Kriegsenkel

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Kriegserbe in der Seele: Was Kindern und Enkeln der Kriegsgeneration wirklich hilft

Beitragvon sdsdsdsv » 18. September 2017, 13:57

Baer, Udo: Kriegserbe in der Seele: Was Kindern und Enkeln der Kriegsgeneration wirklich hilft, Weinheim 2015

Umschlag: "Kriegserlebnisse und die durch sie verursachten Traumata hinterlassen oft über Generationen Spuren in Familien, ohne dass diese konkret benannt werden können. Dieses Buch zeigt, woran Kriegskinder und Kriegsenkel die Folgen der von den Eltern oder Großeltern »vererbten« Traumata bei sich selbst erkennen. Es bietet konkrete Hilfe an, etwa bei scheinbar unbegründeten Ängsten, nicht zu greifenden Einsamkeitsgefühlen, dem quälenden Gefühl der Liebesunfähigkeit oder übermäßigem Leistungsdruck. Eine Fülle von Übungen helfen, den »Schritt beiseite« aus der Weitergabe von Kriegstraumata zu wagen.

»Wir knüpfen dort an, wo die anderen Kriegskinder- und Kriegsenkel-Bücher aufhören: bei dem, was hilft. Denn die Kette der Traumaweitergabe muss unterbrochen werden, damit nicht auch noch unsere Kindeskinder unter den Kriegsfolgen leiden müssen.« Udo Baer und Gabriele Frick-Baer
"

Das Buch fand sich in der hiesigen Bibliothek. Auf 188 Seiten wird Fragen nachgegangen wie: Wie sie sich und die Großeltern besser verstehen, bedeutet verstehen auch verzeihen?, wie sie Erklärungen finden, wie sie den Schritt beiseite schaffen und wie sie ihre eigene Persönlichkeit würdigen. Den Abschluss bilden allg. Übungen für Traumatisierte und auf den letzten neun Seiten wird noch der Begriff Trauma erklärt. Ein Fallbeispiel dient jedes mal als Einleitung, welches anschließend auf zwei bis drei Seiten erörtert wird. In den Erklärungen wird auf Fachbegriffe verzichtet, die Autoren richten sich anscheinend vor allem an Menschen ohne psychologisches Hintergrundwissen. Viele Wiederholungen und Offensichtliches machen die Lektüre zäh: Die Aussage, dass Traumata an die Kinder weitergegeben werden, findet sich alle paar Seiten, der Begriff "Trauer" wird immer wieder erklärt, generell werden komplexe Zusammenhänge stark vereinfacht, alternativen Erklärungen für das Verhalten der Eltern wird kein Platz eingeräumt. Aufgrund dessen und des hölzernen Stils wegen, habe ich das Buch immer wieder nach ein paar Seiten weggelegt - es kam kein Lesefluss zustande.

Auf der anderen Seite ist es vielleicht nicht schlecht, wenn bei einem Thema wie diesem auch Selbstverständliches klar und oft gesagt und nicht zuviel vorausgesetzt wird. Ihr Trauma erschien den Betroffenen schließlich auch lange als selbstverständlich und das "Besondere" herauszuarbeiten ist nicht eben leicht. Vielleicht gibt es ja auch wirklich Menschen, denen damit geholfen ist, wenn man ihnen rät, den Dialog mit den Eltern sanft und subtil zu beginnen ("Wie war das damals?"), statt mit der Tür ins Haus zu fallen ("Wie viele Kinder hast du im Krieg erschossen?"). Die Amazon-Kunden jedenfalls sind voll des Lobes. Dennoch hätte man den Text bei dem Anspruch, d. h. den wenigen Ideen, kurzen Erklärungen von Zusammenhängen und dieser geringen zugelassenen Komplexität auch auf der Hälfte der Seiten zusammenfassen können. Was mir trotz allem gefiel, war die Praxisbezogenheit; Erklärungen standen nicht für sich, sondern mündeten in Anleitungen seinen Standpunkt oder sein Handeln zu verändern.

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Re: Kriegsenkel

Beitragvon Kalliope » 18. September 2017, 14:44

Vielen Dank für die Buchvorstellung @sdsdsdsv. Es ist ja auch erstaunlich "frisch" auf dem Markt.
Mittlerweile gibt es ja mehr Enkel als Kinder der Kriegsteilnehmer. Jedenfalls finde ich nur selten noch jemanden, dessen Eltern nicht (nur) Kinder, sondern auch Kriegsteilnehmer WK2 waren. Das Buch richtete sich wahrscheinlich also eher an jene?
Schade, dass es nicht so "zugänglich" ist. Aber es gibt ja auch noch andere.

Der Dialog mit den Eltern gestaltet/e sich wohl ziemlich breitflächig schwierig. Zum einen, weil von der Elterngeneration viele KriegsKINDER waren und die Kriegserlebnisse in einem nicht wirklich bewussten, reflektierten Zustand wahrgenommen haben/wahrnehmen konnten, zum anderen wegen der Kunst der Verdrängung. Auch anders Traumatisierte, gleich welcher Art, mögen oder können sich ihrem Trauma nicht (nochmal) stellen, alles wieder "nach oben rühren".
Es ist also die Frage, wie viel "Gefallen" man diesen Generationen damit tut, da allzusehr zu insistieren.

Und wenn das nicht oder nicht mehr möglich, da Direktes aus erster Quelle innerhalb der Familie an Informationen zu bekommen, um wiederum sich selbst zu verstehen (denn letztlich geht es ja darum), dann bieten sich andere hilfreiche Möglichkeiten. Die müssen gar nicht so viel schlechter sein.

Hier mal aus eigenem Tun brauchbare Methoden:
a) die Familiengeschichte oder die einzelner Mitglieder erstmal anhand "historischer Daten" und chronologisch aufarbeiten. Dabei gibt es bereits sehr viele Aha-Erlebnisse. Dabei unterstützen können z.B. andere Verwandte, die als Unbeteiligte etwas zum Werdegang der eigenen Kleinsippe sagen können. Aber auch Institutionen wie das WASt, DRK o.ä. können beitragen.

b) bisschen "krasse" Methode vielleicht, aber: das selbst nicht Erlebte irgendwie fühlbar nachvollziehbar machen. Das kann z.B. mithilfe von Dokumentationen filmischer oder fotografischer Art sein, mit dem Aufsuchen von Orten/Stätten/Lesungen von Zeitzeugen o.ä. oder direkt körperlich (lass' ich mal weitgehend offen. Natürlich meine ich NICHT, mal auszuprobieren, wie es ist, einer scharfen Waffe im Feld gegenüberzustehen. Aber man kann schon Einigem sich "annähern", und sei es nur körperliche Belastungen. Schon mal einen Winter lang NICHT geheizt? Schon mal ein halbes Jahr so gut wie nichts gegegessen außer ein paar Kartoffeln? - und im Krieg waren die auch eher verschimmelt oder nur die Kartoffelschalen ... Das macht manch seelsche Disposition erstaunlich nachvollziehbarer.

c) habe ich selber auch noch nicht probiert, da mir bislang so etwas nicht bekannt ist (hätte aber Interesse daran): eine SHG mit "Betroffenen". Ersatzweise gehen auch die Kinder der Verwandten, das ist dann noch näher oder im Freundeskreis. Habe eine Freundin, deren Vater ebenfalls als junger Erwachsener den WK2 voll mitgemacht hat, fast selber Jahrgang wie mein Vater. (Dabei ist sie noch jünger als ich.) Irre, wie viele Gemeinsamkeiten es da gibt. Ich empfinde sie fast als Schwester, weil sie aus fast identischen "Strukturen" kommt. Auch das kann nützlich sein.

Es ist auch bezeichnend, dass diese Aufarbeitungen erst jetzt eigentlich richtig stattfinden. So lange also hat es gebraucht, bis nachfolgende Generationen sich dem Thema wirklich stellen können.
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Re: Kriegsenkel

Beitragvon sdsdsdsv » 18. September 2017, 16:00

Kalliope hat geschrieben:Vielen Dank für die Buchvorstellung @sdsdsdsv. Es ist ja auch erstaunlich "frisch" auf dem Markt.
Mittlerweile gibt es ja mehr Enkel als Kinder der Kriegsteilnehmer. Jedenfalls finde ich nur selten noch jemanden, dessen Eltern nicht (nur) Kinder, sondern auch Kriegsteilnehmer WK2 waren. Das Buch richtete sich wahrscheinlich also eher an jene?
Gern. Das stimmt, das Buch richtet sich mit seinen Fallbeispielen eher an diejenigen, deren Eltern den Krieg noch erlebten und ist damit eher für ein älteres Publikum gedacht. Fiel mir gar nicht auf. Ich weiß nicht, ob es einen solch großen Unterschied macht, ob es nun die Eltern waren, oder die Großeltern, die ihr "Erbe" weitergaben.

Der Dialog mit den Eltern gestaltet/e sich wohl ziemlich breitflächig schwierig. Zum einen, weil von der Elterngeneration viele KriegsKINDER waren und die Kriegserlebnisse in einem nicht wirklich bewussten, reflektierten Zustand wahrgenommen haben/wahrnehmen konnten, zum anderen wegen der Kunst der Verdrängung. Auch anders Traumatisierte, gleich welcher Art, mögen oder können sich ihrem Trauma nicht (nochmal) stellen, alles wieder "nach oben rühren".
Es ist also die Frage, wie viel "Gefallen" man diesen Generationen damit tut, da allzusehr zu insistieren.
Hm, interessanter Gedanke. Das Alter der Traumatisierung spielt sicherlich eine große Rolle. Für das Verständnis des eigenen Verhaltens oder das der Eltern ist es möglicherweise notwendig, sich damit zu befassen. Aber wenn es zu schmerzhaft ist?

Und wenn das nicht oder nicht mehr möglich, da Direktes aus erster Quelle innerhalb der Familie an Informationen zu bekommen, um wiederum sich selbst zu verstehen (denn letztlich geht es ja darum), dann bieten sich andere hilfreiche Möglichkeiten. Die müssen gar nicht so viel schlechter sein.
Das klingt schon sehr hilfreich. Das WASt kannte ich noch nicht. Dieser Methode sich selbst etwas "anzutun" kann ich gar nichts abgewinnen, gerade, wenn einem lebenslang bereits etwas vorenthalten wurde. Anderen mag es helfen.

c) habe ich selber auch noch nicht probiert, da mir bislang so etwas nicht bekannt ist (hätte aber Interesse daran): eine SHG mit "Betroffenen". Ersatzweise gehen auch die Kinder der Verwandten, das ist dann noch näher oder im Freundeskreis. Habe eine Freundin, deren Vater ebenfalls als junger Erwachsener den WK2 voll mitgemacht hat, fast selber Jahrgang wie mein Vater. (Dabei ist sie noch jünger als ich.) Irre, wie viele Gemeinsamkeiten es da gibt. Ich empfinde sie fast als Schwester, weil sie aus fast identischen "Strukturen" kommt. Auch das kann nützlich sein.
Ähnliche Schicksale verbinden. :Blümelein:

Es ist auch bezeichnend, dass diese Aufarbeitungen erst jetzt eigentlich richtig stattfinden. So lange also hat es gebraucht, bis nachfolgende Generationen sich dem Thema wirklich stellen können.
Die von Vielen empfundene Schuld spielt da sicherlich eine Rolle.

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Re: Kriegsenkel

Beitragvon Kalliope » 18. September 2017, 18:06

@sdsdsdsv
Es waren ja nur Beispiele, wie man sich auch "ohne Eltern" dem irgendwie annähern kann. Ich verstehe durchaus, wenn man sich da nicht der direkten Konfrontationsmethode bedient (die ja auch nie eine 1:1 sein kann, sondern immer nur eine Ahnung dessen aufkommen lassen kann, wie die Verhältnisse waren). Wie z.B. auch die Erinnerung an zerschossene Haus-Fassaden in meiner Kindheit und dass mich das seinerzeit sehr beeindruckt hat.

Ich weiß gar nicht mal, ob der Faktor "Schuld" der ist, der so schwierig war. Denn es ist ohnehin die Frage, wie viel Schuld wirklich empfunden wurde.
Denn versetzt man sich mal in die seinerzeit sehr jungen Männer hinein, die ja meist auch eine Hitlerjugendprägung genossen hatten und diese Ideologie verinniglicht hatten und dann durchaus mit Überzeugung in den Krieg zogen - im Nacken noch die geerbten Schmach- und Rachegefühle ihrer Väter (ebenfalls traumatisiert/kriegsgeprägt aus WK1), die es wieder gut zu machen galt -, dann ist viel eher auch denkbar, dass später folgendes ein innerliches Dilemma hervorrief:
Sie hatten ihre wichtige Entwicklungsphase des frühen Erwachsenendaseins einem Krieg und einer Ideologie geopfert, häufig viele Jahre, mit Kriegsgefangenschaft konnten das locker mal 10 werden an der Zahl.
Und "danach" war da kein Dank, kein Heldentum, keine Orden (die bis dahin so wichtig waren!), sondern das ganze Gegenteil. Es war sicher eher opportun, nichts mehr an die große Glocke zu hängen, wollte man nicht als "ewig gestriger Nazi" beurteilt oder sogar verurteilt werden.
Das alles abgesehen von all dem, was da sonst an traumatischen Erlebnissen mit in die Nachkriegszukunft getragen wurde (mir hat seinerzeit der Inhalt einer kleinen "Gift"schatulle gereicht, die ich zufällig als 12-Jährige im Keller fand: Fotos aus dem Krieg, verbrannte Leichen, Pferde, Zerstörung pur.

Ein Großteil des Lebens derer war zu gut deutsch "verpfuscht" (andere freilich hatten es gleich ganz geopfert - for nothing). Und das, worauf man dann eigentlich gesetzt hatte und was sicher Viele auch hat durchhalten lassen - Ruhm und Ehre: das ganze Gegenteil! Man sollte sich schämen, wofür man sein Leben gegeben hätte. Ich weiß nicht, wie viele diesen inneren Switch wirklich hinbekommen haben. Und könnte mir vorstellen, dass auch darin ein guter Grund fürs Schweigen lag. Selbst, wenn Viele wahrscheinlich sogar tatsächlich ihre Verblendung der jungen Jahre durchaus erkannt haben dürften, dürfte diese Diskrepanz des eigenen Opfers gegenüber der Schuld, einem abartigem System gedient zu haben, recht schwer gefallen sein.

Was ich sagen will: die "Schuld" allein ist das, glaube ich, nicht gewesen.
Und mein Vater meinte einmal, weshalb er nicht darüber sprechen würde: "Ihr würdet es sowieso nicht verstehen und ich möchte Euch nicht damit belasten". Was den Zeitpunkt anging, gebe ich ihm rückblickend sogar recht. Auch die Folgegeneration muss/te erst einmal "reif" genug werden, also ein Reflektionsfähigkeitsstadium erreichen, um differenziert darauf zu schauen.

Man muss ich nicht zwangsläufig selbst etwas "antun", aber Konfrontation kann durchaus hilfreich sein. (Besuch z.B. von Gedenkstätten, Kriegsgräber(feldern) etc.pp. Man braucht da sich nur einmal die Geburtsdaten und Sterbedaten anzuschauen, all die gleichen Kreuze, um die Tragik dessen zu erfassen. So viel absolut sinnlos vernichtete junge Leben! Für schwachsinnige Ideologien. (Und sie tapsen bis heute immer und immer wieder in diese Fallen...)
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Re: Kriegsenkel

Beitragvon Traumafrau » 18. September 2017, 20:02

In dieser Doku nimmt das Thema Kriegsenkelgeneration einen recht großen Raum ein:

Vererbte Narben - Generationsübergreifende Traumafolgen (Arte, 2017)

https://www.youtube.com/watch?v=TuiJtREwjPc

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Re: Kriegsenkel

Beitragvon sdsdsdsv » 23. September 2017, 11:34

Hallo Kalliope, danke für deinen Beitrag. Zerschossene Hauswände habe ich nur einmal gesehen, als ich in den neunzigern mit den Eltern im Urlaub in Ostdeutschland waren und ich die Schäden gar nicht erkannte, bis meine Eltern mich aufklärten. Sie sind sicherlich bis jetzt behoben. Deiner Darstellung des schwierigen Umgangs mit der prägenden Umwelt und ihrer Ideologie finde ich gelungen. Wie soll man sich als Zeitzeuge ohne weiteres davon befreien? In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erlebten die Deutschen drei große Brüche: Das Kaiserreich ging unter, dann die Weimarer Republik und schließlich der Faschismus. Kein Wunder, dass man anschließend auf Wahlplakaten mit "Keine Experimente!" warb. Kein westlicher Staat hat solche Einschnitte hinter sich bringen müssen. Dein Ansatz, sich der Geschichte anhand von Denkmälern u.a. zu vergegenwärtigen ist sehr löblich.

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Re: Kriegsenkel

Beitragvon Kalliope » 23. September 2017, 16:48

@Traumafrau: die Sendung hatte ich auch gesehen. Schön, dass Du den Link hier eingestellt hast!
Meinetwegen könnte es gerne noch mehr Sendungen zum Thema geben.
Denn letztlich ist es ja hoch aktuell, mindestens in zweifacher Hinsicht. Denn auch beim "anderen" Sozialismus muss oder darf man sich ja mit dem Thema "Mitläufertum" und letztlich dann auch dem Thema "Schuld" auseinandersetzen.
Und, noch viel aktueller, wenngleich auch natürlich völlig anderen Ideologien/Religionen/Kulturen entsprungen, aber gewiss nicht weniger reich an Traumatisierung und "Vergleichbarem": die nun bei uns Schutz Suchenden - oder was auch immer. (Ich meide das Wort Flücht****.)

@sdsdsdsv:
Danke für Deine Antwort.
Zerschossene Hausfassaden konntest Du in den 60er und auch 70er Jahren auch in Westberlin noch recht zahlreich finden. Im Osten haben sie sich offenbar noch länger erhalten. Aus ganz persönlicher Sicht wäre es hier und da im Sinne des "Mahnmals" recht wertvoll gewesen, sie zu erhalten (Stichwort "Gedächtniskirche" in Berlin).
Ich finde es sehr gut, dass Du darauf hinweist, dass der Erfolg der braunen Sozialisten natürlich auch nicht aus dem Nichts kam, sondern "Gründe" hatte. So, wie es heute halt Gründe hat, weshalb Menschen Parteien zuströmen, in denen sie Heil und vor allem Halt oder mindestens "Ordnung" suchen. Ggf. sogar "Bekanntes/Gewohntes".

"Sich der Geschichte" anhand von Gedenkstätten (ist mir wichtiger als Denkmäler!) zu nähern gelingt natürlich nur, wenn man den emotionalen Teil auch an sich heranlässt. Sonst bringt es leider gar nichts, wenn man das im touristischen Sinne "abklappert", ein Selfie "hier war ich auch" knippst und das ganze ganz schnell vergisst durch schnelle Ablenkung.

Was die Kriegskinder angeht, also die, die in den Krieg hineingeboren wurden: so ist das Trauma ja ein ebenfalls so frühkindliches wie das hier im Forum auch Viele für die oder gar "ihre" Schizoidie annehmen. Meine Mutter wurde direkt mitten in den Krieg hineingeboren. Doppeltraumahaft von ihrer leiblichen Mutter "verlassen" und zur Tante gegeben (die die Verantwortung wohl mehr aus Pflicht denn aus Freiwilligkeit übernahm). So verbrachte sie also im wahrsten Sinne des Wortes mutterseelenallein ihre ersten 5 Lebensjahre in Bunkern und Bombenhagel in der Innenstadt der Hauptstadt.Typhus und Prügel (der überforderten Tante) hat sie überlebt, genauso wie den Krieg selbst.
Wie geht so ein Mensch dann weiter im Leben und wie geht er gar mit irgendeiner "Kollektivschuldfrage" um? Wie absurd muss diesen KriegsKINDERN so eine "Anschuldigung" vorgekommen sein, wo sie wahrlich vollkommen unschuldig und ungefragt da hineingeboren wurden? Und noch viel mehr und eher Opfer dieses Krieges waren, als die dort Hineinerzogenen (die, ich sage mal, so etwas wie eine Mischung aus Opfer und Täter wurden, manche freilich eher Opfer, manche eher Täter - zumal es ja noch ganz andere "Schuld"/Schuldvarianten im Kriege gibt als die kollektive (einem abartigen System gedient zu haben). Als Beispiel sei nur genannt: irgendwer muss ja z.B. Vergewaltigungen und Erschießungen, Brandschatzungen an der Zivilbevölkerung des Gegners begangen haben.

Und die Kinder der Kriegkinder, also "ich" ("und meine Generation" kann ich kaum sagen, denn von Seiten meines Vaters aus, der so in die letzten Wehen des Kaiserreichs hineingeboren wurde, gehöre ich eher zu der Generation der heute 70-Jährigen denn zu der meinen Lebensaltersgenossen) - konnten mit dem "Schuldbegriff" ebenfalls für sich persönlich nichts anfangen. Natürlich war und ist es gut und auch richtig und auch wichtig, diese Zeit immer wach und in Erinnerung zu halten. Denn das Grauen spürbar zu machen, heißt (die Chance zu vergößern), ein neues/eine Wiederholung zu verhindern.

Nun denn: wir - WIR aktuell Lebenden - haben nun die Chance, uns dem Thema freier von persönlicher Emotionalität, aber mit hoher Empathie und Sensibilität zu nähern. Und zu verarbeiten. Um die Traumata nicht mehr weiterzugeben.
(ICH hatte noch große Angst, zu große, da etwas weiterzutragen.)
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Re: Kriegsenkel

Beitragvon Kalliope » 23. September 2017, 17:02

P.S.: ich halte also die Befreiung oder Befreitheit von (Kollektiv-)Schuldgefühl eher für eine Notwendigkeit für eine neutrale, reflektierte, differenzierte und empathische Auseinandersetzung mit dem Geschehenen.
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Themis

Re: Kriegsenkel

Beitragvon Themis » 23. September 2017, 17:48

Danke für den Link zur Doku.

Ich hatte immer den Eindruck, dass meine mit ihren 2 kleinen Kindern und einer alten Großtante aus dem Sudetenland vertriebene Oma (Jg. '12) weniger traumatisiert war als mein Vater und seine Schwester (Jg. '41 und '40). Meine Erklärung dafür war, dass meine Oma an den schlimmen Belastungen wachsen musste und konnte (vor der Vertreibung schon nur geduldet Sein, dann Koffer packen innerhalb 2 Stunden, Transport, Zwangseinquartierung bei hessischen Bauern, Mann vermisst und später für gefallen erklärt, Alleinerziehen der Kinder, Wehren gegen Vergewaltigungsversuche des Bauern, ständige Angst, ...), um sich und die Kinder überhaupt durchzubringen.
Es wird auch Gründe gehabt haben, warum sie nie wieder einen Mann wollte und hatte.

Aber die "Kriegskinder" - Vater und Tante - wurden viel mehr geschädigt, das hat man immer gemerkt. Mein Bruder (jetzt schon lange tot) und ich haben geerbt, dass wir uns nirgendwo zuhause und zugehörig fühlen.

Mit der Vertreibung hatte ich mich mit Anfang 20 intensiv beschäftigt und auch einige Male mit meiner Oma darüber gesprochen; das half mir, Vieles im Verhalten meines Vaters zu verstehen.
Mit dem Kriegsalltag der hier Lebenden habe ich mich noch nicht beschäftigen wollen; ich fürchte, da habe ich auch eine große Portion Abneigung gegen alle Verwurzelten von meinem Vater übernommen. Das sollte man natürlich auch nicht; aber denke, die persönliche "Aufarbeitung" (ich mag das Wort nicht) kann auch nur schrittweise erfolgen und wenn man bereit dazu ist. Sonst kommt sie nicht an.


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