Gesellschaft der Emotionalisierung und Verkopfung

Hier haben alle Themen über Religion, Politik oder das Zusammenleben mit unseren Mitmenschen platz.
Insuffizienz
alteingesessen
alteingesessen
Beiträge: 710
Registriert: 4. Juli 2014, 20:10
SPS: Vielleicht

Gesellschaft der Emotionalisierung und Verkopfung

Beitragvon Insuffizienz » 29. Februar 2016, 23:46

(Man verzeihe mir meine Pauschalisierungen, die ich der Einfachheit halber angewendet habe.)
Hier ein paar Gedanken (die sicherlich von Janice Jakait sehr beeinflusst wurden :D ):

Wir sind heutzutage mMn. generell eine Gesellschaft der Emotionalisierung, d. h. wir sind verkopft. Die ganzen Ängste, die uns mit unserer Konditionierung in der Kindheit mitgegeben wurden (und immer noch mitgegeben werden) sind größtenteils nutzlos und durch Vorstellungen induziert. Sie führen nicht dazu, dass wir sicherer sind und unsere Gesundheit schützen, was ja eigentlich der Sinn sein sollte. Ganz im Gegenteil, unheimlich viele Menschen haben ein mangelndes Selbstwertgefühl. Diese Konditionierung hat dazu geführt, dass wir emotionalisieren. Wir können bspw. nicht mehr eine Angst einfach spüren und akzeptieren, nein, stattdessen füttern wir das Gefühl mit unseren Gedanken, sodass am Ende ein riesiges Damokles-Schwert über uns schwebt. Oder noch schlimmer, wir verdrängen die Angst und meiden das auslösende Thema, wodurch die Angst noch viel mehr gärt. Das führt dazu, dass wir nicht mehr handlungsfähig sind. Viel mehr eingeschränkt in unserer Freiheit, unserer Selbstständigkeit, der Entfaltung unserer Persönlichkeit. Und die Gedanken überrennen uns.

Am Ende glauben wir doch tatsächlich, dass wir die Gedanken sind. Dabei sind wir doch nur das, was denkt. Gedanken sind natürlich ein sinnvolles Instrument für uns. Sie bilden sich aber auch willkürlich oder vielmehr durch unsere Erfahrung, durch indoktrinierte Normen und Vorstellungen der Gesellschaft.
Nimmt man also an, die Wirklichkeit ist wirklich da, so kann man beobachten, dass ein Tier auch etwas ist, obwohl es keine Gedanken hat. Somit ist der Geist nicht die Essenz des Lebens, des Seins. Naja, und jeder hat mal nicht gedacht in seinem Leben bzw. war nicht in seinem Geist, hat einfach nur die Wirklichkeit wahrgenommen. Und hat er da aufgehört zu existieren?

Gedanken sind stets ein jämmerliches Abbild der Wirklichkeit. Wieso schenken wir den Gedanken so viel Aufmerksamkeit? In jeder Sekunde, in der wir in dieser Imagination verweilen, im Geist, verlieren wir eine Sekunde, die wir in der Wirklichkeit sein könnten, um sie zu erleben. Nun müsste man natürlich begründen oder wissen, warum man eigentlich die Wirklichkeit erleben will.

Will ich wirklich den Tag lang 8 Stunden in der Arbeit hocken, was ich nur tue, weil ich Geld verdienen will und eben dort die Muster abarbeite, die mir keine Freude bereiten? Und die andere Zeit des Tages brauche ich für den Rückweg und um mich auszuruhen. Gibt einem der glückliche Zufall (oder das Schicksal oder beides) nicht zu bedenken, dass der Urknall vor 13,8 Milliarden Jahren entstanden ist, das glückliche Ereignis, dass die Erde sich vor 4,6 Milliarden gebildet hat, dass sich Lebewesen vielleicht durch die Ursuppe oder extraterrestrische Gesteine (also aus dem All) im Präkambrium entwickelt haben, dass sich tatsächlich ein Lebewesen entwickelt hat, der Mensch, der einen hochentwickelten Geist hat, der ein wenig versteht, was er ist und dass er etwas ist? Und dass wir tatsächlich solch ein Bewusstsein sind? Oder seien wir auch durch einen Gott erschaffen worden, durch das heilige Spaghetti-Monster oder was auch immer. Dieses wahre „Wunder“, dieses Leben, wieso sollte man es verschwenden?
Wieso zur Hölle stellen wir uns so viele Hürden in den Weg, um unser Leben selbstbestimmt zu leben?

Jeden Tag passieren so viele Dinge, die gut gehen: Unser Herz bleibt nicht stehen, wir werden nicht vom Auto überfahren, keine Atombombe stürzt auf unser Land, what ever. Und dann stehen viele jeden Tag auf mit schlechter Laune und machen ihre Arbeit, weil sie denken, dass sie es müssen. Anstatt all die indoktrinierten Ängste und Gedankengebilde, die uns vermittelt wurden, zu hinterfragen und folgerichtig aufzugeben. Man ist selbst schuld, wenn man das nicht versteht und unzufrieden ist. Wie eine Karriere auszusehen hat, ist ein gesellschaftliches Konstrukt, wie eine Partnerschaft, wie die Kindheit (Stichwort Schule), wie die Gesellschaft und das Miteinander (Stichwort Gewaltherrschaft, also Staat) auszusehen hat, ist ein Konstrukt; dessen Brennstoff ist oft völlig unbegründete, sogar absichtlich falsch begründete Angst.
Aber nein, es gibt nicht nur einen Weg. Die Erfahrung, die Vergangenheit und sogar andere, besondere Menschen zeigen, es geht anders, alles kann sich von heute auf morgen ändern.

Für die Veränderung braucht es nur eins: Vertrauen in sich und in die Welt. Also gilt es, die Ängste nicht mehr zu schüren, Sicherheiten aufzugeben, die sowieso oft gar keine sind. Und was nützt mir eine große Burg, mit riesigen Mauern, tiefem Burggraben und großen Nahrungsvorräten, wenn ich abgeschottet von der Welt und der Wirklichkeit ein einsames, unglückliches Dasein verlebe und das Leben verpasse? Und jeder kennt das Erlebnis: Einmal mutig sein, einmal die Angst wirklich konfrontieren, damit kann sie bezwungen werden und das Leben bereichert, denn nun eröffnen sich neue Wege, unsere Freiheit wird größer und unsere Lebensqualität nimmt zu.
Unsere Zufriedenheit sollte nicht von den Umständen abhängen, sondern von unserer Einstellung. Diese Einsicht ist wahrscheinlich das, was man weise nennt. Beispiel: Vielleicht kennen einige gewisse Menschen, die plötzlich wissen, dass sie sterbenskrank sind oder einfach nur alt. Erste bspw. können eine plötzliche Reife entwickeln (möglicherweise könnte man es auch posttraumatisches Wachstum nennen), sie sind gelassen und geduldig, akzeptieren ihre Vergänglichkeit und sind dankbar für jeden Tag ihres Lebens. Demütig gegenüber dem Leben. Sie sind klar und nun so felsenfest und unbeirrbar in ihrer Persönlichkeit und Einstellung, was sich in ihrem Blick bspw. widerspiegelt. Vielleicht wäre es intelligent sich eine Scheibe von solchen Menschen abzuschneiden. Zu dieser Änderung der Lebenseinstellung ist zudem wahrscheinlich jeder in der Lage, unabhängig von seiner Intelligenz und Bildung und what ever.
"Das zweite Leben beginnt, wenn man begreift, dass man nur ein Leben hat."

Und die meisten von uns können nicht die Welt retten und wir können nicht dafür verantwortlich sein, zumindest nicht im Großen. Wir können nur im Kleinen anfangen die Welt zu verbessern.

Ich sehe Gedanken als ein Schiffchen an, das an meinem Hafen hält, einen (Denk-)Inhalt abliefert und wieder davonzieht. Den Denkinhalt kann ich nehmen und verwenden oder einfach ins Wasser schmeißen. Je mehr "Fracht" ich jedoch nehme, desto mehr Handel wird an meinem Hafen betrieben. Gedanken sind neben Liebe eine der wenigen unbegrenzten Ressourcen und sie vermehren sich bis zu einem gewissen Grad unglaublich schnell.

Anders gesagt: Man lebt nur einmal, mach das Beste daraus.

So, gerne lade ich euch zu konstruktiver Kritik ein bzgl. meines Posts, auch dazu alles mögliche hier textlich zu fabrizieren, solange niemand geschadet wird. ;D

Zusatz:
Ich habe in meiner Beschreibung hauptsächlich das Beispiel Angst als Emotion gewählt. Aber das gilt natürlich für das ganze Gefühlsspektrum.
Daneben ist das Begehren ein wichtiges Thema, das im Buddhismus oft aufgegriffen wird. Man sollte als lernen, Dinge hinzunehmen wie sie sind. Es ist eben so, dass man ohne Erwartungen nicht enttäuscht werden kann. Ent-täuscht. Diese Täuschung also, der Gedanke, etwas müsste so passieren, wie ich es mir vorstelle, führt zu großem Leid; wie zudem schon beschrieben wurde, entspricht die Vorstellung generell nicht im Ansatz der Wirklichkeit. Und klar, ich rede hier von Idealen, wer wird schon jemals ohne Begierden sein, wenn er noch ein Mensch ist? Es gilt also die Erwartungen herunterzuschrauben, denn diese Art der Begierde ist rein gedanklich, sie hängt nur von unserer Einstellung ab. Und so sehen wir die Welt ganz anders, leben den Moment statt in den Gedanken, also nicht mehr hauptsächlich in der Vergangenheit, Zukunft oder in einer Parallelwelt bzw. Fantasiewelt.
Manchmal verwundert es mich, dass andere mit mir reden. Für mich wirkt es dann und wann wie eine große Geste, jemand teilt seine begrenzte Lebenszeit tatsächlich mit mir, um mit mir zu reden. Um mir zu helfen, wenn ich bspw. nach dem Weg Frage oder sowas. Dann spüre ich Dankbarkeit.
Ich denke auch, dass diese Einsamkeit, die in den Industrieländern grassiert, unglaublich leidvoll und überflüssig ist. Und ich denke, dass diese extreme Art der Einsamkeit durch den Kopf entsteht. Es sind hauptsächlich die unerreichbaren Erwartungen, die den Einsamen enttäuschen. Erwartungen, die er blind von der Gesellschaft übernommen hat.
Nach Rousseau ist das Begehren eine Art sucht. Sobald man damit anfängt, wird nach immer mehr gegiert bis ins Unermessliche. Er sagt auch, dass ein Mensch schwach ist, der mehr begehrt als er im Stande ist zu erreichen. Jedoch ist der stark, der zu mehr fähig ist als er begehrt. Er sagt, dass diese letzte starke (als relativ gesehen) Lebensphase die späte Kindheit ist. Das Kind wächst plötzlich schnell und hat nun so viel körperliche und auch geistige Kraft wie nie zuvor, die es erst einmal realisieren muss. Gleichzeitig sind (bestenfalls) die Begierden noch geringer als beim Erwachsenen, die Geschlechtsreife ist vielleicht noch gar nicht eingetreten, das ältere Kind versteht auch noch nicht so recht, was er mit dem gesellschaftlichen Geschehen der Erwachsenen anfangen soll. Es ist also ein Kind in einem Körper nahe eines Erwachsenen.
Zuletzt geändert von Insuffizienz am 1. März 2016, 15:47, insgesamt 1-mal geändert.

Benutzeravatar
vanBloom
engagiert
engagiert
Beiträge: 212
Registriert: 15. Dezember 2015, 14:15
SPS: Eher Ja

Re: Gesellschaft der Emotionalisierung und Verkopfung

Beitragvon vanBloom » 1. März 2016, 05:04

Ich habe wenig daran auszusetzen, lediglich sich daraus entwickelte eigene Gedanken. Nichtmal ein Konzept, ein erster Entwurf. Zum Teil sicher ähnlich, zum Teil vllt. wiedersprüchlich. Mal sehen was sich ergibt, sind ja noch junge Gedanken.

Die Menschen leben ausschließlich in ihrem Kopf. In einem konstanten inneren Dialog. Wir reden permanent mit uns selbst. Diese vordergründigen Gedanken sind eine Konstante in unserem Leben. Mal intensiver, mal weniger intensiv. Vielleicht auch mal für einen kurzen Moment gar nicht. Doch wenn ein Gedanke beendet ist, tauch sehr bald ein Neuer auf. Manche Gedanken lassen uns auch für sehr lange Zeit nicht wirklich los.

Wir können hier lediglich lernen Gedanken zu erkennen die uns nützen, die uns bereichern und die Gedanken die uns schaden aussortieren und wegschieben. Wir können jedoch nicht aufhören zu denken. Nicht für einen wirklich langen Zeitraum. Wir können natürlich unsere Gedanken auch mal beruhigen, ablenken, bewusst lenken. Das ist dann Entspannung für das Hirn.

Gedanken die in häufiger Regelmäßigkeit wiederkehren und sich auch in Handlungen umschlagen - banales Beispiel: Klobrille zuklappen und abziehen - setzen sich irgendwann im Unterbewusstsein fest. Oder anders: Wir konditionieren uns permanent selbst.

Die Gefahr die besteht sind nicht in erster Linie die bewussten Gedanken, sondern jene Gedanken die sich uns so eingeprägt haben, dass sie im Unterbewusstsein stattfinden. Wenn wir zulassen dass schädliche Gedanken soweit vordringen, dass sie sich im Unterbewusstsein etablieren, eignen wir uns schädliche Verhaltensweisen an, die wir nur schwer wieder heraus bekommen. Persönlichkeitsstörungen sind ganz gewiss ein extremes Beispiel dafür. Aber auch andere negative Handlungen, die alltäglicher sind fallen darunter. Eigentlich alles was uns irgendwie schadet und von uns selbst ausgeht.

In gewisser Weise ist dieser Prozess natürlich vorteilhaft. Wenn ich mir vorstelle wie jeder Gedanke im Unterbewussten in mein Bewusstsein vordringen würde - ich glaube ich wäre noch bekloppter als ich ohnehin schon bin! Soviel Kapazität kann der Mensch bewusst nicht verarbeiten. Ich erinnere mich gut daran, wie ich die ersten Male eine Tastatur genutzt habe und über Jahre besser wurde. Wie gut dass ich das heute so automatische hinkriege wie die Türklinke zu benutzen! Man stelle sich vor man müsste ein lebenlang permanent über alle Handlungen nachdenken, die man so nebenbei völlig selbstverständlich ausübt. Wir würden zu nichts mehr kommen! Schreiben, Lesen, Sprache, Mathematik, Atmen, Essen, Trinken...

Nicht nur das unsere Handlungen so beeinflusst werden! Diese etablierten unterbewussten Gedanken beeinflussen auch enorm unsere Weltsicht. Meinungen, Glauben, Wissen sind letztendlich nur Gedanken. Wenden wir eine Meinung, Glauben, Wissen regelmäßig an oder werden wir häufig damit konfrontiert, etabliert sich diese automatisch im Unterbewusstsein - wir lernen sie. Ob wir das wollen oder nicht. So funktioniert Indoktrination, Manipulation. Tatsächlich können wir über diesen Mechanismus andere Menschen sehr gezielt steuern - wenn sie uns nur in ihren Kopf lassen, was die meisten tun, da sie über diese Mechanik nichts wissen oder nichts wissen wollen. Tagtäglich durch Werbung, Politik, Presse, Bildung, Erziehung werden wir indoktriniert - das muss nicht immer schlecht oder unwahr sein, oder in böser Absicht geschehen.

Unsere Aufgabe als Mensch ist es also in erster Linie Gedanken zu filtern und beiseitezuschieben, die wir nicht im Unterbewusstsein etablieren wollen - doch auch uns regelmäßig mit neuen Gedanken zu befassen, die uns fremd sind, die uns irgendwie stören, unser Weltbild durcheinanderbringen, nicht mit den unterbewussten Gedanken konform gehen. Wir müssen mit unseren eigenen Paradigmen regelmäßig brechen. Denn immer dann, wenn uns ein Gedanke stört, bedeutet dass das sich ein gegenteiliger Gedanke bereits in uns festgesetzt hat. Sörende Weltbilder sind also etwas gutes! So halten wir unser Unterbewusstsein frisch. Wir bleiben offen für Anpassung, Alternativen. Wir müssen sie ja nicht übernehmen. Wir müssen uns ihrer nur bewusst sein.

Wer seine eigenen Gedanken nicht kennt, sich nicht bewusst mit dem auseinandersetzt, was er im Unterbewusstsein manifestiert hat, der kennt sich selbst nicht. Er ist nur noch ein Spielball von Meinungen, leicht zu beeinflussen und zu missbrauchen. Ein Zombie. Das grenzt schon beinahe an Hypnose. Es ist eine Art von Trancezustand. Man handelt unbewusst - absurderweise bei vollem Bewusstsein.
Das trifft wohl auf den weitaus größten Teil unserer Gesellschaft zu!

Wir können dem jedoch sehr leicht entgegenwirken! Unser Bewusstsein ist noch immer dasselbe wie das, welches wir als Kind hatten. Ungeprägt, Frisch, Neugierig, Wissbegierig. Es will die Welt frei von alten Paradigmen erleben, erforschen. Immer und immer wieder aufs neue. Es langweilt sich bei permanenter Wiederholung. Wir müssen es nur zulassen. Uns darauf einlassen. Dagegen wehrt sich nur unser Unterbewusstsein und dem wollen wir ja ohnehin entgegenwirken.
"Wenn der Schnee schmilzt, sieht man, wo die Kacke liegt."
- Rudi Assauer, Focus Nr. 39 (2005)

Benutzeravatar
Geextah
erfahren
erfahren
Beiträge: 389
Registriert: 9. April 2015, 10:52
SPS: Ja

Re: Gesellschaft der Emotionalisierung und Verkopfung

Beitragvon Geextah » 1. März 2016, 06:53

Verkopft würde für mich bedeuten, dass wir sachlich und logisch sind; negativ-emotional Verherzt wäre eher das was mit Emotionen zusammenhängt, zumindest nach dem Daoismus.
"Erfindungen bedürfen der ungestörten Ruhe, des stillen, beständigen Nachdenkens und eifrigen Erprobens, und all dies gibt nur die Einsamkeit, nicht die Gesellschaft der Menschen."
- Gerolamo Cardano -

Insuffizienz
alteingesessen
alteingesessen
Beiträge: 710
Registriert: 4. Juli 2014, 20:10
SPS: Vielleicht

Re: Gesellschaft der Emotionalisierung und Verkopfung

Beitragvon Insuffizienz » 1. März 2016, 12:46

@vanBloom
Interessanter Aspekt. Im "Emil oder über die Erziehung" hat Rousseau (ja, das ist das einzige "philosophische" Buch, das ich je gelesen habe, also ist es keine Arroganz ihn zu nennen :D) ebenfalls erwähnt, dass das Kind bestenfalls so wenig Gewohnheiten entwickelt wie möglich. Aus genau dem Grund, den du genannt hast, nämlich dass es immer wieder begreift, dass man an manchen Stellen einen unbewussten Automatismus laufen lässt und gar nicht mehr hinterfragen kann. So wird die Selbstbestimmtheit immer mehr eingeschränkt.
Aber klar, in einigen Punkten gehts gar nicht anders, dass unbewusste Prozesse ablaufen. Würden wir beim Gehen jeden Muskel genau koordinieren, dann würde das einfach nicht funktionieren.

@Geextah
Stimmt, da müsste ich ein anderes Wort suchen..."verherzt" also? Darunter kann ich mir nicht so viel vorstellen. Das verkopft bezieht sich ja nicht auf das Emotionalisieren, sondern auf das ständige Achten und Folgen der Gedanken. Muss ja nicht zwangsläufig emotional sein. Vergeistigt oder sowas...keine Ahnung. :D
Zuletzt geändert von Insuffizienz am 20. März 2016, 22:20, insgesamt 1-mal geändert.

Benutzeravatar
vanBloom
engagiert
engagiert
Beiträge: 212
Registriert: 15. Dezember 2015, 14:15
SPS: Eher Ja

Re: Gesellschaft der Emotionalisierung und Verkopfung

Beitragvon vanBloom » 1. März 2016, 14:48

Ich muss gestehen ich habe Rousseau nie gelesen.

Die Frage ist, wo liegt die Grenze der guten Gewohnheiten, da ja letztendlich alles Gewohnheit ist. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Er handelt ausschließlich über Gewohnheit.

Was sind gute Gewohnheiten, die jeder Mensch beherrschen sollte - was sind schlechte Gewohnheiten die es zu vermeiden gilt? Wer bewertet das? Wer legt es fest? Die Gesellschaft die schon in ihrem Gewohnheitshamsterrad aus Tradition und Etikette herumeiert? Die Eltern und Lehrer mit all ihren Gewohnheiten die sie ja haben? Ich? Du?

Es führt die Idee ad absurdum wenn Leute die ihren Gewohnheiten nachgehen Kindern die "richtigen" Gewohnheiten beibringen - oder abgewöhnen sollen.

Den einzigen Weg den ich hier sehe ist es dem Kind von früh auf die Gewohnheit anzueigenen, alles in Frage zu stellen und es über den Aspekt der Gewohnheiten aufzuklären, damit es selbst ganz bewusst entscheiden kann und seine Gewohnheiten regelmäßig überprüft. Auch das kann man sich angewöhnen.

p.s.

Für jedes mal "Gewohnheit" ein Pinnchen Korn kippen!
"Wenn der Schnee schmilzt, sieht man, wo die Kacke liegt."
- Rudi Assauer, Focus Nr. 39 (2005)

Insuffizienz
alteingesessen
alteingesessen
Beiträge: 710
Registriert: 4. Juli 2014, 20:10
SPS: Vielleicht

Re: Gesellschaft der Emotionalisierung und Verkopfung

Beitragvon Insuffizienz » 1. März 2016, 16:02

@ vanBloom
Ich glaube Rousseau hat tatsächlich einen ähnlichen Gedanken dazu gehabt wie du.
Er hat soweit ich weiß die Methode vorgeschlagen, dass das Kind möglichst viel neue Dingen erfährt, natürlich von sich aus und dass seine Gewohnheit sein sollte, so wenig wie möglich Gewohnheit aufzuweisen. Das entspricht wahrscheinlich der Natur des Kindes, wahrscheinlich auch des Menschen. Denn in "Urzeiten" war nunmal nicht alles so durchstruktuiert und "sicher" wie es heute ist.

Als Zusatzinformation: Rousseau soll eine Art Pionier der Reformpädagogiken gewesen sein, wie bspw. die Montessori-, Steiner-, Freinet- oder Waldorfpädagogik. Dabei geht es darum, das Kind die größtmögliche Freiheit zu lassen, nichts zu lehren, es soll eigentlich alles selber lernen, um selbstständig zu werden. Es soll sich frei entfalten und bestmöglich in seinem persönlichen Naturzustand bleiben im Hinblick darauf, auch in einer Gesellschaft leben zu können.
Das ist dasselbe Prinzip des Freilernens (engl. Unschooling), das heute en vogue ist. Die Regel ist dabei den Kindern nichts zu lehren, bestenfalls es anfangs sogar zu verweigern (indirekt), damit das Kind nicht unendliche unnütze Fragen stellt und selbstständig bzw. unabhängig wird.
Naja, ist ein anderes Thema, das mich sehr beschäftigt.

Benutzeravatar
maxen
interessiert
interessiert
Beiträge: 16
Registriert: 1. Februar 2014, 09:16
SPS: Ja
Wohnort: BERLIN
Kontaktdaten:

Re: Gesellschaft der Emotionalisierung und Verkopfung

Beitragvon maxen » 1. März 2016, 17:36

Mensch Insuffizienz

"Emotionalisierung und Verkopfung" - ich lese immer Verstopfung (sorry:)

Rousseau mag ich auch :) Ich benutze (auch) Buddistisches, z.B. das Atmen <ein.. - aus, lächeln..> .. nicht vergessen! Janice Jakait kenn'ich (noch) nicht. Ich glaube ja, dass ES nicht so vieler Worte oder Wörter bedarf.. um wesentliche Erkenntnisse über menschliches irdisches Sein zu vermitteln. Lieblinge sind: "Der Schlüssel liegt im Auto!" oder: "Der Sinn sich fortpflanzend entwickelnden Lebens ist: Fortpflanzung & Entwicklung!" oder, frech umgedeutet: "Sex & Spiel". Dabei ist nicht nur die körperliche Fortpflanzung & Entwicklung gemeint - sondern auch die von Ideen, oder Freier Software.. manche Ideen pflanzen sich ja über Jahrtausende fort ;)

MUSTER möchte ich aus Deinem Text rausgreifen, und KONDITIONIERUNG. Mir lehrreich dazu und immer wieder hörbar fand ich "Jiddu Krishnamurti - Die Konditionierung durchbrechen" (ob ich das hier verlinken darf, bin neu* hier p-:) https://www.youtube.com/watch?v=RdjqZsjuDV8

Also ich höre mehr, als das ich lese.. Buddistisches "Thich Nhat Hanh - Heile zuerst Dich SELBST" https://www.youtube.com/watch?v=FGX_XC1LHpI und ACHTSAMKEIT https://www.youtube.com/watch?v=OhPs5wxwGIE und "Sie" wissen sich nicht mehr anders zu helfen, als den zivilisatorischen Belastungen mit Achtsamkeit/Atmen/Lächeln/Meditation zu begegnen.

Zum Thema BEGEHREN/Begierde sagt Krishnamurti auch Interessantes.. wie es entsteht.. - aber, ohne ein "Begehren" keine Fortpflanzung, oder? Also auch bei Pflanzen (oder)? Oder aber: "Bloß nicht orientieren lassen!"

Du schreibst "Emotionalisierung und Verkopfung", ABER ist die "Verkopfung" ansich nicht beides: "Emotion+Kognition", also etwa "Gefühl+Verstand"!? Dazu: "Gespaltenes Bewusstsein - Empathie versus Kognition" Gespräch mit Arno Gruen https://www.youtube.com/watch?v=hHI1jm3uwwo *)

maxen

*) Fürs MODERATOR*INNEN-Team: Der letzte Link verweist auf eine Sendung des SWR, die bei youtube veröffentlicht ist... ob ich das darf/das (noch) erlaubt ist.. werde ich - je öfter ich anfangs anecke - auch schneller lernen. In dem Sinne: DANKE für die Moderation :) ACH jetzt sehe ich, das ist der (verifizierte) Youtube-Kanal von der ARD selber; das sollte OK sein.
∞ ☮ ☯ ❤

Insuffizienz
alteingesessen
alteingesessen
Beiträge: 710
Registriert: 4. Juli 2014, 20:10
SPS: Vielleicht

Re: Gesellschaft der Emotionalisierung und Verkopfung

Beitragvon Insuffizienz » 1. März 2016, 18:26

@maxen
Zur Emotion: M. E. entstehen Gefühle durch die Wahrnehmung der Sinne oder vorgestellte Wahrnehmungen, oder aber durch biologische Prozesse wie hormonale Aktivitäten.
Diese Gefühle sind des Öfteren beeinflussbar, durch unsere Sicht auf die Welt, durch unsere Bewertung und Konditionierung.
Dasselbe gilt für Emotionen noch viel mehr. Emotionen sind für mich Gefühle und dazu das handeln mit diesen, das ausdrücken also, was der Etymologie ja nahekommt: Lat. e-(her)aus, movere-bewegen. Die Emotion ist also der affektive Ausdruck einer Wahrnehmung (folglich wie gesagt auch das Erleben selbst), und dieser ist oft durch den Geist beeinflusst. So besteht z. B. die Tendenz, dass positive Gefühle gesucht werden und negative gemieden. Im letzten Fall drücke ich bspw. meine Wut aus, um dem anderen zu zeigen, dass ich nicht mehr dieses negative Gefühl erleben möchte. Im ersten versuche ich einen Schwarm von mir zu überzeugen als Partner o. Ä., da ich positive Gefühle wie Verliebtheit oder Geborgenheit bei ihm spüre.
Naja, ist ja auch nicht ganz so wichtig. Da gibt es bestimmt viele Definitionen. :D

Ich schaue mal, was ich von deinen Links verwerten kann. ;D
Zuletzt geändert von Insuffizienz am 1. März 2016, 19:40, insgesamt 1-mal geändert.

Kalliope
alteingesessen
alteingesessen
Beiträge: 1392
Registriert: 18. Dezember 2015, 21:33
SPS: Nein

Re: Gesellschaft der Emotionalisierung und Verkopfung

Beitragvon Kalliope » 1. März 2016, 19:23

@Insuffizienz
Und was ist mit den Hormonen? Hormone sind eindeutig Gefühle-Verursacher. Wird Dir jede Frau mit PMS bestätigen und jede/r Schilddrüsenkranke oder jeder, der einen testosterongebeutelten Jüngling erlebt.

So einfach ist das nicht mit den Gefühlen. (Nach meinem Dafürhalten sind "Emotionen" nur die lateinische Übersetzung von Gefühlen = inhaltlich identisch. Jedenfalls unterscheide ich da nicht.)

Nach meinem Dafürhalten hast Du aber natürlich auch recht damit, dass Gefühle auch von außen, der Umwelt mitbeeinflusst werden. Das Erlebte durchläuft eine Art inneren Filter, der wiederum dann dafür sorgt, welches Gefühl exprimiert wird. Der Filter wiederum ist individuell geformt, je nach Genen, Hormonlage, Geschichte und Erfahrungen sowie Reflektionsfähigkeit und Steuerungsfähigkeit des Einzelnen.

Dass auschließlich positive Gefühle gesucht werden unterschreibe ich mal so gar nicht. Es gibt mannigfaltige Beispiele von Dispositionen, wo das nicht der Fall ist.

Wie auch immer: ich meine, Gefühle sind auch nichts anderes als Biochemie oder -physik.
"In Wirklichkeit ist der andere Mensch Dein empfindlichstes Selbst in einem anderen Körper" Khalil Gibran
"Das Ideal einer vollkommenen Gesundheit ist bloß wissenschaftlich interessant. Krankheit gehört zur Individualisierung." Novalis

Insuffizienz
alteingesessen
alteingesessen
Beiträge: 710
Registriert: 4. Juli 2014, 20:10
SPS: Vielleicht

Re: Gesellschaft der Emotionalisierung und Verkopfung

Beitragvon Insuffizienz » 1. März 2016, 19:36

@Kalliope
Oh, ich merke gerade, dass ich geschrieben habe, dass alle Gefühle beeinflussbar wären durch unseren Geist...
Stimmt, andere biologische Faktoren spielen sicher auch eine Rolle, die neben der sinnlichen Wahrnehmung stattfinden.
Dass auschließlich positive Gefühle gesucht werden musst du nicht unterschreiben, da du nichts findest, wo du's unterschreiben kannst. Jedenfalls bei mir nicht.
Es gibt sicherlich auch Leute, die z. B. Schmerzen nachrennen, um sich überhaupt zu spüren usw. Aber die meisten Menschen gehen nicht freiwillig in den Krieg, um das Grauen zu erleben, sondern dorthin, wo sie sich wohlfühlen, an sichereren Orten. Also suchen die positiven Emotionen auf.
Jedenfalls würde ich bei meiner Behauptung bleiben, dass der Mensch tendenziell positive Emotionen sucht und negative meidet. ;-)

Naja, Chemie und Physik sind Wissenschaften. Gefühle sind ja eine Einordnung der Wirklichkeit als Begriff (obwohl die Beschreibung auf Wissenschaften auch zutreffen könnte, aber ich hoffe es ist klar, was gemeint ist), deshalb sind sie genau genommen biochemische Prozesse. (Ich weiß, ist Kleinkrämerei, aber ich kann's nicht lassen.)


Zurück zu „Gesellschaft und Kultur“

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 36 Gäste