Insuffizienz hat geschrieben:orinoco hat geschrieben:Nur zeichnet sich eine echte (direkte) Demokratie gerade dadurch aus, dass sie den Staat permanent durch seine Bevölkerung legitimiert m.a.W. in einer (direkten) Demokratie darf es kein Gesetz geben, das keine demokratische Mehrheit (Mehrheit der abgegebenen, gültigen Stimmen bei einem Volksentscheid) im Volk hat.
Mein Anprangern gilt dem Einzelnen und nicht dem Volk. Du sagst es sogar selbst, was die Mehrheit wählt, gilt für alle, auch wenn sie es nicht wollen. Das wäre tatsächlich legitim, nur solange jedoch jeder einzelne zustimmt unter dieser Zwangsherrschaft leben zu wollen.
Du hast nur geschrieben, dass jeder gefragt werden muss, nicht dass auch jeder zustimmen muss. Letzteres hätte nur absurde Konsequenzen, denn das würde bedeuten, dass entweder eine demokratische Minderheit oder gar Einzelne eine Mehrheit majorisiert also diese unterdrückt (was ja mehr Unterdrückung bedeuten würde) oder dass es Rosinenpickerei gäbe und sich jeder raussuchen kann welche Gesetze einer Gemeinschaft für ihn gelten und welche nicht. Eine soziale Gemeinschaft funktioniert nur wenn sie Regeln hat die das Zusammenleben regeln, Und Regeln müssen für alle gelten, worauf das rechtsstaatliche Prinzip fusst. Wenn dir Mehrheitsentscheide einer Gemeinschaft über Regeln nicht passen, dann musst du eben mit den Füßen abstimmen und die Gemeinschaft verlassen. Es steht dir immer frei dir eine einsame Insel zu suchen und dort so zu leben wie du oder alle anderen die demokratische Mehrheitsentscheide und Rechtsstaatlichkeit nicht akzeptieren wollen es für richtig halten. Nur das mit den einsamen Inseln und den Leuchtürmen hatten wir ja schon. Du kannst es drehen und wenden wie du willst: wasch mir den Pelz aber mach mich nicht naß funktioniert nicht.
Insuffizienz hat geschrieben:Also damit habe ich und die (direkte) Demokratie, so wie ich sie vertrete, überhaupt kein Problem. Ich bin sogar sehr dafür, dass die Bevölkerung eines jeden Staates in einer
Ur-Volksabstimmung gefragt wird ob sie mit einem (direkt-)demokratischen Staat einverstanden sind. Und Gesetz den Fall, dass sie sie annehmen, dann kann das Volk immer wieder über die Legitimität staatlichen Handelns, sprich der Gesetze und Vorschriften, entscheiden. Natürlich nach praxisrelevanten Maßstäben, wie das z.B. in der Schweiz mit Volksinitiative und fakultativem Referendum geregelt ist.
Das ist ja meine Kritik. Um zu entscheiden, ob jeder sich von der Mehrheitsmeinung beherrschen lassen will, kann man wohl kaum Wahlen heranziehen, die sind ja gerade das Problem.
Ich hab auch nichts von Wahlen geschrieben, sondern von einer Ur-Volksabstimmung,.
Und die Absurdität jedem einzelnen die Entscheidung zu überlassen ob er sich an (direkt-)demokratisches Recht hält oder nicht, hab ich schon dargelegt. Das ist auch eine interessante Folge von (direkter) Demokratie: wer Mehrheitsentscheide nicht akzeptiert, stellt sich außerhalb der Gemeinschaft. Schlechte Verlierer haben zu Recht sozial keinen guten Ruf, eben weil sie ein Grundprinzip des gemeinschaflichen Zusammenlebens verletzten, dass Regeln für alle gleich gelten müssen.
Insuffizienz hat geschrieben:Ich will nur wissen, ob dein demokratischer Staat herrschaftsanspruch auf seinem gewählten Gebiet hat. Wenn ich also nicht mich von Mehrheitsmeinungen unterdrücken lassen möchte, kann ich dann auf deinem Staatsgebiet auf einer freien Fläche leben wie ich möchte, undzwar nicht nach allen Gesetzen deiner Herrschaftsform; natürlich ohne dass ich jemanden schade? Leben bedeutet auch, dass ich die Möglichkeit habe zu überleben. So muss mir Zugang zu lebensnotwendigen Dingen wie Wasserquellen, fruchtbares Land etc. gegeben sein, ansonsten sterbe ich ja.
Falls dies der Fall ist, wäre dein Modell libertär, zwar eine Herrschaft, aber eine freiwillige. Falls nicht, ist es eine Zwangsherrschaft.
Genau diese Rosinenpickerei funktioniert eben nicht. Du möchtest für dich ein kleines Königreich einführen, aber von der Gemeinschaft durchgefüttert werden. Und wenn das jeder machen kann, garantierst du dann, dass sich alle so rücksichtsvoll verhalten ohne andere zu schädigen? Die Erfahrung lehrt, dass Menschen sich nicht immer rücksichtsvoll verhalten ohne andere zu schädigen, vor allem wenn sie keine Konsequenzen zu befürchten haben. Und dann haben wir schnell das beschriebene Faustrecht.
Insuffizienz hat geschrieben:Diktatur bedeutet für mich definitionsgemäß, wenn demokratische Minderheiten demokratische Mehrheiten majorisieren bzw. unterdrücken, also wenige bis einer bestimmen was alle anderen zu tun oder zu lassen haben. Demokratie bedeutet umgekehrt für mich defintionsgemäß, wenn die demokratische Mehrheit der Bevölkerung eines Staates die Gesetze desselben bestimmt. Da gibt es realistischerweise nur ein entweder oder.
Das ist ja wieder ein vage Behauptung. Wie du schon erwähnt hast, gibt es verschiedenartige Problemlösungsstrategien, z. B. Konsens, Kompromiss, Delegation (im Prinzip eine Wahl, aber man könnte auch ein "Gericht" nehmen, einen Altenrat oder sowas), Unterwerfung (z. B. Diktatur oder Wahlen, wenn sie auferlegt sind) oder die Flucht.
Für mich gilt sicherlich nicht, dass nur Wahlen oder Diktatur (beides können Konfliktlösungsstrategien der Unterwerfung sein) eine Konfliktlösung darstellen.
Wenn es hart auf hart kommt und eben kein Konsens, Kompromiss oder ähnlich weiche Problemlösungsstrategien zu einem Ergebnis führen, aber eine politische Entscheidung getroffen werden muss, dann kommt du an der (direkten) Demokratie nicht vorbei, wenn du keine Diktatur willst.
Insuffizienz hat geschrieben:Diskussionskultur gibt es auch in der (direkten) Demokratie. Eine Entscheidung im Konsens ist wünschenswert, aber nicht erzwingbar, da ein Zwang zum Konsens die Unterdrückung abweichender Meinungen beinhalten würde. Bei Disssenz braucht es dann wieder die Demokratie.
Jap, da braucht es in der Demokratie nicht nur die Wahlen, sondern sie gelten als einzige legitime Möglichkeit, soweit ich das verstehe.
Nochmal: ich rede nicht von Wahlen, sondern von Volksentscheiden und ohne diese ist eine (direkte) Demokratie nicht denkbar und die einzig Möglichkeit im Dissenzfall eine politische Entscheidung, die dann für alle in der sozialen Gesamtheit (Staat, Land, Gemeinde) gilt, legitim zu treffen.
Insuffizienz hat geschrieben:Was nur für die Menschheit als Ganzes kein wirklich praxisrelevantes Gesellschaftsmodell ist. Es hat schon seinen Grund, dass praktisch alle Menschen nicht wie sibirische Tiger solitär in 50km² großen Revieren leben in denen kein Artgenosse geduldet wird.
Jop, das ist logisch. Habe ich auch nicht behauptet. ;D
Du musst dich aber schon entscheiden, was du willst. Entweder du akzeptierst die Regeln die die Gemeinschaft in der du lebst, mehrheitlich demokratisch beschließt, oder du musst diese so verlassen, dass es zu keinem Konflikt mit dieser mehr kommen kann.
Rosinenpickerei seiner Mitglieder wird keine soziale Gemeinschaft auf Dauer dulden, denn das zerstört diese.
Insuffizienz hat geschrieben:Manche meinen ja, man bräuchte gar keinen Staat und keine Gesetze, die die Menschen ja nur "unterdrücken" würden und die Menschen könnten nach dem Grundsatz "Friede, Freude, Eierkuchen" zusammen leben, quasi in einem rechtlichen Vakuum, einem paradiesähnlichen Zustand.
Es ist prinzipiell von der Logik her nicht möglich mit anderen ohne "Gesetze" oder regeln zu leben. Irgendetwas stellt sich ein, und sei es die Regel, niemanden zu töten, ansonsten verteidigt man sich.
Nur liegt es eben in der Natur der Sache von Regeln, dass diese für alle Mitglieder einer Gemeinschaft gelten müssen.
Und irgendwie müssen diese Regeln auch gefunden und auch überprüft werden, ob diese noch Sinn machen.
Sich irgendwas einstellen lassen läuft sehr schnell auf Faustrecht raus. Echte (direkte) Demokratie stellt eben auch eine friedliche und faire politische Entscheidungsfindung sicher ohne dass die Leute sich die Köpfe einschlagen müssen.
Insuffizienz hat geschrieben:Ich behaupten, dass das Beste wäre, wenn es keinen Staat gibt, also keine Zwangsherrschaft oder sei es freiwillige Herrschaft. Eine Anarchie, ein freiwilliger Zusammenschluss der Menschen, vorwiegend kommunistisch, sehe ich als optimal an. Jedoch kann ich erst mal nicht weiter argumentieren, wie gesagt, ich muss mich nochmal genauer damit auseinandersetzen.
Es wäre in vielerlei Hinsicht besser wenn die Menschen in isolierten Gruppen von nicht mehr als 150 (Dunbar-Zahl) leben würden. Es gibt sogar noch relativ viele Naturvölker auf der Welt die noch so leben und die brauchen auch kein explizite Demokratie. Nur rein zahlenmäßig lebt der größte Teil der Menschheit in der global arbeitsteilgen und technologisch modernen Gemeinschaft von 7 Milliarden Menschen. Staaten und ihre verschiedenen Integrationsformen wie Bundesstaaten und Kommunen/Gemeinden sind ein Realität, die nicht einfach verschwindet. Da gibt es kein "zurück zur Natur" mehr, sondern man muss sich Gedanken machen wie diese sozialen Einheiten, so wie sie in ihrer Gesamtheit existieren, in ihrer Gesamtheit selbstbestimmt, fair und friedlich organisieren, ohne das Kind mit dem Bade auszuschütten und die Grundprinzipien des menschlichen Zusammenlebens zur Disposition zu stellen.
Insuffizienz hat geschrieben:Wie siehst du das denn. Dein Modell, bezieht es sich auf den Kapitalismus? Möchtest du, dass der Kapitalismus weiter vorherrscht bzw. vorherrschen kann in deinem Staat oder lehnst du ihn grundsätzlich ab?
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Mein Modell bezieht sich nicht auf eine spezielle Wirtschaftsform, sondern allein auf die Größe einer sozialen Gemeinschaft. Alles was größer ist als 150 braucht (direkte) Demokratie. Der Kapitalismus, so wie er derzeit im US-imperialistischen Stil vorherrscht, betrachte ich als Folge der für Korruption anfälligen institutionellen Diktatur. Echte (direkte) Demorkatie betrachte ich als das einzig wirksame Mittel daran etwas zu ändern. Gab mal einen Artikel bei Telepolis
Die Schweiz ist sozialistischer als Deutschlands Linke. Und das deutlichste Zeichen wie gefährlich die (direkte) Demokratie für den Kapitalismus ist, ist die Angst der Kapitalisten vor der (direkten) Demokratie und mit welcher politisch-kriminellen Energie diese und ihre Politmarionetten (aller Parteien!) diese verhindern. (alles auf meiner Website dokumentiert). Wenn sich die anti-kapitalischen Kräfte, wie leider üblich, über die (direkte) Demokratie noch zerstreiten, dann freut das die Kapitalisten, denn dann brauchen sie um so weniger gesellschaftlichen Druck hin zu (direkter) Demokratie fürchten. Manchmal sind die Anti-Kapitalisten, der Kapitalisten liebste Freunde. Und diejenigen die mal ganz laut gegen den Kapitalismus zu Felde gezogen sind, sind nicht selten auch diejenigen, die sich von ihm als erstes kaufen lassen. Ja, die Welt ist schon ein Irrenhaus, der besonderen Art.