Die objektiv-physikalische Wirklichkeit der Naturwissenschaften ist überaus beeindruckend, die mit Supertheorien wie der Relativitäts -und Quantenphysik ein hohes Maß an universeller Geltung erreicht hat; es ist durchaus legitim zu sagen, die moderne Physik bildet eine Projektion zur existierenden Welt, die sagenhaft qualifiziert an die Gesetzmäßigkeiten im Universum approximiert, sofern man davon ausgeht, dass das Universum materialistisch ist, also eine von Menschen unabhängige Existenz mit unabhängigen Gesetzen besitzt.
Die Naturwissenschaften - vorrangig die Physik als diejenige, die das Universalkonzept des Universums ergründen will - sind ihrer Art nach im positivistischen, aber auch kritisch-rationalistischen Denken verankert, d.h. alles, was theoretisch prognostiziert und experimentell validiert ist, gilt, aber nur solange bis es nicht widerlegt worden ist. Alle physikalischen Weltbilder fußen letztlich also auf einer Hypothek des Vetrauens daran, dass alle Aussagen über die Welt temporär sind. Letztlich erhofft man sich wohl somit, an den niemals zu erreichenden Zustand der absoluten Wahrheit (oder vllt. in Hegels Worten eines "absoluten Wissens" ) lediglich eine qualifizierte Approximierung zu erreichen, mit der innerhalb des Universums alle Phänomene unter eine apodiktische Theorie subsumiert werden können.
Ob es Zufall gibt, weiß ich nicht. Das hängt meiner Meinung davon ab, wie es in der Quantenwelt aussieht. Wenn wir die materielle Weltvorstellung nehmen (alles besteht aus Teilchen), dann gibt es keinen Zufall, sondern im Urknall wurde alles festgelegt. (Wie beim Billard am Anfang. Die Kugel liegen formiert da und dann kommt der Anstoß. Dann bewegen sich die Kugeln in alle möglichen Richtungen.)
Wenn allerdings alles so sprunghaft ist, wie die Quantenmechanik zu sein scheint, ist es wohl sehr wahrscheinlich, dass es Zufälle gibt. Es könnte auch sein, dass hinter der Quantenmechanik noch eine Mechanik steht, die teilchencharakter hat, die nicht zufällig ist, aber die Quantenmechanik festlegt. Dahinter könnte dann eine Quantenmechanik² stehen, die zufällig erscheint, aber hinter ihr verbirgt sich wieder eine Mechanik verstecken, die Teilchencharakter hat und das Spiel könnte ich jetzt unendlich weitermachen.
Ob es den Zufall gibt, hängt letzten Endes vom Paradigma ab, das den Zugang zur Vorstellung der Welt als eine Art Leitfaden bildet. Als Quantenphysiker hat der Zufall höchste Relevanz innerhalb statistischer, quantenphysikalischer Regelmäßigkeit, während der klassische Physiker in seinem kausalen Weltbild den Zufall als marginal abtut, da die Quantenwelt sowieso "geronnen" sei wegen der Dekohärenz und somit keine Gültigkeit innerhalb der klassischen Welt habe.
Es ist ein wundersames Faszinosum, wie sehr doch der Zeitgeist der Realitätsvorstellungen von physikalischen Konzepten erfüllt ist, deren Gehalt von der subjektiven Bewertungen des einzelnen entfremdet sein soll; dass physikalische Supertheorien so abstrakt und komplex sind, ist einerseits an der Komplexität des Universums selbst geschuldet, aber auch dem Grad der Objektivität, worin der Gegensatz zum Glauben steht.
Doch gerade die Summe der individuellen Wirklichkeitsvorstellungen aller Menschen, ihre reziproke Vernetzung bishin zur Konstruktion einer sozialen, gesellschaftlichen Realität, die nicht nur durch uns erzeugt ist, sondern auch uns determiniert, ist eine gleichgroße, wenn nicht sogar mächtigere Realität als die rein naturwissenschaftlichen, eher nüchternen Wirklichkeiten. Sie betrifft nämlich unser Leben in unmittelbarer Art.
Das Buch "social construction of reality" von Peter L. Berger und Thomas Luckmann war seinerseit ein Meilenstein der Soziologie, indem die formalen Strukturmuster von gesellschaftlich relevanten Wirklichkeitskonstruktionen untersucht werden; ausschlaggebend für unsere Wirklichkeit sei demnach die Fähigkeit des Menschen, sich selber zu objektivieren, d.h. die Subjektivität des menschlichen Ausdrucks in eine scheinbare Objektivität zu überführen, was Grundlage allen Wissens sei - dies geschehe über Symbolsysteme (Piktogramme, Sprache, Mathematik usw.). Die Essenz dieses Buches liegt eigentlich darin, dass unsere Realität der objektiven Welt eine Abstraktion der Vis-A-Vis (face to face) Situation bzw. dem unmittelbaren Miteinander sei, in der alle Sinnhaftigkeit aller komplexer, mittelbarer Kommunikation liege. Der Fokus liegt eindeutig auf einer anthropozentrischen Wirklichkeitsdekonstruktion, also alles als ein Konstrukt der Menschen zu entlarven, welches auf einer stammesgeschichtlich Notwendigkeit des unmittelbaren Austauschs unserer primitiven, aber sozialen Vorfahren zurückzuführen ist.
In der Hinsicht beschäftigt sich auch die Sprachphilosophie mit der Grenze des Ausdruckbaren und somit auch der Grenzen unserer Wirklichkeitsvorstellungen, worüber Wittgenstein recht schön formulierte: "Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt." Da Sprache nur ein Teil der menschlichen Objektivierung ist, kann man es auf die gesamte Objektivierung anwenden.
Wenn etwas an die Unendlichkeit des Kosmos heran kommt, so ist es die Gedankenvielfalt der Menschheit. Nicht nur, dass wir uns das Universum als Unendlichkeit vorstellen - wir stellen uns auch vor, was nach dieser Unendlichkeit kommt (Gott oder andere Konzepte usw.).