Zeit Artikel über Geschwister Behinderter

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Zeit Artikel über Geschwister Behinderter

Beitragvon sdsdsdsv » 5. März 2012, 18:10

Hilfe für Angehörige -- Pass auf ihn auf!

Den Artikel kann ich als Bruder eines Behinderten Menschen sehr gut nachvollziehen. Mein Bruder ist in seiner Jugend an Schizophrenie erkrankt. Damit gab es keine offensichtliche körperliche Behinderung, sondern nur sein merkwürdiges und leider auch häufig überaus aggressives Verhalten. Er wurde von seiner Umgebung schnell abgelehnt, glich das mit noch mehr Aggression aus, litt aber wohl sehr darunter, weil er im Gegensatz zu mir ein kommunikativer Mensch ist, der ungern für sich ist. Also mussten neue Freunde her und es wurden immer schlimmere Typen, die er uns ins Haus schleppte. Ich habe ziemlich darunter gelitten so lange ich auf die selbe Schule ging und hatte einen schweren Stand als "der mit dem verrückten Bruder".

So lange sich meine Mutter um das Familienleben kümmerte und wir gemeinsam verreisten oder Familiengeburtstage feierten, schämte ich mich aufgrund des ungehörigen Verhaltens meines Bruders, der immer irgendwie über die Stränge schlug und noch in den kleinsten Dingen einen Weg fand zu provozieren. Sein Verhalten und seine schulischen Misserfolge musste ich ausgleichen.

Ging es jemandem von euch auch so?

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Re: Zeit Artikel über Geschwister Behinderter

Beitragvon knallschnute » 5. März 2012, 18:40

Interessantes Thema, bei dem man wirklich von allen Blickwinkeln betrachtend, drauf schauen kann. Ich stelle mir diese Situation als Geschwister eines persönlichkeitsgestörten Bruders alles andere als einfach vor. Ganz sicher ist so etwas (wie im Artikel beschrieben) absolut prägend für das weitere Leben.
Obwohl ich keinen behinderte Bruder habe, kann ich dennoch einiges, was in dir vorging oder vorgeht sehr gut nachvollziehen - aufgrund meines alkoholabhängigen Vaters, der gleichfalls dazu bei trug, dass wir als Familie nicht sonderlich auffallen wollten. Somit weiß ich in etwa wie du dich den Verwandten, Bekannten und Fremden gegenüber gefühlt haben wirst und es wohl noch tust (?).
Nur als kleine Beispiele:
Freunde habe ich nicht mit nach Hause gebracht, weil sie sonst meinem (nach der Arbeit) betrunkenen Vater hätten begegnen können - peinlich genug, schon allein die Vorstellung. Zudem gingen meine Eltern nirgends hin und wenn sie einmal wo eingeladen wurden, dann schämte ich mich, wenn der Vater so ziemlich hacke dicht war.
Meine Mutter war dauer gereizt, für sie war ihr Mann (mein Vater) wie ein drittes Kind, dem sie den Alkohol weg nehmen musste, etc. Und wir als Familie unternahmen so gut wie gar nix, auch erhielten mein Bruder und ich keine sonderliche Förderung bzgl. der Schule und im späteren Leben. (Klar, im Härtefall waren sie schon da, aber ansonsten nicht wirklich zu etwas zu gebrauchen und vor allem sehr unzuverlässig, von ihren Launen und der Sucht abhängig.)
Dies sind nur Umrisse dessen, vielleicht fühlst du dich dadurch ein klein wenig verstanden. :flower:

Lieben Gruß

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Re: Zeit Artikel über Geschwister Behinderter

Beitragvon sdsdsdsv » 5. März 2012, 18:59

Ja in der Tat. Die Mauer, die dann zwischen der eigenen Familie, die man als Kind wohl noch als notwendige Einheit begreift, und der Umgebung steht, ist da wohl die gleiche. Bei mir hat das eine größere Empfindlichkeit hervorgerufen, die mir sehr im Wege steht, weil es vor allem anfangs besser ist, mal fünfe gerade sein zu lassen. Vielleicht kannst du ja besser damit umgehen.

Jedenfalls wird diese Form der Belastung oft übersehen. Bei mir hieß es dann auch oft "naja, du funktionierst ja." Als verdiente ich wegen meines unauffälligen Verhaltens keine Aufmerksamkeit. Hätte ich selbst ein wenig rebellieren sollen? Diese Frage stelle ich mir nur selten. Es wäre wohl nicht besser geworden dadurch. Unfair fand ich auch die Ungleichbehandlung, bei der mit zweierlei Maß gemessen wurde. Hat mal eine Kleinigkeit nicht gestimmt, hieß es "du bist ja genau wie dein Bruder", was völlig unangemessen war. Naja, später wird von einem erwartet, dass man sich nicht mehr von diesem Ballast beeinflussen lässt.

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Re: Zeit Artikel über Geschwister Behinderter

Beitragvon knallschnute » 5. März 2012, 21:28

Es fehlt einfach die unbeschwerte Kindheit, wie man sie sich so vorstellt. Die Familie wird als angreifbar erkannt und die eigene Existenz immer mehr von innen (der Familie) und außen (der Gesellschaft) bedroht. Das Selbstwertgefühl kann sich gar nicht richtig entfalten, wenn man dann noch sehr empfindsam ist und stetig mit diesen (auf vollen Empfang eingestellten) hypersensiblen "Antennen" herum läuft und überall Feindseligkeit oder zumindest Augen die einen mustern wittert. (Die Familie scheint nicht normal zu sein, also ist man selbst ebenfalls speziell und sonderbar,...)
Und, wie soll man aus seiner Haut fahren, sich ein neues Charakterkleid anziehen? Du wirst dich nicht völlig ändern und mal eben in ein anderes Wesen schlüpfen können. Das schafft keiner, denn die Vergangenheit prägt, sie ist letztlich das, was dich hat zu dem werden lassen, was du heute bist.
Vielleicht nimmst du dich in Zukunft wichtiger, als deinen Bruder, und das Leben hin und wieder nicht all zu ernst... Weißt du wie ich es meine? Für mich selbst ist es auch noch ein langer Weg, all das, was ich früher erlebte hinter mir zu lassen. Eigentlich hatte ich mich erst vor einem Jahr intensiver damit befasst, weswegen von Verarbeitung noch lange nicht die Rede sein kann.
(Mir haben immer meine Traumwelten und Visionen geholfen, auch wurde ich mit der Zeit offensiver, wenn ich mich ungerecht behandelt fühlte oder bedroht sah. Der nötige Abstand zum Elternhaus bereitete mir zudem einen selbstbestimmteren und selbstsichereren Lebensweg. Deshalb ist es für mich auch schwer mit meinen Eltern in Kontakt zu treten, ... weil ich so gerne die Vergangenheit - das alles - hinter mir lassen, verdrängen möchte.)
Das Ziel dieser beschwerlichen Laufbahn könnte es sein, irgendwann einmal seiner Zeit zu vergeben und keinen Groll in sich zu tragen. (Letztlich lässt sich das Gestern nicht ändern, das Heute und Morgen jedoch immer mehr...) ;)

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