Reizüberflutung und Sensibilität

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Reizüberflutung und Sensibilität

Beitragvon Insuffizienz » 1. März 2016, 17:22

Ich denke Menschen, die dauernd reden, mit oder zu anderen und in ihrem Kopf, die dauernd Ablenkung suchen - in Medien (PC, Buch, Musik etc.), im Lernen oder Schaffen bzw. Arbeiten (Workoholics), das viel mit Vorstellung und dem Geist zu tun hat – können keine Ruhe finden bzw. wollen es nicht. Sie wehren sich, ihren wahren Gefühlen, Empfindungen und Stimmungen hinzugeben; diese einfach wirken zu lassen und anzunehmen. Sie können nicht mehr eine feste Verbindung zur Wirklichkeit oder zu sich selbst aufbauen, das ist nicht ihre Welt. Sie können nicht den ganzen Tag umhergehen und den Wald beobachten o. Ä.
Ich weiß nicht, ob ich mich dazu zählen würde. Würde ich an einem abgeschiedenen Ort leben, dann wäre ich deutlich mehr draußen. So behindert mich in Städten, sogar in Dörfern, die Anwesenheit anderer Menschen nach draußen zu gehen, da ich mich unwohl fühle, wenn fremde, unvertraute Menschen zugegen sind. Das ist eigentlich natürlich. Als wären die „Urmenschen“ ständig in Ballungszentren gewesen. Sobald sie eine neue Gruppe gesehen haben, unbekannte Gesichter, so haben wahrscheinlich Alarmglocken geschlagen und der Verteidigungsmodus ist erst einmal eingetreten. Neue Menschen oder größere Menschenmengen sind wahrscheinlich für jeden Menschen purer Stress. Für solche mit schlechter Stressregulation, d. h. hauptsächlich verursacht durch mangelhafte oder inadäquate psychische Fürsorge seitens der Mutter in den ersten 3 bis 4 Lebensjahren, ist das natürlich zwanzigmal belastender; wozu ich mich zähle. Daneben steigert hohe Sensibilität dieses Wahrnehmen, welche in unserer heutigen Kultur besonders ausgeprägt zu sein scheint. Die Ursache der besagten aktuellen Sensibilität sehe ich in der starken Reizüberflutung jeglicher Art:

- Geräusche: Lärmverschmutzung insbesondere in den Städten.
Zu laute, hektische unnatürliche Musik, insbesondere im Kopfhörer.

- Sehreiz: Stetige nahe, leuchtende Bildschirme mit extrem schnellen Änderungen der Bilder (wahrscheinlich braucht es weniger als 1 ms daafür, dass sich das Bild auf dem Bildschirm wechselt).
Abtauchen in virtuelle (immersive) Welten.
Farbverschmutzung durch triste Gebäude und Interieure wie Supermärkte oder umgekehrt extrem farbige Produkte oder blutrote Wände im Zimmer, die Aggressionen auslösen sollen (soweit ich weiß).
Unser Tag hört nicht mit der Nacht auf, er leuchtet in unseren Wohnungen stets bis in die Nacht hinein (gestörter circadianer Rhythmus).
Dieses blaue Leuchten der Displays soll zudem besonders den Schlaf verhindern.

- Gerüche: Die extremen Gerüche von Deos oder insbesondere Parfums sind unnatürlich und verdecken den Körpergeruch. Sowieso sind chemische Dürfte im Haushalt bspw. üblich. Was eben alles zu einer Reizüberflutung und Geruchsirritation führen kann, denke ich.

- Gefühlschaos: Die üblichen Nachrichten übersteigen völlig unser Vorstellungsvermögen, unsere Grenze des Begreifens. Es werden ständig Themen propagiert, die uns emotional mitreißen sollen, damit wir die Medien eben kaufen, anschauen, anhören etc. Das führt zu ständigen Gesprächen, in denen sich Menschen aufregen, streiten oder die sie betrübt machen oder fürchten lassen.
Wir sind generell Meister der Emotionalisierung, das gedankliche hineinsteigern in Gefühle, sodass diese immer mehr genährt werden. Dies alles dank unserer Gesellschaft, unserer Kultur, unserer Konditionierung.

Für all diese Reizüberflutung also ist der Mensch m. E. evolutiv absolut nicht vorbereitet und nicht geeignet, diese ohne Schaden zu überstehen.
Daneben gibt es Reizarmut, was den Eindruck der Natur oder die Verbindung zu dieser anbelangt. Oder Armut der körperlichen Bewegung, der Muskeln, Sehnen (Verbindung von Knochen und Muskeln) und Bänder (Verbindung zwischen Knochen); zumindest an vielen Körperregionen. Ausnahme ist hier bspw. der berühmte Zockerdaumen oder generell sind es die Finger, beim Schreiben auf Tastatur und Tippen auf Touchscreens.
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Re: Reizüberflutung und Sensibilität

Beitragvon Indigocat » 3. März 2016, 22:56

1. Mär 2016, 17:22 » Insuffizienz hat geschrieben:Ich denke Menschen, die dauernd reden, mit oder zu anderen und in ihrem Kopf, die dauernd Ablenkung suchen - in Medien (PC, Buch, Musik etc.), im Lernen oder Schaffen bzw. Arbeiten (Workoholics), das viel mit Vorstellung und dem Geist zu tun hat – können keine Ruhe finden bzw. wollen es nicht. Sie wehren sich, ihren wahren Gefühlen, Empfindungen und Stimmungen hinzugeben; diese einfach wirken zu lassen und anzunehmen. Sie können nicht mehr eine feste Verbindung zur Wirklichkeit oder zu sich selbst aufbauen, das ist nicht ihre Welt. Sie können nicht den ganzen Tag umhergehen und den Wald beobachten o. Ä.


Das würde ich auch so sehen. Workaholic bin ich sicher. Hatte jetzt Urlaub und bin langsam, aber sicher in eine subdepressive Stimmung geschlittert. Zum Glück hat mich meine Chefin am ersten Arbeitstag mit einem virtuellen Freudentaumel empfangen. Gott sei dank, ich werde gebraucht. Jetzt geht es mir wieder gut.

In die Natur gehe ich trotzdem viel.

Ich weiß nicht, ob ich mich dazu zählen würde. Würde ich an einem abgeschiedenen Ort leben, dann wäre ich deutlich mehr draußen. So behindert mich in Städten, sogar in Dörfern, die Anwesenheit anderer Menschen nach draußen zu gehen, da ich mich unwohl fühle, wenn fremde, unvertraute Menschen zugegen sind.


... wobei ich fremde Menschen nicht so schlimm finde. Mit denen muss ich weder kommunizieren noch eine Beziehung aufbauen. Hab auch die Erfahrung gemacht, wenn man ganz früh, in der Mittagspause oder abends in der Dämmerung losgeht, trifft man kaum jemanden.

Das ist eigentlich natürlich. Als wären die „Urmenschen“ ständig in Ballungszentren gewesen. Sobald sie eine neue Gruppe gesehen haben, unbekannte Gesichter, so haben wahrscheinlich Alarmglocken geschlagen und der Verteidigungsmodus ist erst einmal eingetreten. Neue Menschen oder größere Menschenmengen sind wahrscheinlich für jeden Menschen purer Stress.


Ja, zumal Menschen ja keine besonders nette Spezies sind und nicht zimperlich miteinander umgegangen sind.

- Geräusche: .... Sehreiz: .... Gerüche: .... - Gefühlschaos: ....
Für all diese Reizüberflutung also ist der Mensch m. E. evolutiv absolut nicht vorbereitet und nicht geeignet, diese ohne Schaden zu überstehen.


In Großstädten läuft das Leben auch schneller. Da wird man bestimmt auch schneller alt. Zum Glück lebe ich in einer Kleinstadt, nur wenige 100 m - rundum ist Wald und wenn man zu besagten Zeiten unterwegs ist, hat man ziemlich seine Ruhe.

Daneben gibt es Reizarmut, was den Eindruck der Natur oder die Verbindung zu dieser anbelangt. Oder Armut der körperlichen Bewegung, der Muskeln, Sehnen (Verbindung von Knochen und Muskeln) und Bänder (Verbindung zwischen Knochen); zumindest an vielen Körperregionen. Ausnahme ist hier bspw. der berühmte Zockerdaumen oder generell sind es die Finger, beim Schreiben auf Tastatur und Tippen auf Touchscreens.


... ein Blumenkasten auf dem Balkon, ein kleiner Garten, Sport nach YouTube-Videos oder eben doch mal Joggen in der Dämmerung ... wenn man sich dazu überwinden kann....
Geniale Menschen sind selten ordentlich, Ordentliche selten genial. A. Einstein

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Re: Reizüberflutung und Sensibilität

Beitragvon hinterdemmond » 4. März 2016, 02:57

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auch im abseits sterben helden. (clickclickdecker)

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Re: Reizüberflutung und Sensibilität

Beitragvon Insuffizienz » 4. März 2016, 13:05

es ist eine errungenschaft des homo sapiens, dass er mit völlig fremden menschen ohne viel stress kommunizieren, kooperieren, allianzen bilden oder gar fremde dauerhaft in die eigene gruppe integrieren kann. ohne diese fähigkeiten wären wir vermutlich längst ausgestorben.

Das ist sicherlich korrekt. Aber wie du schon beschrieben hast, jede Gruppe, bei denen keine Alarmglocken leuteten, wenn sie fremde Menschen gesehen haben, hat wahrscheinlich deutlich schlechtere Karten, was das überleben anbelangt.
Obwohl deine Beschreibung meine These absolut untermauert, schreibst du als Erstes "nicht unbedingt.". :D

du darfst auch nicht vergessen, dass in der steinzeit die menschen psychisch äußerst robust waren, wer schwach und ängstlich war, hat einfach nicht überlebt.

Dem würde ich wiedersprechen. Höherentwickelte Tiere haben denke ich besonders viel Mitleid mit "hilflosen" Artgenossen, was sich insbesondere in der Niedlichkeit Neugeborener bemerkbar macht. So denke ich, dass gerade Frauen, die wahrscheinlich eher weniger Jagen und schwer körperlich tätig sein mussten, die Gelegenheit hatten, absichtlich oder unabsichtlich von einem hilflosen Wesen zu profitieren; auf welches die Gruppenmitglieder mitunter mit Mitgefühl reagiert. In einer Gruppe gibt es eben oft die Chance sich fallen zu lassen, im Gegensatz zum Einzelgängertum. Um nochmal stärker mit der Sexismus-Keule zu schwingen, es besteht sicherlich ein Grund abseits der heutigen Sozialisierung, dass mehr Frauen histrionisch sind oder bspw. an generalisierter Angststörung leiden.
(Sind nur Gedanken)

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Re: Reizüberflutung und Sensibilität

Beitragvon hinterdemmond » 4. März 2016, 16:31

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Re: Reizüberflutung und Sensibilität

Beitragvon Insuffizienz » 4. März 2016, 18:02

@ hinterdemmond

Indes ich wenig über afrikanische "Naturvölker" weiß, kann ich mich nicht erinnern eine afrikanische Frau im Fernsehen gesehen habe, die hysterisch war oder hysterisch gewirkt hat. Sie wirkten eher alle gelassen, gefasst, genügsam und selbstsicher.
Es ist tatsächlich gut möglich, dass verzweifelte, damit gestörte Menschen hauptsächlich ein Produkt der Gesellschaft sind.

Über den Sachverhalt des Schlafhorts des Kleinkinds habe ich noch nie nachgedacht. Wenn man darüber nachdenkt, erscheint es schon ziemlich kaltherzig, ein kleines Baby allein in einem Zimmer schlafen zu lassen und dann noch bei Nacht. Kein Wunder, dass sich die Menschen in der Dunkelheit fürchten.
Ich habe bei Rousseau auch gelesen, dass die Kleinkinder in afrikanischen Völkern auf dem Rücken getragen werden. Er empfiehlt, wenn es möglich ist, sollte man es jedoch so viel krabbeln lassen als möglich, um körperliche Erfahrungen zu machen und die Umwelt kennenzulernen. Wie du schon begründet hast, ist es in der Wildnis natürlich ein wenig gefährlich für Kleinkinder.


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