen: "Regina Bocklet: Funktionsniveau der Persönlichkeit"

Es wäre super wenn ihr euch Zeit nehmt, mich zu unterstützen :begeistert:
Bei Fragen schreibt mich gerne an.

Liebe Grüße,
Regina

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Re: Diagnose von Persönlichkeitsstörungen

Beitragvon SKuriosum » 5. Juni 2016, 06:56

Ich habe diesen Test mal durchgeführt. Die Ladezeiten sind ja unterirdisch. :lachen:

Bei beiden Tests musste ich feststellen, dass sie zu strikt auf das Weltbild der vorherrschenden Gesellschaft ausgerichtet sind. Der Erste mehr als der Zweite.
Desweiteren sind manche Fragen einfach zu schwammig und eröffnen sehr viel Interpretationsspielraum. Wobei das mehr auf den zweiten Test zutrifft.

Ein paar wenige Fragen sind für mich sehr unverständlich gewesen. Deutlich mehr Fragen sind aus meiner Lebenssituation und -einstellung heraus schlicht nicht beantwortbar oder vermitteln u. U. ein falsches Bild.
Ein prägnantes Beispiel sind die Fragen, bei denen es um Gesetzestreue geht. Eine Grundsatzdiskussion zum Thema würde jetzt den Rahmen sprengen. Ich weiß nicht wie die Antworten dazu gewertet werden, aber ich vermute, dass sie ein anderes Bild vermitteln.
Auch eine 99,9%ige Sicherheit beherbergt 100% Ungewissheit.

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Re: Diagnose von Persönlichkeitsstörungen

Beitragvon Kalliope » 5. Juni 2016, 11:01

(@SKuriosum)
Das ging mir schon beim Lesen des Postings so mit dem zugrundeliegenden Gesellschaftsbild.
Allein der Arbeitstitel „Funktionsniveau der Persönlichkeit“ spricht für mich Bände, die ich keinesfalls bedienen wollen würde = erzeugt erhebliche Abwehr.
Mir stellte sich sofor die Frage, ob "Regina" Dipl-Ökonomin ist (oder noch schlimmer, eine unheilige Allianz zwischen Psychologin und Dipl.-Ökonomin), deren Hauptaufgabe es ist, Menschen auf ihre "Brauchbarkeit" zu testen und sie danach zu bewerten (sorry @Regina, Deine Intention mag eine andere sein, Du liest hier nur meine Assoziationen und weshalb ich - die ich ohnehin keine SPS habe - diese Tests NIE mitmachen würde. Optimalerweise stellst Du hier noch die vielleicht anders geartete Intention vor, so es denn eine gibt.)
Insofern @SKuriosum: doch, Grundsatzdiskussion.
Ich bekam schon die Krätze, als Menschen nur noch als Rohstoff (Human Ressource) betrachtet wurden und ihr Marktwert allein an ihrer Leistungsfähigkeit festgemacht wurde.
Im Umkehrschluss: wird nur noch therapiert, wo entweder noch "eine Chance" besteht, dass derjenige ein "vollwertiges" (= voll einsetzbares, nicht "die Gesellschaft" belastendes), voll "integriertes"(wollen wir das?) Mitglied dieser aktuellen Gesellschaft werden kann oder wird nur der therapiert, wo das Bild "schlimm genug"? Wird irgendwann wer zwangstherapiert (de facto haben wir das ja bereits, Stichwort "Mitwirkungspflicht", klang ja hier schon mal an)?

Und wie sehen sich die "durchführenden Organe" sich selber in ihrer Rolle? Frei und "unabhängig"?
Ich meine, man könnte auch in manchem Fall von Lobbyist oder Handlanger eines "Systems" sprechen. Will man wirklich "von Leiden befreien helfen" oder soll das Denken einer (aus meiner Sicht ziemlich kaputten Leistungs-) Gesellschaft auch phänotypisch umgesetzt werden, als Alibi quasi?

Nun ja, ich sehe es womöglich zu schwarz. Aber soweit dazu, wie empfindlich ich bin - bislang ohne Diagnosen dieser Art, aber bereits durchaus mit "dem System" in Konflikt geraten seiend - in Bezug auf Wortwahl und "Botschaft", die mitschwingt.

Mir ist völlig klar @liebe Regina, dass das von Dir keinesfalls eine beabsichtigte "Wirkung" sein muss und wie gesagt, die Intention tatsächlich irgendeine gutartige ist.
Vielleicht auch zu weitgehend, um das hier an dieser Stelle auszuführen? Vielleicht ja auch und gerade Teil Deiner Diplomarbeit (vielleicht bringst Du diese Kritik gleich mal mit ein, denn Du wirst Dich ihr ggf. ohnehin stellen müssen oder gar einen Pluspunkt für selbstkritisches Denken erhalten ;-) ).
Dann würde mich diese "gutartige" Intention allerdings schon interessieren.
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Re: Diagnose von Persönlichkeitsstörungen

Beitragvon SKuriosum » 5. Juni 2016, 12:18

Ja, die Human Ressource Abteilung ist mir rein vom Namen her auch schon extrem sauer aufgestoßen. Ich würde sogar soweit gehen und behaupten, dass in jeder Firma, die ihre Personalabteilung so nennt, der Mensch auch tatsächlich als Material verbraucht wird. Während man sich bei Firmen, die ihre Personalabteilung noch Personalabteilung nennen, nicht sicher sein kann, ob das Personal dort genauso verschwenderisch oder mit etwas weniger Schwund verheizt wird.

Wenn im Test eine gewisse Menge an Antworten außerhalb der Wertigkeit liegt, dann handelt es sich vermutlich um Ausschuss, und bedarf dort, wo dieser Test genutzt wird, keiner weiteren Zeitverschwendung.


Du willst eine Grundsatzdiskussion über den Zweck von Gesetzen? Die würde vermutlich gar keine werden, da es nicht soviel dazu auszudiskutieren gibt. Wenn ich hier jetzt schreibe, dass Gesetze lediglich Werkzeuge der Unterdrückung darstellen, dann werden zwar einige denken, dass sowas notwendig ist, aber auch nur, weil sie selbst noch nie so richtig darüber nachgedacht haben - also komplett losgelöst vom gegenwärtigen Gesellschafts- und Profitsystem, wo Gesetze und deren strikte Durchsetzung definitiv notwendig sind. Außerdem klingt es abgedroschen.
Ich bin letztens erst auf ein Video gestoßen, wo ein Amerikaner erklärt, weshalb Gesetze Todesdrohungen sind. Das ist mir zwar randläufig im Ansatz auch irgendwann mal schon aufgefallen, aber dem habe ich bislang keinerlei Beachtung geschenkt. Aber je mehr man sich mit den natürlichen Grundrechten eines jeden Menschen beschäftigt, ist das einer der wichtigsten Aspekte.


Die durchführenden Organe sehen sich, ihre Institution, alle übergeordneten Institutionen, die Vorgeschalteten Gesetze und den Staat als legitimiert, berechtigt und richtig an - über jeden Zweifel erhaben.
Solange wie sie genug Geld verdienen um sich dem Konsum hingeben zu können und ihre Zukunft vermeintlich abgesichert ist, außerdem nicht zuviel Stress auftritt, wird es dort keiner in Frage stellen und vermutlich nicht mal ernsthaft so weit denken.

Mit Schwarzsehen hat das nichts zu tun. Eher mit realistischer Erkenntnis.
Mein Konfliktkreuzzug mit dem System hat gerade erst begonnen, bzw. Anfang letzten Jahres. Ich bin gespannt, wohin mich die Reise noch führen wird und an welchen "Sehenswürdigkeiten" ich vorbeikomme. Bislang war alles noch recht entspannt, aber vor mir sehe ich bereits die ersten richtigen Schlaglöcher im Asphalt.
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Re: Diagnose von Persönlichkeitsstörungen

Beitragvon Kalliope » 5. Juni 2016, 14:19

@Skuriosum:
ich meinte Grundsatzdiskussion eher in Bezug auf "Heran- und Vorgehensweisen" von Psycho.....xyz sowie deren zugrunde(!)liegendes Denken, daher "Grundsatz".

Zu Deinem letzten Absatz: es ist immer die Frage, wer da missbraucht wird, um andere zu missbrauchen/ver-gewalt-igen und in wiefern die Schärgen des Systems es selber merken und mitspielen.
Natürlich, Du hast recht: wes Brot ich fress, des Lied ich sing. (Stichwort "neutrale" "Gutachter" z.B.)
War schon immer so, wird immer so bleiben.

Bis auf einige Ausreißer.
Die letzte Firma, wo ich angestellt (< auch so ein super-Wort. An die Wand gestellt?) war, da ist die recht junge, aber auch recht kluge "Personalerin" der Sache auf die Schliche gekommen, bzw ihr war da wohl etwas aufgestoßen. Jedenfalls kündigte sie, machte sich selbständig und arbeitet heute als Coach.
Ebenfalls, aber erst nach ca. 20 Jahren "Mitspielen", sprang eigene Verwandte aus internationaler Riesenbude an zentraler Stelle ab, aber auch erst, als das, was da betrieben wurde, dann wirklich und echt nicht mehr ethisch und moralisch veranwortbar war, bzw. ihr eigener bequemer Sessel unsicher wurde. Also so, dass alle Verdrängung auch nichts mehr genutzt hat. Ist heute ebenfalls als Supervisorin (im sozialen Bereich) tätig.

Meine These ist mir hier beim Mitlesen im Forum gekommen: ob sich nicht hinter vielen Krankheitsbildern der Neuzeit - und in Sachen Krankheitsbild schließe ich mich mit meinem "organischen Leiden" mal mit ein (für mich eh nur die andere Ausprägung derselben Medaille, also wurst, ob psychisch oder physisch) - schlicht der Begriff "gesellschaftskrank" am ehrlichsten sein würde.

Dass viele Menschen an dieser Gesellschaft verzweifeln und erkranken, dafür gibt es Belege genug. Der Alkohol-, Drogen-, Psychopharmaka-, Schmerzmittelkonsum sowie Fressucht und Co. spricht dafür Bände, ebenso die Menge an Depressiven (wobei man da auch immer gut hinschauen muss, wer da mit was für Diagnosen um sich wirft und jemand anderem an die Backe klebt). Aber der aggressiv und autoaggressiv ausgelebte Frust entlädt sich "im System", nicht am System. das ist also so eine lavierte Geschichte.
Macht-, Ausweg-, Wertlosigkeitsgefühle...
Die "innere Kündigung" ist bei einem hohen Prozentsatz der Bevölkerung schon längst vorhanden, denn: wer kann das dauerhaft mitspielen? Die Wenigsten.

Natürlich bin ich nicht die Erste, die erkennt, dass "was passieren" muss an Veränderung, Reformen.
Das fängt aber bereits beim, eben, wir sind wieder beim Thema, zugrundeliegenden Menschenbild an.

Wer Menschen nur noch als Leistungsressource betrachtet und auf ihre "Brauchbarkeit" hin testet, der macht sie krank, seine Umwelt, seine Mitmenschen.

Wenn Du nicht mitspielst oder nicht mehr mitspielen kannst (weil Körper und/oder Seele entgültig streiken), @SKuriosum, dann landest Du sehr schnell, sehr draußen. Dieser Staat ist daran interessiert, "unwertes" (= unbrauchbares, unangepasstes, andersseiendes, nicht in die Norm pressbares) Leben auch möglichst schnell zu entsorgen. Ich selber habe erfahren, wie Menschen im Grunde auf die eine oder andere Art und Weise Richtung "stirb schneller" getrieben werden. Weil sie es "nicht wert" waren oder sind.
Durch Handlanger z.B. des Systems (ob nun im s.g. "Gesundheitswesen" *hust* oder via diverse "Behörden"). Was da so sein Unwesen treibt, ist, tja, ähm, irre. :-)

Nein, nicht alle natürlich. Ich kenne selbstredend auch die, die irgendwie versuchen, in diesem System noch Menschen zu bleiben und Menschlichkeit zu leben. Aber das System halte ich streckenweise für unmenschlich. Und dabei wird und wurde es von Menschen gemacht!
Wenn man Splitter im Auge der Selbsbetrachtung mal fühlbar machen möchte, dann muss man auch mal bisschen deutlicher werden.

Und *seufz* mir ein Anliegen: Menschen sind nicht in Förmchen pressbar und gleichschaltbar. Nicht mal, wenn man sie in dusselige Uniformen steckt. Weswegen ich auch inbrünstige Hasserin sämtlicher "Gleichschaltversuche" bin und ganz besonders von Systemen und Staaten, die das ebenso inbrünstig betreiben (Stichwort "Sozialismus" mit ohne Präfix "national"). Aber ehe wir diese Diskussionen aufmachen.... wünsche ich lieber einen entspannten schönen Sonntag.
Und ich treffe ich mich jetzt mit einem, der genau aus diesem System auch austrat.... und ins Ausland emigierte ("bis sich das deutsche Gesundheitswesen eingekriegt hat und am Menschen orientiert" so sinngemäß der Tenor).
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Re: Diagnose von Persönlichkeitsstörungen

Beitragvon Regina » 5. Juni 2016, 14:53

Ui, da habe ich ja was losgetreten..
Ich möchte gerne ein paar Anmerkungen zu euren Kritikpunkten machen, die wie ich finde durchaus berechtigt sind!
Also erst einmal ist es so, dass ich Psychologie Studentin bin und mein (Forschungs-)Interessen nicht in der Optimierung und dem funktional "machen" von Menschen liegen.

Im Gegenteil finde ich es wichtig, den Einzelnen zu betrachten und zu schauen wie er (oder sie) in seiner persönlichen Welt zurecht kommt und vor allem das auch mit einer gewissen Lebensqualität.
Leider ist es durchaus so, dass diese subjektive Welt häufig mit der Gesellschaftsform in der wir leben konfrontiert wird und das es für manche leichter oder schwerer ist mit dieser zurecht zu kommen.
Weshalb ich den Schwerpunkt in meinem Studium auch in den Bereich der Klinischen Psychologie und nicht z.B. der Wirtschaftspsychologie gelegt habe ;)

Grundsätzlich verstehe ich die Kritik bzw die Sorge an dem was vermeintlich hinter der Diagnostik von psychischen Erkrankungen und Problemen steht. Das diese dazu genutzt wird "auszusortieren" bzw. zu stigmatisieren.
Ich kann nur versichern, dass die Diagnostik häufig andere Intentionen hat (v.a. im klinischen Bereich), nämlich Leiden sichtbar zu machen, den Menschen zu vermitteln dass es andere gibt die von ähnlichem betroffen sind und schlichtweg auch pragmatische Gründe hat (wie z.B. die Abrechnung mit der Krankenkasse etc.)

Mir ist klar, dass der Begriff des "Funktionsniveaus" eher unglücklich ist, allerdings wurde er so im neuen DSM V aufgenommen und deshalb habe ich diesen auch nicht verändert. Ich hätte es komisch gefunden, dem "Kind" einen anderen Namen zu geben, wo doch die Leute bei Interesse dann nachlesen können wie es wirklich heißt.
Vielleicht hätte ich aber auch deutlicher das zugrunde liegende Modell erläutern können, hatte aber Sorgen den Rahmen hier zu sprengen.

Es ist so, dass es an der Diagnostik von Persönlickeitsstörungen schon lange sehr starke Kritikpunkte gibt und diese intensiv in der Forschung diskutiert werden.
Zum einen ist da die Stigmatisierungsgefahr, zum anderen ist man sich mittlerweile weitgehend einig, dass Persönlichkeit und auch Persönlichkeitsstörungen nichts statisches sind und dimensional betrachtet werden sollten.
D.h. jeder Mensch ist bezüglich bestimmter Eigenschaften und Selbsterleben in allen Bereichen zu finden, Menschen unterscheiden sich nur bezüglich der Ausprägung auf der jeweiligen Dimension und die verändert sich auch im Laufe ihres Lebens. Das heißt zum Beispiel auch, dass nur weil ein Mensch bestimmte Eigenschaften hat die manchen Menschen als unangenehm erscheinen dies nicht bedeutet, dass dieser Mensch auch zwangsweise an einer psychischen Erkrankung leidet.

Das Funktionsniveau soll also eigentlich (auch wenn es sehr wertend klingt) darstellen bzw beschreiben wie der Mensch selbst sich fühlt, ob er sich als eingechränkt erlebt bzw unter einem negativen Selbstbild leidet oder darunter dass er Probleme im zwischenmenschlichen Bereich hat die Leidensdruck erzeugen.
Dass diese Probleme durchaus durch die Gesellschaft entstehen können will ich gar nicht abstreiten. In der Therapie kann diese leider nicht verändert werden, sondern es kann nur der Einzelne schauen wie er seinen Weg findet mit Bestehendem umzugehen bzw. dieses auch im Bereich seines Möglichen zu beeinflussen.

Das Problem von Diagnostikinstrumenten ist immer, dass sie etwas abbilden was in der praktischen Umsetzung leider kaum ohne Vergleichsmöglickeiten fassbar ist. D.h. es wird sich z.B. an gängigen Normen orientiert um theoretische Konstrukte abzubilden und die gängigen Normen leiten sich aus dem bestehenden Gesellschaftssystem ab (deswegen z.B. so Gesetz/ Konflikt Fragen).

Abschließend muss ich noch sagen, dass ich mir der theoretischen Schwierigkeiten durchaus bewusst bin und möchte auch nochmal in aller Deutlichkeit sagen, dass auf Grund eines solchen Fragebogens alleine niemals eine seriöse Diagnose gestellt werden könnte.

Nochmals danke für die Rückmeldung und ein schönes Wochenende noch :)

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Re: Diagnose von Persönlichkeitsstörungen

Beitragvon Kalliope » 6. Juni 2016, 10:28

Guten Morgen @Regina

vielen Dank für die Auf- und Erklärung (Deiner Intention). Immer gut, dass man "mal darüber gesprochen" hat :-).

Der Begriff der s.g. Lebensqualität ist natürlich auch schwammig, denn jede/r dürfte etwas sehr Unterschiedliches darunter verstehen, wenn wir mal über absolute Basics hinausdenken, die jeder Mensch zum Überleben benötigt. Aber bereits kurz danach scheiden sich die Geister dann auch schon sehr.
Es gibt leider einen Haufen Leute, die besser wissen als das Individuum, worunter es denn nun leiden MÜSSE.

Nehmen wir mal das Beispiel Schmerz (weil ich mich damit "auskenne"). Die allermeisten Fachwesen denken nun, ah, Patientin kommt zum Arzt, weil Aua und Aua schnell weg machen müssen, weil Aua das ist, worunter Patient leidet. Aua weg = Leid weg. So einfach geht die Sache nur leider nicht.
Patien/in 1 freut sich über die bunte Pillenpackung, die die Pharmaindustrie reicher macht und den Schmerz "wegzaubert"
Patient/in 2 leidet durch die Einnahme von Pharmazeutika noch mehr, weil das Wissen, was das Zeuch alles für Nebenwirkungen hat und da durchaus auch sehr schädliche, sie zweifeln lässt, ob das Aushalten des Schmerzes (oder einen anderen Umgang damit finden oder einfach mal dem Körper die Zeit lassen können (Stichwort "schnell wieder fit-mach-Gesellschaft, damit leistungsfähig"), die Selbstheilungskräfte zu unterstützen, nicht besser.

Was das Thema Diagnostik im Psychobereich angeht, weiß ich leider von sehr anderen Erfahrungen als die, die Du hier aufführst. Was nicht immer, wie Du ja schon sagst ("Krankenkasse braucht Diagnose" und das lässt gerne auf andere Anstalten und Ämter übertragen) dem diagnostizierenden Personal geschuldet, aber eben "dem System".
Also mache ich mich zum Mittäter im System, wenn ich "nur, weil Amt das braucht" irgendeine (jaja, vielleicht sogar halbwegs zutreffende, aber vielleicht dann eben dennoch vorschnell verpasste) Diagnose vergebe.
Nicht selten vergeben allerdings auch Ärzte Psychodiagnosen, die keinerlei fachliche Grundlage dazu haben *staune immer wieder*. Wo doch mein Gemüsehändler fast dieselbe Kompetenz hätte!

Aber gut, davon war hier nicht die Rede.
"allerdings wurde er so im neuen DSM V aufgenommen und deshalb habe ich diesen auch nicht verändert."

Das ist der Einstieg ins System, herzlichen Glückwunsch.
Ich werfe Dir das nicht wirklich vor, Du machst es ja nicht anders, als all die abertausenden anderen. Es wird ebenfalls bemerkt, dass da etwas "unglücklich" in der Nomenklatur sein kann, aber niemand interveniert. Braucht es erst wieder engagierte Journalisten, die sich ein bisschen mit spitzer Feder auf "ach, ist doch nicht so wichtig"-Mitläufertum aufmerksam machen?
"Der Apparat" funktioniert zu gut, Patienten - zumal im Psychobreich - sind in hohem Maße von Abhängigkeit bedroht und durch asymmetrische Beziehungsformen innerhalb des Systems genauso von Willkür und Machtspielchen.

Ich habe selber angebliche Fachleute ihre Position auf eindeutig sadistische Weise ausnutzen sehen bis hin dazu, dass die Patientensuizidalität erst hervorriefen, bzw. eskalieren ließen.
Egal, ob die nun den Job ohnehin schon aus sadistischer Motivation gelernt haben oder aber ausgebrannt waren nach vielen Jahren Patientenkontakt und eben "Helfer im System" oder durch mangelnde eigene Kompetenz (z.B., weil sie das Fach eigentlich studierten, um sich selber zu erforschen und keineswegs primär Menschenfreunde sind). Das ist nicht als Generalvorwurf zu verstehen, nur sind solcherlei Erfahrungen auch keine vereinzelten. Ich weiß nicht, wie gut die Selbstkontrolle des Systems ist. Wie mir scheint, gibt es dort erhebliche Mängel.
Und das fängt FÜR MICH bereits bei der Nomenklatur an.

Offenbar merkt es doch der eine oder andere sensible Geist in den eigene Reihen, womit da so hantiert wird und welcherlei Wirkung das auf empfindliche so Diagnostizierte haben kann, aber ändern?
Puh, nö, watn Aufwand. Bleiben wir doch lieber bei der Menschenverachtung und den möglichen Zweideutigkeiten und Missinterpretierbarkeiten.
Weil wir hier auch schon an passender Stelle sind: Schizoidie. Die Fachwelt und der sehr aufgeklärte und sehr interessierte Laie mag wissen, dass Schizoidie ungleich Schizophrenie. Aber fragen Sie mal den Otto-Durchschnittsmensch und damit meine ich durchaus auch den Wald- und Wiesenhausarzt.

Ich selber war mit meiner Autoimmunerkrankung mal bei einer HNO-Ärztin, die "häääääh, was haben Sie?" den Namen meiner Erkrankung nicht mal aussprechen konnte oder Tierärzte, die die Einzahl "Antibiotikum" und die Mehrzahl "Antibiotika" nicht mal auf dem Schirm haben. Autsch.

Wie viel Vorschuss-Vertrauen soll man denn in die Gutartigkeit haben, wenn eben bereits beim Einfachsten schon nicht sensibel umgegangen wird?
Wer hat den DSM V verfasst? Fachwelt oder Erna Kawuttke, Sachbearbeiterin in Behörde/Kasse/Amt XY?

Ich werfe es Dir persönlich im Grunde noch nicht einmal vor, dass Du Dich "natürlich"(?) an dieser für Dich "unwichtigen" Stelle nicht gegen das System stellst. Mutmaßlich könntest Du auch noch in einem Alter sein und eben auch bereits in Asymmetrie ("kleine" Diplomandin), so dass der Mumm fehlt, eben auch da bereits schon aufzumerken.
Mir allerdings ist ein ein Anliegen, dafür zu sensibilisieren.
Zumal in der erfreulich-erfrischenden Position, wo ich nichts zu verlieren habe, wenn ich meiner Kritik freien Lauf lasse.

Schön wäre, wenn die von Dir aufgeführten angeblichen Diskussionen der Fachwelt auch ein bisschen eine Spiegel nach Außen hätten und sich wenigstens auch mal in der allgemeinen Öffentlichkeit präsentieren würde. Vielleicht macht es Sinn, sich mal mit einem (z.B. Wissenschafts-)Journalisten m/w zusammenzutun und mal was für positive Öffentlichkeitsarbeit zu machen:-)?
Ok, gerade nicht Dein Fokus, aber vielleicht trägst Du den Gedanken ja mal weiter.
>>bestimmte Eigenschaften hat die manchen Menschen als unangenehm erscheinen dies nicht bedeutet, dass dieser Mensch auch zwangsweise an einer psychischen Erkrankung leidet.<<

Chapeau. Schön.
Ganz ketzerisch könnte man ja auch mal schauen, ob die vermeindlich so negative Eigenschaft vielleicht auch ihre guten Anteile birgt.
Zumal auch die Gesellschaften der Erde keineswegs überall dieselben. Es werden in unterschiedlichen Gesellschaften auch unterschiedliche Eigenschaften "gefördert" und als positiv oder negativ gewertet. Ich las mal einen Artikel (k.a., ob das Anthropologen oder Soziologen waren) darüber, in dem dargestellt wurde, dass z.B. ein Kind, welches hier bereits unter ADHS liefe, also mind. hyperaktiv, Eigenschaften habe, die ich in einigen afrikanischen Gesellschaften als durchaus positiv und erwünscht gelten (z.B. hohe körperliche Aktivität, Lebhaftigkeit). Dagegen z.B. in der japanischen Gesellschaft Eigenschaften, die hier schon unter "hochsensibel" fallen oder in Richtung "Schüchternheit" willkommener wären. Ich gebe das nur aus der Erinnerung sinngemäß wieder.
Aber jede/r kann sich schon vorstellen, was gemeint ist.
Es könnte also durchaus sein, dass wer hier irgendwie "negativ diagnostiziertes" einfach nur woanders hinziehen müsste, um in seinen Eigenschaften positiv bewertet zu werden.
Ob das so weit geht, dass, wer hier therapiert wird, anderswo besonders gehypt wird weiß ich nicht. Aber der Gedankenansatz ist durchaus interessant. Und vielleicht sollte das bei aller Diagnostizierungswut auch im Hinterkopf bleiben.
"Das System" ist unsere Gesellschaft, die aus "unserer Engstirnigkeit" heraus bewertet. Die Bewertung, die eben doch meist mitschwingt, ist das, was mir aufstößt.

UJa, ganz richtig und schön stellst Du dar, dass "Persönlichkeit" kein für alle Ewigkeiten ein in Stein gemeißelter Klotz ist, sondern eine formbare und dynamische Angelegenheit.
Nur leider babbt das Label an "den Patienten" meist ein Leben lang. Einmal schizoid, immer schizoid, einmal "psycho", immer "psycho".

>>Das Funktionsniveau soll also eigentlich (auch wenn es sehr wertend klingt) darstellen bzw beschreiben wie der Mensch selbst sich fühlt, ob er sich als eingechränkt erlebt bzw unter einem negativen Selbstbild leidet oder darunter dass er Probleme im zwischenmenschlichen Bereich hat die Leidensdruck erzeugen.<<

Danke, wichtiger Satz für die Aufklärung und "Richtigstellung".
Allerdings auch hier die Anmerkung, dass auch Patienten sich gern an ihrem Label, welches an ihrer Stirn babbt, festklammern und es sich gerne darin häuslich einrichten und die Option "ich kann mich verändern" gar nicht mehr in Betracht ziehen, bzw. - und das ist sehr verstehbar, wenn es von einer Person des "Systems" als Forderung an einen herangetragen wird - das schlicht ablehnen.
Warum sich verändern, nur damit ich in das Förmchen "normal" gepresst werden kann?
Der Anstoß muss schon aus sich heraus stattfinden, aber gut, das ist ja auch hinlänglich bekannt und usus, dass Therapie keine Sinn macht gegen den Willen des Patienten. Nur leider wird dieser positive "Wille" gern mit Machtmittel erpresst. Da bescheißt sich das System dann selber.
("Wenn Du nicht Therapie/Klinik/Reha XYZ machst, dann machen wir XYZ , z.B. "Leistungen kürzen")

>>kann nur der Einzelne schauen wie er seinen Weg findet mit Bestehendem umzugehen bzw. dieses auch im Bereich seines Möglichen zu beeinflussen.<<

Ja, schon und sicher auch maßgeblich. Aber ich finde auch, dass die träge Dynamik einer gesellschaftlichen Auffassung an sich arbeiten darf. Und Sichtweisen anpassen oder ändern.
Stichwort Inklusion, auch wenn beim Experimentieren auch da einiges schief läuft, aber immerhin wird probiert statt sich hinzusetzen und zu sagen "das ist so und sieh zu wie Du mit dem Vorhandenen klar kommst".

Auch, was Gesetz ist, hängt vom System ab, auch das ist nicht statisch.
Auch hier können beide Seiten dynamisch sein und aufeinanderzugehen. Stichwort "Freigabe von Cannabis".
Man kann Menschen der Gesellschaft kriminalisieren oder aber "die Gesellschaft und die Gesetze" an das Anpassen, was offenbar längst usus ist und großflächig toleriert wird.

Ich danke Dir wirklich sehr, dass Du Dir hier die Mühe gegeben hast, auf meine Postings einzugehen und ein bisschen Aufklärung betrieben hast. Vielleicht ermuntert es ja den einen oder anderen mit Ressentiments, dann doch noch teilzunehmen.
Da wünsche ich Dir nun viel Erfolg und gutes Gelingen mit Deiner Arbeit!

Edit: Rächdschraibbereinigung, wer den Rest findet an Fehlern, darf sie behalten.
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Re: Diagnose von Persönlichkeitsstörungen

Beitragvon SKuriosum » 7. Juni 2016, 01:08

Oh Fuck, das ist zuviel für mein kleines Köpfchen, ... was physisch eigentlich recht groß ist. :lachen:
Ich versuch's trotzdem mal.


@Kalliope:
Klar wurde das System von Menschen erschaffen, aber nicht in diesem Ausmaß aus einem Guss. Die extreme Unmenschlichkeit hat sich durch eine Art Eigendynamik eingefügt. Das passiert, wenn Menschen abstumpfen und sich schlicht an Zustände gewöhnen, dann aber noch mehr "Optimierung" anstreben. Das verläuft sehr langwierig, aber effektiv, über mehrere Generationen hinweg.


@Regina:
Ich halte diese Tests für Deine Intention für nicht unbedingt brauchbar. Mir geht es nicht mal um die Fragen selbst (Gesetzestreue, selbst empfundene Wertigkeit sich selbst gegenüber und im Job usw.), sondern um die Striktheit der möglichen Antworten. Es ist dort nicht vorgesehen, sich an bestimmten Punkten aus der aufgezwungenen Welt rauszunehmen und die Frage innerhalb der persönlichen Wahrnehmung zu beantworten, sofern man sie dort noch beantworten kann.

Beispiel: Es wurden ja einige Fragen gestellt, die bei entsprechender Beantwortung ein negatives Selbstbild bei der auswertenden Person implizieren würden. Die Fragen ließen sich von mir nur innerhalb des maßgebendem Weltbilds beantworten. Tatsächlich habe ich aber ein positives Selbstbild von mir.

Da das aber sehr viel Interpretationsspielraum beim Prüfer zulässt bzw. die Analyse vermutlich extrem verkomplizieren würde, sollten die Tests vorwiegend neutral gehalten werden, statt sie entlang eines bestimmten Weltbilds auszurichten. Und wenn erste Testreihen dann ein klareres Bild abgeben, ließen sich nachfolgende Tests eher in individuellere Richtungszweige auslegen.
Das Bedeutet jedoch mehr Aufwand, aber auch ein präziseres/verlässlicheres Ergebnis. Aber ein BWLer wird ausrechnen, dass diese Präzision vermutlich nur bei höchstens einem Prozent benötigt wird und somit finanziell nicht tragbar ist.

Als ich meine Diagnose noch nicht hatte und mich somit noch nicht mit meiner Andersartikeit befassen konnte, weil ich sie für mich selbst nicht wahrnehmen konnte und stattdessen damit beschäftigt war, unbewusst krampfhaft zu versuchen, mich in das allgemein geforderte Menschenbild reinzupressen, hatte ich bei manchen Fragen solcher Tests teilweise ein schlechtes Gewissen oder es war mir etwas peinlich. Dadurch habe ich mir manche Antworten auch etwas "schöner" geredet. Klar bekommt man immer wieder gesagt, dass man sich auf die erste Antwort beziehen soll, die einem durch den Kopf schießt. Aber wenn nur ein bisschen Eitelkeit in einem steckt, dann lässt sich das nicht immer so strikt durchziehen, egal wieviel Wert man auf Korrektheit legt.


@Kalliope:
Ich kann sagen, dass ich gerade dabei bin, mich unter meinem "Label" häuslich einzurichten - genau genommen bin ich damit schon recht weit voran geschritten. Ich habe tatsächlich nicht vor, noch irgend etwas in Richtung "Normalität" zu ändern. Denn weshalb sollte ich etwas ändern, was mich nicht stört bzw. mich sogar sehr zufrieden schlafen lässt! Und auf Verlangen des Systems hin erst recht nicht.
Ich reagiere empfindlich gegen Stress jeglicher Art und will einfach nur noch meine Ruhe haben!
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Re: Diagnose von Persönlichkeitsstörungen

Beitragvon Kalliope » 7. Juni 2016, 11:40

@SKuriosum:

Sorry für meine Tapete. Da liegt mir was am Herzen.

Ich gehe mal auf das ein, wo Du mich direkt ansprichst.
Vielen Dank jedenfalls, dass Dein Köpfchen sich zu einer Antwort hingerissen gefühlt hat.

Ich denke, Du hast sehr recht, dass das ein schleichender Prozess ist und durchaus etwas mit Abstumpfung zu tun hat. Wohl aber auch damit, aus welchen historischen Zusammenhängen sich etwas entwickelt.
Manches aus der Nomenklatur stammt ja noch aus Zeiten, wo alles, was mit "Psycho..." zusammenhing auch gesamtgesellschaftlich völlig anderes gesehen und bewertet wurde. Nur hat man aus den Gründen, die Du ja auch nennst, nie mal "aufgeräumt". Aus Nachlässigkeit, aus Achtlosigkeit, vielleicht aber halt auch, weil der innewohnende Machfaktor gar nicht so gerne aufgegeben werden möchte oder oder oder.
Es wird Zeit - aus meiner Sicht. Ich finde das NICHT unwichtig.
In einer Branche, die immer so gern den Mode-Begriff der Achtsamkeit hypt.

Letztlich verrät sie sich damit selbst. Und sie muss wissen, ob sie das möchte.
Wenn sie diesem unserem aktuellen Wertesystem zuspielen möchte oder aber alten, reaktionären, gut. Ist dann eine Entscheidung. Sagt dann aber auch etwas aus.

Gut, dass Du das mit dem "Label" noch einmal ansprichst.

Es gibt zwei Versionen, wie man das sehen kann.
Das eine ist, dass man in einem solchen, also eine Diagnose, eine für alle Ewigkeiten geltende, zementierte "Erklärung", böse Zungen könnten sagen: "Ausrede" hat, weshalb man schulterzuckend eben so ist wie man ist und man für jegliche Form der Persönlichkeitsentwicklung im dynamischen Sinne nicht mehr offen ist.
Ich meine, dass da die Diagnosegeber, aber auch die ominöse Gesellschaft Zuspieler ist.
Denn haste erst einmal eine Diagnose (und das gilt weit mehr für Psychodiagnosen, wie aber durchaus auch in nicht geringem Maße für die organische Leiden), so wirst Du die nahezu nicht mehr los.
Das kann eine eigene Dynamik entwickeln. (Mir selber sagte jüngst ein Doc wortwörtlich "wenn ich Ihnen das jetzt in den Arztbrief schreibe, denkt niemand mehr über etwas anderes nach")
Zum Beispiel auch dem Bild, welches darunter beschrieben wird, immer mehr zu entsprechen oder gar entsprechen zu wollen. Die "Umwelt" trägt dann eine negative Erwartungshaltung an Dich heran und Du ensprichst ihr. (selffullfilling prophecy)

Ich meine, eine Diagnose kann fördern, unoffen zu werden für das, was möglich ist oder wäre. Sie muss es natürlich nicht. (Wobei die Entwicklungsrichtung dabei erst einmal unwichtig und offen, wichtiger ist zu erkennen, dass Entwicklung damit bereits von vornherein blockiert oder in eine bestimmte Richtung gelenkt wird - eben, z.B. hin zu "Du musst normal werden" oder aber "Du musst meinem Bild entsprechen")

Zudem kann sie ein Negativbild von sich selbst bestätigen und fördern. Oder aber eine Trotzhaltung, die in die Abwehr von "normal" mündet. Normalgesellschaft grenzt aus - "Aus der Norm eher Rausfallender" grenzt sich auch aus = Front/Grenzzaun. Du bist "der Schizoide", ich bin "der Gesunde". Du hier, ich da. Es verfestigt "Fronten", statt sie aufzuweichen und die Übergänge als fließend zu begreifen. So eine Diagnose kann also polarisierend wirken.
Ich kenne das selber auch aus anderen Bereichen und auch aus meinem eigene Krankheitsspektrum.

Zudem möchte ich von meiner Umwelt nicht primär als "die Krankheit XY" wahrgenommen werden, überhaupt nicht als krank (und zwar auch dann, wenn ich in manchen Bereich NICHT FUNKTIONAL bin!), sondern als Mensch mit eben Eigenschaften XYZ, die mal etwas mehr, mal etwas weniger abweichen von "der breiten Masse".

Ich finde es absolut ok, mit sich ins Reine zu kommen und sich so akzeptieren zu können, wie man ist und danach zu suchen, es sich so gut wie möglich in dem, was man vorfindet an Lebensbedingungen und -möglichkeiten, einzurichten.
Aber nicht im Sinne einer stigmatisierenden (Psycho-)Diagnose, sondern als Mensch mit bestimmten Bedürfnissen und Eigenschaften!
Mir geht es dabei um ein positives Bild und Selbstbild sowie darum, keine künstlichen Beschränkungen (Schranken!) und Selbstbeschränkungen zu schaffen per Verpassen eines Labels/Diagnose.
(Dass eine Diagnose temporär sinnstiftend ist, sei unbenommen, entweder für den Diagnostiker, damit er in der Kommunikation mit Fachkollegen eine Art Hausnummer hat und man ungefähr weiß, wovon die Rede ist und auch für den Ratsuchenden, um sich ERST EINMAL irgendwie verorten zu können, wie bereits gesagt, zu erfahren, bin nicht alleine auf der Welt (und damit ggf. auch sofern erwünscht, Hilfe und Gleichgesinnte zu finden) und vielleicht auch ERST EINMAL Halt zu finden. Dennoch stehe ich dem ganzen Diagnosezirkus, vor allem auch im Psychobereich, aus den genannten Gründen extrem skeptisch gegenüber. Vor allem dann, wenn die Bezeichnung bereits hoch unglücklich gewählt und womöglich bereits das Stigma und die Bewertung in sich trägt.
Allerdings: auch vermeindlich neutrale "Nummern" machen es nicht besser, wie ich leider selber aus eigener Erfahrung aus und mit dem ICD-Katalog (welche Krankheit hättens denn gern? ) weiß.



Hmm, kann ich den Unterschied gute genug darstellen?


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Re: Diagnose von Persönlichkeitsstörungen

Beitragvon SKuriosum » 7. Juni 2016, 21:54

Ich denke, dass das System sich bereits seit einigen Jahrzehnten offensichtlich heuchlerisch zeigt. Die meisten (wenn nicht sogar fast alle) Menschen nehmen die Widersprüche sogar wahr, aber nur in kleinen, differenzierten Dosen und keinesfalls die erdrückende Gesamtheit.
Die breite Konsumauswahl (Mode, Immobilien, Technik, Fahrzeuge, Genussmittel, Reisen, Möbel, oder alles zusammengafasst unter dem mittlerweile modischen Begriff Lifestyle-Produkte) ist das berühmte Opium für's Volk, was logischerweise dazu dient, die Schmerzen (Bürokratie, Geldknappheit/Schulden, Zukunftssorgen - eben psychischer Stress jeglicher Art) zu unterdrücken oder erträglich zu machen.
Aus meiner Sicht ist der nächste logische Schritt, dass Marijuana legalisiert wird, um die Betäubung zu intensivieren und in dieser Form für alle problemlos zugänglich zu machen. Wenn es nach mir geht, dürfen sie sich dabei gerne auch beeilen, da es für mich vieles vereinfachen würde. :peace:
Das alles funktioniert bislang super. Das System beschreitet parallel viele verschiedene Wege, um sich selbst zu erhalten. Aus der Weiterentwicklung ist irgendwann ein gefährlicher, alles einnehmender Selbstläufer geworden.
Wenn das System in personifizierter Form existieren würde, würde man ihm/ihr mittlerweile sehr viele Persönlichkeitsstörungen diagnostizieren können. Ein "normaler" Mensch hätte unter dieser erdrückenden Last und den Widersprüchen vermutlich längst sein Leben beendet. Vielleicht aber auch nicht.

Man muss sich nur mal überlegen, wie einfach es in der Theorie ist, das System abzuwürgen. Aber mangelnde Absprachen (trotz der großen Weltcommunity in Facebook) und Misstrauen innerhalb der unterworfenen Bevölkerung führt dazu, dass das niemals passieren wird. Denn niemand will verständlicherweise zu den ersten gehören und dafür noch Kloppe einstecken.

Ich kann durchaus verstehen, dass die meisten Menschen nicht in erster Linie als "Krankheit XY" wahrgenommen werden wollen. Ich befinde mich aber in der typisch schizoiden Situation, dass ich einerseits soziales Miteinander meide, soweit es mir möglich ist, und mir andererseits vollkommen egal ist, was andere Menschen über mich denken bzw. von mir halten und ob sie überhaupt über meinen Eigenschaften- und Fähigkeitenkatalog bescheid wissen. Desweiteren habe ich kein Interesse, an diesem krankhaften Kapitalismus teilzunehmen. Daher ist mir die Stigmatisierung meiner Selbst vollkommen egal.
Ich weiß aber auch, dass ich mich keineswegs auf etwas bestimmtes festtrete, weil die Diagnose es so vorgibt. Denn der persönliche Wohlfühlfaktor ist entscheidend. Und wenn sich aus diesem Wohlfühlfaktor heraus andere Eigenschaften bilden oder bestehende Eigenschaften zurückbilden, dann werde ich mich dieser Entwicklung im persönlichen Rahmen keineswegs verweigern.
Tatsächlich ist dieses Label aber auch für mich eine Ausrede, um mich nicht mit dem Kram anderer Menschen beschäftigen zu müssen - "Ich bin halt so! Komm damit klar oder lass es! Wenn es Dir nicht passt, Du weißt wo die Tür ist.". Ich finde diesen "Fluchtweg" für mich sehr angenehm und stellenweise auch sehr einfach umzusetzen. :begeistert:

Ich glaube, die angestrebte Darstellung der Unterschiede, um auf Deine letzte Frage einzugehen, ist Dir nicht sehr gut gelungen. Zumindest in meinem Fall hat es etwas Verwirrung gestiftet. Aber ich stehe auch nicht stellvertretend für andere. Zumal meine Aufnahme- und Verarbeitungsvermögen recht eingeschränkt ist.
Aber ich denke, dass ich es schlussendlich doch irgendwie geschafft habe, Deine Darstellung sinnvoll zu begreifen. :)
Auch eine 99,9%ige Sicherheit beherbergt 100% Ungewissheit.


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