Perry Rhodan

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sdsdsdsv
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Perry Rhodan

Beitragvon sdsdsdsv » 18. Oktober 2014, 23:29

[align=justify] Perry Rhodan, Reaktionär aus Leidenschaft

Dem Science Fiction Genre bin ich nicht abgeneigt, ein so großer Fan “unseres Mannes im All” war ich aber nie. Wenn sich mal die Gelegenheit ergab, weil ein entfernter Onkel oder der Vater eines Freundes mir ein Heftchen zugänglich machte oder liegen ließ, machte ich mich aber darüber her. Später fielen mir ein paar der Silberbände in die Hände und dankbar verputzte ich das literarische Fast Food, welches mit Raumschlachten, unbekannten Kulturen und plakativem Heldentum aufwartete.

Jetzt, gealtert und kritischer geworden, habe ich es noch einmal mit dem “Terranova Zyklus” probiert, der mit Band 2300 (“Vorboten des Chaos”) beginnt. Das Hörbuch dieses spannenden Kurzromans war eine Zeitlang kostenlos verfügbar und ist wirklich sehr gut gelungen, was mich bewog, der Geschichte weiter zu folgen und auf Perrys Spuren zu bleiben. Aber ach! Es ist gar nicht mehr so einfach das Gebotene zu goutieren, wenn die Autoren seit nunmehr einem halben Jahrhundert ihren Stiefel durchziehen und die Geschichten und die damit vermittelten Wertigkeiten im Grunde die selben sind.[/align]
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[align=justify]Man kann es den Autoren nicht vorwerfen, dass sie in eine bestimmte Kultur hineingeboren wurden, aber gerade die Schilderungen der (Raum)Schlachten der frühen Hefte erinnerten mich nicht wenig an gewisse Kriegspropaganda aus den Dreißigern, wenn da z. B. von Maschinengewehrgarben, oder dem “Funker” berichtet wurde. Dieser Funker, mal anonym, mal mit Namen und Persönlichkeit versehen, war eine immer wiederkehrende Figur, die als kleiner erzählerischer Kniff noch mal zusätzlich emotional auf eine der wichtigen ein- und ausgehenden Meldungen reagieren konnte. Nun, es gibt ihn immer noch und die Autoren machen häufig von ihm Gebrauch.

So klassische militärische Stärke ist ohnehin das A und O der Geschichten, denn wie sonst sollte wohl einer natürlich militärischen Bedrohung entgegengetreten werden? Bei den Beschreibungen der Truppenverbände übt man sich in gern Zahlenhuberei mit der Absicht den geneigten Leser zu beeindrucken: Wie groß die Schiffe sind, wie viele Kampfroboter mitgeführt werden, welche Waffen an Bord sind und welche Reichweite diese haben, wird minutiös aufgelistet, was mir jedoch nichts weiter als ein hilfloses Schulterzucken entlockt. Gibt’s da Leute, die beim Lesen dieser Zeilen ob dieser beeindruckenden Machtdemonstration eine Träne verdrücken? Überhaupt die Schiffe! Während die übrige phantastische Literatur sich mit exotischen Raumschiffdesigns überbietet, bleibt man sich bei Perry Rhodan treu. Hier gibt es metallene geometrische Formen und Kombinationen davon, wie den allgegenwärtigen “Kugelraumer”, wie auch immer wieder "Walzen", "Spindeln" oder "Diskusse". Diese zieren natürlich auch die Cover und es ist schon irgendwie anerkennenswert, dass man bis heute und bei der Konkurrenz diese uninteressanten Lego-Designs beibehält.[/align]
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[align=justify]Aber reine Feuerkraft reicht auch bei Perry Rhodan selten aus, irgendwie muss schließlich die Wunderwaffe des Feindes neutralisiert werden und um dieses Geheimnis zu lüften, geht man nicht gerade zimperlich vor. Es mag jetzt ein wenig kleinkariert wirken, aber in Zeiten von GHCQ, Snowden und einem wachsenden Bewusstsein für die Wichtigkeit von Privatsphäre und Rechtsstaatlichkeit wirken viele kleine Dinge beim aufmerksamen Lesen befremdlich: Da wäre der lustige Telepath Gucky, der quasi als Trumpfkarte die Gedanken Wildfremder liest, z. B. um ihre Aussagen zu überprüfen. Darf der das so ohne weiteres? Ist das nicht z. B. in Iain Banks Culture-Serie eines der letzten Tabus? Bei Perry Rhodan wird es kaum thematisiert. In Band 2304 (Schatten über Atlan Village) verzichtet der gute Perry so nebenbei auch auf die nächste Wahl, wenn auch zugunsten der wahrscheinlichsten Nachfolgerin, denn: „Es gibt bedeutend Wichtigeres."

Dann ist da immer wieder die Rede von Spezialkommandos der zahlreichen Geheimdienste wie USO, TLD, etc., die Perry Rhodan unterstützend unter die Arme greifen. Das sind dann meist ernste Männer (und Frauen) deren Diensteifer und Motivation legendär sind. Wie übrigens auch bei den Wissenschaftlern und Technikern, die ein ebenso emsiges Volk sind, legen diese Helden des Alltags ständig “Extraschichten” ein, arbeiten unter “Hochdruck” und mit voller Konzentration an der Abwendung der nächsten drohenden Gefahr, was ihnen weder Zeit für Schlaf, noch Privatleben lässt. Vor allem Perry, der als “Aktivatorträger” wenig Schlaf braucht, sich aber noch weniger Zeit dafür nimmt, wird immer wieder genannt.[/align]
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[align=justify]Wie aber steht es bei dieser ewigen Lobhudelei von Militär, (rein technischer) Wissenschaft und Schlapphüten eigentlich um die Zivilbevölkerung und die schönen Künste? Nun, da wird es interessant, denn als die technische Entwicklung regelmäßige Arbeit unnötig machte, blieben augenscheinlich nur folgende (ehrbare) Alternative: “Wer den Ehrgeiz hatte, sein Leben nicht im Müßiggang zu verbringen, war in die Wissenschaft, Forschung oder zur Raumflotte gegangen.” Es gibt ein Zwischenspiel auf Terra (der Erde), als Marc London, ein Telepath, in die Geschichte eingeführt wird. Dessen Eltern sind Schauspieler und damit schrille, laute und ewig zerstrittene Raufbolde, die erst morgens von ihren Kneipentouren nach Hause kommen. Übrigens trifft der gute Marc im öffentlichen Nahverkehr auch mal auf einen “Wechselgeschlechtler”, also jemanden, der, bzw. die “sowohl weibliche als auch männliche emanzipatorische Rechte für sich beansprucht“, wobei nicht klar wird, welche Rechte dieser so Rechte-gierige Mensch in der vermeintlich egalitären zukünftigen Gesellschaft nun fordert, aber das er mehr will, als ihm zusteht, geht aus dem Satz deutlich hervor. Die Beschreibung der Figur ist erwartbar reaktionär: “Hünenhaft war er, sicherlich zwei Meter groß. Mächtige Brüste stachen spitz nach vorne, und er roch trotz der ausgezeichneten Klimaanlage nach säuerlichem Schweiß.” Eine richtige “Tunte” wie aus dem Bilderbuch des Misanthropen also, die auch noch an Rhodans Autorität zweifelt und sich so in Rage redet, dass die Stimme immer “schriller, weiblicher wird” (Bd. 2304 Schatten über Atlan-Village).

Wäre zuletzt noch die querulante und übergewichtige Vizebürgermeisterin Rabuha Specht, die an nichts anderes als an ihre hochtoupierte Frisur denkt, zu nennen. Sie ist von der “politischen Opposition” und “dafür prädestiniert, in den falschen Momenten das Falsche zu sagen.” Au weia. Doch keine Sorge: “Sollte Specht in Gefahr geraten, sich zu verplappern, hatten die Überwachungsagenten ausdrücklichen Befehl, sie stante pede aus dem Verkehr zu ziehen.” Aha. Doch Rhodan hat auch ein Gewissen: “Sosehr ihm der Gedanke der Bespitzelung von LFT-Bürgern missfiel – es stand wesentlich mehr auf dem Spiel als das Schicksal einer einzelnen Frau.” Und da das Weibsstück schließlich doch querschießt, muss sie auch zur Räson gebracht werden. Perry wörtlich zu ihr: “kein Querulantentum, kein Hinauszögern oder Verhindern wichtiger Beschlüsse. Die Stimmung auf der Erde und im Speziellen in Terrania ist nach den Ereignissen der letzten Wochen derart labil geworden, dass wir unbedingt an einem Strang ziehen müssen, um den Menschen Sicherheit und Selbstbewusstsein zu vermitteln.” Der Zweck heiligt eben doch die Mittel. Kleinlaut knickt die Schnepfe ein und der starke Mann verlässt den Platz des Geschehens (Bd. 2304).[/align]
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[align=justify]Mit den Frauen im Allgemeinen haben es die Autoren überhaupt nicht so: Entweder sie sind von den Männern durch nichts zu unterscheiden, oder es handelt sich z. B. um kesse Studentinnen, die schon mal frech mit dem “Po wackeln” (Bd. 2304 ist eine Goldmine) oder sich jedem an den Hals werfen, wie Mirna Lamarr, welche “Groß, blond, blauäugig und ... hm ... mit jenen beiden weiblichen Vorzügen ausgestattet [war], die ihn eben erst bei dem Wechselgeschlechtler in der Rohrbahn abgeschreckt hatten.” Die verklemmten Tennie, bzw. Altherrenfantasien beim Aufeinandertreffen von Männlein und Weiblein abseits der Universität in dieser Schmonzette sind nicht minder unangenehm. Da streifen “Blicke” über “Kurven” und wenn es situationsbedingt eng wird, fühlt man eben die “Körperformen” der Angebeteten durch den Anzug (z. B. in Bd. 2300).

Wer sich jetzt noch nicht angewidert abgewendet hat, der bekommt noch eine Beobachtung mit auf den Weg, die der Sprache gilt: Die Autoren verwenden nämlich ganz gern das Wort “entartet”, so als sei es völlig unbelastet von der deutschen Geschichte. Da gibt es nach dem Einsatz einer schrecklichen Waffe schon mal “entartete Materie”. Ob sie noch weiter gehen? Aber ja! In Band 2304 bekommen wir endlich auch das berüchtigte “entartete Leben”: “Nichts blieb über außer Staub und Asche und entartetem, dunklem Leben.”[/align]
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[align=justify]Was ich für den Schluss dieses Textes schreiben soll, weiß ich nicht so recht, da die oben genannten Beispiele für sich stehen. Es ist allerdings erstaunlich, wie leicht sich die Passagen überlesen lassen, wenn man nicht so genau hinsieht. Leider ist der gute Perry nicht nur ein unterhaltsamer Held, sondern auch ein Reaktionär und ob man bereit ist Unangenehmes zu überlesen um in den Genuss der teils spannenden Geschichten zu kommen, muss jeder selbst entscheiden.[/align]

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Re: Perry Rhodan

Beitragvon Bambusbär » 26. November 2014, 07:04

Moin!

Danke für diesen Einblick in das Universum des Perry Rhodan (- Autorenteams). Ich kann alle Punkte bestätigen.

In meiner Kindheit und Jugend habe ich die Hefte kritiklos verschlungen. Jetzt war ich grad' dabei meine alte Liebe zu erneuern und mir ein paar Hefte auf den ebook-Reader zu laden.

Nach dieser äußerst zutreffenden Schilderung werde ich darauf verzichten. Wie gesagt, Danke! :winken:
[align=center]My home is my castle. Bild
Alte chinesische Weisheit schizoider Wesen[/align]


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