gehört ihr einer Religion an, wenn ja welcher?

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Re: gehört ihr einer Religion an, wenn ja welcher?

Beitragvon Ambivalenz » 27. Dezember 2014, 20:23

Es gibt unterschiedliche Definitionen für den Begriff "Religion". Wenn ich dieses Wort verwende, meine ich organisierten Glauben. Davon ausgehend halte ich sie für schädlich. Gelinde gesagt.
JEDE organisierte Ideologie ist früher oder später gefährlich. Religionen gehören dazu! Wenn Menschen sich langfristig organisieren, kann dabei nur Unfreiheit für das Individuum herauskommen. Das fängt beim Gartenverein an, geht bei Parteien weiter und findet seinen Höhepunkt bei generalisierten Weltanschauungen, ob nun politisch oder religiös. Derlei lebt von Dogmen. Und wo es Dogmen gibt, hat der gesunde Menschenverstand keine Chance.
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Re: gehört ihr einer Religion an, wenn ja welcher?

Beitragvon Sereniti » 27. Dezember 2014, 21:13

Vielen Dank für diese Formulierung. Sie beschreibt das Thema für mich perfekt.
Was ist es, dieses aus sich diffus überlappenden und gegenseitig beeinflussenden Teilen bestehende Etwas.

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Re: gehört ihr einer Religion an, wenn ja welcher?

Beitragvon BlickwinkelFraktal » 30. Dezember 2014, 20:18

Da kann ich mich größtenteils ebenfalls anschließen.

Drei Dinge fallen mir dazu aber noch ein:
Wenn sich Jemand aus freien Stücken in die Auseinandersetzung mit einer Religion begibt, mit ihr für sich arbeitet oder sich ggf. mit ihr identifiziert, dann heißt das nicht automatisch, dass er nur noch "das" glauben oder wahrnehmen kann was damit zusammenpasst, also deswegen insgesamt nach Dogmen lebt.

Ich behaupte, dass es den sogenannten "gesunden Menschenverstand" nicht gibt. Es ist eine dogmatische Annahme zu glauben, wir hätten ein Werkzeug oder eine Perspektive, mit dem wir alles treffend zu beschreiben in der Läge wären. Der gesunde Menschenverstand ist in meinen Augen vielmehr eine diffuse und heterogene Annahme, in die wir uns wie in einen Zeitgeist oder eine Religion zurücklehnen um es "ein"-Fach zu haben.
Dabei argumentieren zumindest seine strenge Vertreter ähnlich wie Priester oder Vereinsvorstände, also in der Regel nach dem Prinzip "es könne nicht sein, was nicht sein darf".

Ich persönlich bin immernoch für "multiperspektivische" Wahrheitsfindung, also solche Ansätze, in denen auf transparentem Wege interdisziplinäre Forschung mit interkulturellem sowie interspirituellem Austausch in der Annahme zusammengeführt werden, dass Glauben, Wissen, Wahrnehmung oder Erfahrung sich erst in Kommunikation in ihrer Relativität... in ihrer Vielschichtigkeit und Prozesshaftigkeit offenbaren können.

Vielleicht :verwirrt:

P.s. Ich gehöre keiner Religion, Gruppierung, Philosophie, einem Kult oder einer Ideologie "an". Aber ich hab meine eigene nicht-statische spirituelle Wahrnehmung.

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Re: gehört ihr einer Religion an, wenn ja welcher?

Beitragvon Sereniti » 30. Dezember 2014, 20:55

"Der gesunde Menschenverstand ist die Summe aller unserer Vorurteile"
Was ist es, dieses aus sich diffus überlappenden und gegenseitig beeinflussenden Teilen bestehende Etwas.

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Re: gehört ihr einer Religion an, wenn ja welcher?

Beitragvon cerebrum » 31. Dezember 2014, 01:20

@Ambivalenz, was du da schreibst sind Gedanken, die Eric Hoffer in seinem Buch "The true believer" im Detail entwickelt hat. Nämlich, dass alle Ideologien letztlich nach gleichen Prinzipien funktionieren und untereinander austauschbar sind (berühmte Beispiele von Nazis, die zu radikalen Linken wurden und ähnliches, zeigen das).
Ich finde auch, dass organisierte Religion giftig ist.
Es gibt aber "spirituelle" Ideen (wobei man den Begriff noch genauer definieren müsste, was ich jetzt mal nicht tue), die ich faszinierend finde. Im Buddhismus finden sich philosophische Lehren, die bis heute ihre Gültigkeit behalten haben und das Leben tatsächlich transformieren können. Durch Achtsamkeitsübungen und Meditation lässt sich die eigene Wahrnehmung verändern und man kann dabei Erfahrungen machen, die das eigene Verständnis von sich selbst und dem eigenen Platz im Kosmos nachhaltig verändern. Dabei kann man ruhig von "Erleuchtung" sprechen. Die Askese, die in vielen Religionen wie dem Christentum lediglich eine Art von Opfergabe an den imaginierten Gott ist, ist im Buddhismus eine sinnvolle Übung um "Kanäle" der Wahrnehmung zu öffnen, die sonst verschlossen sind. Das ist ziemlich einfaches Prinzip, was keinen Glauben an irgendeinen übernatürlichen Quatsch erfordert. Setzt man sich für Tage oder gar Wochen in eine einsame Höhle zur Meditation ist es sehr wahrscheinlich, dass sich die Wahrnehmung auf ganz besondere Art erweitert und man transformierende Erfahrungen macht. Weiterhin werden viele Gedanken von berühmten westlichen Philosophen in den Diskursen von Gauthama bereits vorgedacht und lassen sich da wiederfinden. Man entdeckt Wittgenstein, Nietzsche, Sartre, Camus auf erstaunliche Weise in diesen Schriften und wundert sich warum diese Philosophen diese Tradition so ausgeklammert hatten. Ganz faszinierend ist auch, dass wir hier eine Jahrtausende alte Kultur haben, die völlig ohne das Konzept eines Gottes auskommt. Das Problem Nietzsches "Gott ist tot" stellt sich für die gar nicht erst. Wenn allerdings der Buddhismus (die _Philosphie_) zu einer Religion gemacht wird, wird sie genauso giftig wie alle anderen Religionen.
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Re: gehört ihr einer Religion an, wenn ja welcher?

Beitragvon tournesol » 31. Dezember 2014, 08:58

Danke Ambivalenz, Sereniti, BlickwinkelFraktal und cerebrum :begeistert:
Ich bin "da " voll bei Euch ;)

Plädiere persönlich für die permanent " neue Formatierung" der eigenen Aufnahmefähigkeiten und das daraus resultierende stängig neue Ergebnis :Sonne:
Damit meine ich vor ALLEM , das eigene SELBST neue Bedenken und Denken jedes EINZELNEN :herz:
Dazu braucht es m.E. keine Re-ligion ( Rückbindung ) Wohl aber des eigenen EINZELNEN !!! neu Bedenkens und " Mitverarbeitens des heute Bekannten und Überlieferten glaubenstechnischen ,wie geschichtlichen Wissens ;)
Jedoch nicht des dogmatischen übernommenen Urteils " wie bereits gehabt von anderen" ( Vorurteil )
sondern ausschließlich die neue Bearbeitung und Bewertung des Inhalts , durch eigenes (Nach ) Denken
Im VERBUND mit dem JETZT -EIGEN-ERFAHRENDEN ----in jedem Augenblick NEU :Sonne: :herz:
Dabei kann m. E. keine EINHEITSSUPPE rauskommen, da wir ---JEDER einzeln und anders ( selbst auch "Gleiches" )ERLEBT :blumengabe:
Und wir --als Menschheit ;) gesamt-- Die EIGENEN Ergebnisse jedes Einzelnen--- zum best möglichen Vorankommen benötigen :stern:

Lieber Gruß Tournesol

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Re: gehört ihr einer Religion an, wenn ja welcher?

Beitragvon Ambivalenz » 31. Dezember 2014, 10:02

Ambivalenz hat geschrieben:Und wo es Dogmen gibt, hat der gesunde Menschenverstand keine Chance.


"Der gesunde Menschenverstand" war tatsächlich die falsche Formulierung. "Logik" wäre allerdings auch problematisch gewesen...
Ein Dogma ist mMn eine Art ... unumstößliche Voraussetzung. Dogmen sind Vorgaben, auf denen alles andere aufbaut und die nicht hinterfragt werden dürfen, da sonst dem jeweiligen Denk-/Werte- oder wasauchimmer-Modell die Grundlage entzogen wird, woraufhin dieses zur Gänze in Frage gestellt wäre.

Richtig(er) hätte es also heißen müssen: Wo/solange es Dogmen gibt, sind offene Diskussionen und freies Denken unmöglich.

MfG :erklärbär2:
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Re: gehört ihr einer Religion an, wenn ja welcher?

Beitragvon Bernstein » 31. Dezember 2014, 15:14

Ambivalenz, du hast es für mich sehr gut auf den Punkt gebracht.

Beschäftige mich momentan mit dem Thema "Sektenausstieg" und stelle dabei fest, dass, je allumfassender solche Dogmen sind, je mehr Lebensbereiche sie betreffen und auch, wie groß das Ausmaß einer "eigenen Wahrnehmung" innerhalb der Gruppierung ist, bis hin zum gefühlten Leben in einer Art Parallelwelt, desto größer werden auch die Ängste vor dem Verlieren eines existenziellen Haltes, wenn man anfängt, diese Dogmen in Frage zu stellen.

Dabei kämpft der Einzelne dann nicht nur mit eigenen (Existenz-)Ängsten, sondern auch mit den verleugneten Ängsten der Gruppierung, die sich in verschiedenen Formen äußern können, von der Beladung mit Schuldgefühlen bis hin zu offenen Aggressionen.

Ebenfalls schwer und oftmals unverständlich für Aussenstehende ist der innere Kampf von Verstand und freiem Denken gegen die unbewusst angelegten Konditionierungen und Gefühlsmuster. Solche Muster und Dogmen sind oft generationsübergreifend und dann besonders schwer zu durchbrechen / aufzulösen.

Danke für die Denkanstöße in dieser Diskussion!

LG, Bernstein
Gönne dich dir selbst! (v.Clairvaux)

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Re: gehört ihr einer Religion an, wenn ja welcher?

Beitragvon Rossi » 2. Januar 2015, 00:18

..also ich bin konfessionslos, da ich vor Jahren aus der Kirche ausgetreten bin. Allerdings wurde ich getauft, hatte die Kommunion und Firmung, bin also katholisch geprägt. Zum Zeitpunkt meines Kirchenaustrittes hatte ich keinen sonderlich ausgeprägten Bezug zur Kirche und zur Religion.

Mittlerweile habe ich allerdings wieder einen religiösen Bezug entwickelt, ich bin dabei jedoch (bisher jedenfalls noch nicht) auf eine spezielle Glaubensrichtung oder Philosophie ausgerichtet, auch aus Gründen die in einigen Posts hier bereits erwähnt wurden, wie z.B. dogmatische Verpflichtungen oder auch Alleinstellungsansprüche.

Ich war an Heiligabend in einer Christmette, gehe ab und an aber auch zu buddhistischen Veranstaltungen. Vor einigen Jahren war ich ein Zeitlang regelmäßig bei einem evangelischen Hauskreis eingeladen, wo wir über religiöse Themen aber auch alltäglichere Dinge gesprochen hatten.

Auf einer buddhistischen Veranstaltung wurde mir mal gesagt, irgendwann müsste ich mich in meiner Wahl festlegen und mich für eine bestimmte Philosophie entscheiden. Allerdings sehe ich das anders. Es gibt zig verschiedene buddhistische Philosophien, und auch die abendländischen Religionen sind vielfältig. Was mich aber an den Religionen und Philosophien im Allgemeinen interessiert, ist ihr spiritueller Gehalt und ihre Substanz. Ich glaube, fast alle Religionen (ausgenommen sektenhafte ..) führen in dieselbe Richtung. Anlass zur Kritik gibt die unterschiedliche und manchmal fanatische Auslegung oder das teilweise "scheinheilige" Verhalten der Menschen innerhalb religiöser Gemeinschaften. Meiner Meinung nach geben Religionen und Philosophien dem Menschen aber einen moralischen Halt und Anleitung sowie Antworten auf spirituelle Fragen.

Durch meinen "intensiven Leidensweg" in meiner Vergangenheit ist meine spirituelle Seite in mir erwacht. Es war keine bewusste Entscheidung oder blosse Neugier oder einfaches Interesse, sondern ein tiefer Wunsch nach Antworten auf tiefgründige Lebensfragen. Auch das Sichten von Quellen zu der Thematik und zu spiritueller Entwicklung haben mich Parallelen zu meinem eigenen Lebens- und Entwicklungsweg entdecken lassen (Vgl. z.B. http://www.der-weg-nach-hause.de/was-is ... itaet.html ). Von Willigis Jäger (Benediktiner und Zen-Mönch) stammt das Zitat: Wir alle sind spirituelle Wesen die eine menschliche Erfahrung machen. Aus meiner eigenen Erfahrung glaube ich, dass alle Menschen spirituell sind. Nur viele "schlafen" eben noch und einige sind eben spirituell schon "erwacht". Auch von einem renommierten Psychologen (C.G. Jung ??) habe ich gelesen, dass die Frage, die den Menschen letztendlich beschäftigen werde, von religiöser Natur sei..
Ich weiss, dass das Thema der Spiritualität mir hilfreiche Antworten auf das Leben gibt und auch Anleitungen für mein eigenes Verhalten anderen und der Umwelt gegenüber. Dieses, mein Verhalten fällt letztendlich wieder auf mich selbst zurück. Ein Beispiel ist die spirituelle Botschaft: "Was ich dem anderen nehme, nehme ich mir selbst, was ich dem anderen gebe, gebe ich mir selbst!" Diese spirituellen Botschaften findet man in religiösen Texten zwischen den Zeilen. Obwohl ich aus der Kirche ausgetreten bin, sauge ich, wenn ich dann mal wieder den Weg in eine Messe finde, den Inhalt einer Kirchenpredigt heute auf wie einen Schwamm. ..weil es mir um den spirituellen Gehalt und wie schon gesagt, eben um die Botschaften zwischen den Zeilen geht. Im übrigen glaube ich mittlerweile, dass wahre "Gesundheit" (also auch psychische...) nicht oder nur schwer ohne eine spirituelle Verwurzelung möglich ist. Ich denke, dass mich meine spirituelle Seite nicht mehr verlassen wird und bin dankbar, dass ich Ihren Gehalt in den Religionen und Philosophien entdecken und erfahren kann.

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Re: gehört ihr einer Religion an, wenn ja welcher?

Beitragvon knallschnute » 3. Januar 2015, 22:23

Hallo Rossi,

dein Text ist sehr bewegend.
Deine flexible Einstellung und dein großer Gehalt an Erkenntnissen, den du in deinem Posting zum Besten gibst, hat mich ermutigt meine eigene Spiritualität nicht zu sehr hinten an zu stellen. :rose:
Das Leben mit all seinen Hürden hat einen mitunter so stark im Griff, dass man irgendwann vergisst zu träumen oder/und sich mit viel tiefgehenderen Themen auseinander zu setzen.

Besonders dieser Absatz von dir:
Ich glaube, fast alle Religionen (ausgenommen sektenhafte ..) führen in dieselbe Richtung. Anlass zur Kritik gibt die unterschiedliche und manchmal fanatische Auslegung oder das teilweise "scheinheilige" Verhalten der Menschen innerhalb religiöser Gemeinschaften. Meiner Meinung nach geben Religionen und Philosophien dem Menschen aber einen moralischen Halt und Anleitung sowie Antworten auf spirituelle Fragen.

ist sehr treffend formuliert. Aus so einem Grund ist es auch mir nicht möglich mich einer Gemeinschaft, egal welchem Glauben oder welcher sonstigen Gesinnung, richtig zugehörig zu fühlen.

Beste Grüße,
Knallschnute
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