Kranke Gesellschaft?

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Kranke Gesellschaft?

Beitragvon Grübelmonster » 15. November 2015, 05:23

Wo fängt psychische Krankheit denn eigentlich an, wo hört sie auf? Wenn man sich unsere Gesellschaft so anschaut, kann man laut Psychologie doch irgendwie fast jeden in irgendeine Schublade stecken oder nicht? Kommt nicht alles auf die Perspektive an? Ist der gesunde Mensch überhaupt noch Wirklichkeit in unserer heutigen Zeit?

Man muss ja von irgendeiner Norm ausgehen, wie ein gesunder Kern, eine ideale Entwicklung, eine fehlerhafte Erziehung, dass sich eben der Mensch fehlerfrei entwickeln kann und sein Potenzial voll ausschöpft. Aber ist es, in unserer medialen, technisierten, materialistischen, kapitalistischen, strukturierten, vorgegebenen Welt, das System in das wir geboren werden, überhaupt noch realistisch davon auszugehen? Ist nicht die Gesellschaft eine kranke in sich, und die "kranken" Reaktionen auf diese eher Zeichen von verbliebener Menschlichkeit? Ist es möglich sich dieser Gesellschaft anzupassen, ohne davon "krank" oder eben auch angepasst und "gesund" zu werden? ^^

Das ist ja auch ein Gedanke Erich Fromms. Es ist so komisch mit anzusehen, wie beispielsweise hier im Forum die "Krankheit" bis ins Tiefste verstehen und analysieren versucht wird, alle so reflektiert sind und keiner Fliege was zu Leide tun, und der angepasste Massenmensch sein unreflektiertes, neurotisches Dasein fristet und wenn er hören würde jemand ist schizoid, wird er noch Angst vor ihm haben und ihn gleich in seinen engstirnigen Gedanken als krank abstempeln, nach dem Motto, mit so jemandem möchte ich aber nichts zutun haben und die Störung mit einer multiplen Identität gleichsetzen oder so, weil er nur mal das Wort Schizophrenie irgendwo aufgeschnappt hat... Kann man in unserer Welt seinen Gefühlen überhaupt noch treu bleiben? Die ganzen Idealbilder die in der Gesellschaft vorgegeben werden, wie das Leben auszusehen hat. Man brauch Geld, ein Auto, eine Beziehung(welche in unserer modernen Gesellschaft auch nur allzu oft nicht auf Liebe, sondern auf Prinzip und Abhängigkeiten basiert), eine Arbeit, irgendeine belanglose Meinung zur politischen Situation, dann ist man gesund?... Alle halten sich nur krampfhaft an dieser "Realität" fest, um sich zugehörig zu fühlen, Angst haben sich zu entwickeln, sich zu entfalten, Entwicklung bleibt außen vor. Alles wird als gegeben gesehen und einfach übernommen. Wenn man aus der Reihe tanzt und keinen Bock darauf hat, sich diesem ganzen Quatsch nicht beugen will und sich nicht zugehörig fühlt, hat man verloren.

Naja, solche Gedanken hege ich viel und wundere mich über die Menschheit nur allzu oft.
Was denkt ihr so dazu?

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Re: Kranke Gesellschaft?

Beitragvon orinoco » 15. November 2015, 11:18

15. Nov 2015, 05:23 » Grübelmonster hat geschrieben:Wo fängt psychische Krankheit denn eigentlich an, wo hört sie auf? Wenn man sich unsere Gesellschaft so anschaut, kann man laut Psychologie doch irgendwie fast jeden in irgendeine Schublade stecken oder nicht? Kommt nicht alles auf die Perspektive an? Ist der gesunde Mensch überhaupt noch Wirklichkeit in unserer heutigen Zeit?


Vorweg: ich differenziere zwischen Krankheit und Behinderung. Ich sehe mich als psychisch behindert, nicht als krank an.

15. Nov 2015, 05:23 » Grübelmonster hat geschrieben:Man muss ja von irgendeiner Norm ausgehen, wie ein gesunder Kern, eine ideale Entwicklung, eine fehlerhafte Erziehung, dass sich eben der Mensch fehlerfrei entwickeln kann und sein Potenzial voll ausschöpft. Aber ist es, in unserer medialen, technisierten, materialistischen, kapitalistischen, strukturierten, vorgegebenen Welt, das System in das wir geboren werden, überhaupt noch realistisch davon auszugehen? Ist nicht die Gesellschaft eine kranke in sich, und die "kranken" Reaktionen auf diese eher Zeichen von verbliebener Menschlichkeit? Ist es möglich sich dieser Gesellschaft anzupassen, ohne davon "krank" oder eben auch angepasst und "gesund" zu werden? ^^


Darüber haben sich auch andere kluge Köpfe schon Gedanken gemacht. In diesem Zusammenhang ist ein Vergleich zu anderen Gesellschaftsformen als der unsrigen westlich geprägten hilfreich. Japan oder überhaupt der ostasiatische Bereich hat ein ganz anderes Konzept von Gesellschaft (nicht ohne andere Probleme), besonders was den Umgang mit Kindern und alten Menschen betrifft, genaugenommen diametral zu dem Umgang hier.
Oder auch wenn man mal mit Jäger-und-Sammler-Kulturen (die es heute noch mehr gibt als man glauben mag) vergleicht. Dort kommen auf ein Kind vier(!) Erwachsene mit denen es sozial interagiert. Hierzulande wird eine Kindererzieherin auf vier Kindergartenkinder schon als Erfolg betrachtet. Welche Kinder werden wohl ihr volles soziales Potential eher ausschöpfen?
Die Vorträge von Bruce D. Perry auf youtube sind dazu interessant. In meinem Blog hab ich sie auf Deutsch grob paraphrasiert. Dort sind auch Verweise auf Amae und Oyako in Japan.
Der TEDx Vortrag "Lethal loneliness" ist sehr empfehlenswert.
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Re: Kranke Gesellschaft?

Beitragvon kafkaesk » 15. November 2015, 11:32

Ich empfehle Arno Grüns (gerade verstorben) "Der Wahnsinn der Normalität" wenn einem dieses Thema umtreibt -- erhellende Gedanken zu genau diesem Thema. Kann in bestimmten Aspekten auch ein neues Licht auf die eigene "Störung" werfen.

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Re: Kranke Gesellschaft?

Beitragvon vanBloom » 16. Dezember 2015, 06:52

Das Buch "Irre - Wir behandeln die Falschen: Unser Problem sind die Normalen - Eine heitere Seelenkunde" von Manfred Lütz ist zu dem Thema lesbar (ISBN 3579068792). Ist zwar eine mäßig ernstgemeinte Lektüre und gibt keine Antworten, allerdings Stoff zum Nachdenken.

Ich persönlich sehe die Grenze recht klar.

Normal ist, wer nicht übermäßg stört. In einer Gesellschaft von Idioten, stört der gesunde Menschenverstand.

Die Grundlage der meisten psychischen Krankheiten/Störungen/Behinderungen ist ja, dass Wahrnehmung und die daraus folgende Handlung (also Ursache und Wirkung) auffällig sind. Ich glaube das kann man auch als Bereicherung sehen und ist eher etwas Besonderes. Das Wahrnehmungsspektrum der Menschen ist grundsätzlich sehr eingeschränkt. Wenn dann da welche bei sind, die da ein breiteres oder einfach anderes Spektrum wahrnehmen ist das doch toll. Der Umgang damit will gelernt sein. Sowohl von den Betroffenen, als auch von den Normalen. Schädliche Konsequenzen entstehen ja meist aus dem falschen Umgang miteinander heraus.
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Re: Kranke Gesellschaft?

Beitragvon orinoco » 16. Dezember 2015, 15:49

16. Dez 2015, 06:52 » vanBloom hat geschrieben:Die Grundlage der meisten psychischen Krankheiten/Störungen/Behinderungen ist ja, dass Wahrnehmung und die daraus folgende Handlung (also Ursache und Wirkung) auffällig sind. Ich


Es gibt nur eben auch die, die nicht sonderlich auffällig sind, denen daher keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird oder als Problemfall erkannt werden und die dann später vor einem Scherbenhaufen stehen. Die haben ein generelles Problem als krank/gestört/behindert/whatever sozial/medizinisch/gesellschaftlich anerkannt zu werden.

16. Dez 2015, 06:52 » vanBloom hat geschrieben:glaube das kann man auch als Bereicherung sehen und ist eher etwas Besonderes. Das Wahrnehmungsspektrum der Menschen ist grundsätzlich sehr eingeschränkt. Wenn dann da welche bei sind, die da ein breiteres oder einfach anderes Spektrum wahrnehmen ist das doch toll.


Ganz recht. Es ist sogarn hirnphysiologisch nachgewiesen, dass Leute mit psychischen Problem wie unsereins ein erweitertes Assoziations- und Aktivitätsfeld um einen Begriff herum haben. Wo bei "normalen" Menschen (NTs) nur eine Spitze "Felsnadel" haben, haben wir einen breiten "Berg". Das befähigt uns Dinge zu Denken, die anderen verschlossen bleiben, weil die eben nicht so weit denken können. Das nicht weit denken können, ist eigentlich Folge einer Schutzfunktion des Gehirns, denn damit hält sich auch Angst und Stress in Grenzen. Wo meiner einer ins Grübeln kommt, hat ein NT die Sache schon längst vergessen.

16. Dez 2015, 06:52 » vanBloom hat geschrieben:Der Umgang damit will gelernt sein. Sowohl von den Betroffenen, als auch von den Normalen. Schädliche Konsequenzen entstehen ja meist aus dem falschen Umgang miteinander heraus.


Oh, ja und leider viel zu oft.
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Re: Kranke Gesellschaft?

Beitragvon cerebrum » 16. Dezember 2015, 20:14

Wo fängt psychische Krankheit denn eigentlich an, wo hört sie auf? Wenn man sich unsere Gesellschaft so anschaut, kann man laut Psychologie doch irgendwie fast jeden in irgendeine Schublade stecken oder nicht? Kommt nicht alles auf die Perspektive an? Ist der gesunde Mensch überhaupt noch Wirklichkeit in unserer heutigen Zeit?


Psychisch krank ist man dann, wenn ein Leidensdruck besteht. Dieser Leidensdruck muss intrinsisch sein, d.h. nicht durch das äußere Umfeld bedingt (was einen etwa ablehnt und mobbt wodurch man dann krank wird). Die meisten schizoiden sind schonmal nach dieser Definition nicht psychisch krank. In vielen Fällen wären sie es auch nicht, hätte man sie mal so akzeptiert wie sie sind. Ich schätze viele werden später psychisch krank durch die Effekte der Gesellschaft auf sie (siehe Beispiel Mobbing).
Die angeborene Sensibilität spielt da mit rein. Womit die Wahrscheinlichkeit für das Abrutschen in einen wahrhaft psychisch kranken Zustand schonmal von vornherein erhöht ist.
In einer deutlich geschützteren Umgebung und ohne meine vielen negativen Erlebnisse mit Menschen wäre ich vermutlich heute deutlich gesünder, vielleicht sogar völlig mental gesund.
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Re: Kranke Gesellschaft?

Beitragvon Maikäfer » 16. Dezember 2015, 22:52

16. Dez 2015, 20:14 » cerebrum hat geschrieben:
hätte man sie mal so akzeptiert wie sie sind. Ich schätze viele werden später psychisch krank durch die Effekte der Gesellschaft auf sie (siehe Beispiel Mobbing).
Genial formuliert
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Re: Kranke Gesellschaft?

Beitragvon Grübelmonster » 2. Mai 2016, 23:54

kafkaesk hat geschrieben:Ich empfehle Arno Grüns (gerade verstorben) "Der Wahnsinn der Normalität" wenn einem dieses Thema umtreibt -- erhellende Gedanken zu genau diesem Thema. Kann in bestimmten Aspekten auch ein neues Licht auf die eigene "Störung" werfen.



Das ist ja mal der krasseste Scheiß das Buch, im positiven Sinne natürlich :D Hab heute damit angefangen und auf Seite 70, bin einfach nur tief beeindruckt, danke für deine Empfehlung!
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Re: Kranke Gesellschaft?

Beitragvon Kalliope » 3. Mai 2016, 08:37

Ich lasse mal zwei andere antworten:

"Im Grunde sind alle Menschen behindert, der Vorzug von uns Behinderten ist, dass wir es wissen." Wolfgang Schäuble


"Das Ideal einer vollkommenen Gesundheit ist bloß wissenschaftlich interessant. Krankheit gehört zur Individualisierung. "
Novalis


Ist also nicht so ganz neu alles.
Was allerdings immer wieder auffällt, ist die Abgrenzung von "beiden Seiten". Offenbar braucht der Mensch diese Schubladen.
Ich beobachte halt nicht zu selten, dass sich Menschen mit "Krankheit XY" sich übermäßig damit zu identifizieren beginnen und sich irgendwann selber nur noch darüber definieren, es sich darin häuslich bequem machen. Damit reagieren sie entweder auf die Zuschreibung der Umwelt, die ihnen das von außen suggeriert oder aber die freiwillige Selbstbeschränkung ihres Horizontes (der da endet, wo "normal" oder "gesund" anfängt) ermöglicht es, Halt zu finden.
In einer Diagnose.
Darüber darf zweifelsohne auch nachgedacht werden.

Vielleicht ist es auch ERST EINMAL brauchbar und hilfreich, so eine Haltestange Diagnose zu haben, um das "Problem" erst einmal einzukreisen. Aber irgendwann ist es dann auch mal hilfreich, auch wieder seine gesunden Potentiale zu erkennen. Und zu leben.
Sonst lebt man irgendwann nämlich nicht mehr, sondern kreist nur noch um sich selbst, bzw. eine Zuschreibung, genannt Diagnose und seine "Krankheit".

Was das "Normale" angeht: immer gut, es in Zweifel zu ziehen. Habe mich selber aus dem "man macht" schon früh ausgeklinkt an den Stellen, wo ich das eben für mich als nicht zuträglich empfunden habe. Klar, muss man mit leben, dass die Nachbarn sich wundern oder empören, wenn man keinen Gartenzwerg im Vorgarten und keine Gardinen im Wohnzimmerfenster hat, sondern halt Vieles ein bisschen bis sehr anders macht.
Nur muss man aufpassen, das Eigene nicht dann auch wieder zu einer Norm zu erklären (sich absondern, eigenbrötlerisch werden), die allen anderen gleichermaßen zu gefallen hat. Die "Norm" entsteht ja auch nicht so ganz zufällig und ist auch eine "Übereinkunft" und dient auch einer gewissen Interaktions-. und Kommunikationsmöglichkeit. So gesehen muss sie also auch nichts Schlechtes darstellen.
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Re: Kranke Gesellschaft?

Beitragvon knallschnute » 3. Mai 2016, 17:31

Hallo!

3. Mai 2016, 08:37 » Kalliope hat geschrieben:Offenbar braucht der Mensch diese Schubladen.


Brauchen tut er sie eigentlich nicht, aber es ist einfacher mit ihnen, da stimme ich dir zu. Ich behaupte mal so frech, dass die Mehrheit der Menschen es einfacher findet mit einer bestimmten Mode oder Erwartung mithalten zu müssen, als sich aus der Masse zu erheben, indem eigene (vielleicht verstörende) Ideen nach außen getragen werden. In der Gemeinschaft ist man sicher und durch sie bestärkt. Irgendwann schwingt man mit Freunden und Familie gedanklich und handelnd mit. Ein gewisser Einheitsbrei entsteht.
Kommt dann so ein komischer Kauz daher und versucht den Einheitsbrei ein wenig neu zu würzen mit den seltenen Kräutern, die er in seinem "verstörendem Leben" gefunden hat, schmeckt der Masse das womöglich gar nicht mehr. Denjenigen, denen es zwar schmecken würde, die aber ungern auffallen wollen, geben das gar nicht erst zu.

Hm, vielleicht ist das nicht das beste Beispiel, aber so ungefähr sieht das mit der "kranken" Gesellschaft für mich aus. Krank ist sie insofern, als dass sie durch ein starkes Sicherheitsdenken unflexibel auf Andersartiges/ Neues reagiert und sich nicht insgesamt dem "Abnormalen" annimmt, sodass dieses in ihr aufgenommen werden kann, sondern Entartetem eine eigene Krankengeschichte zuschreibt und es abstößt. Dass die vermeintliche Krankheit aus der Gesellschaft geboren wurde - wo sonst sollte diese auch in der Masse der Vergesellschaftungen sonst entstanden sein? - und somit diese sich insgesamt therapieren müsste, mag so manchem Gesunden logisch erscheinen, ist aber in ihrer Konsequenz noch gar nicht vorgesehen.

Psychische und körperliche Krankheiten sind ein Hinweis auf krankmachende Umstände in unserer Gesellschaft! Genaugenommen ist nicht die Gesellschaft krank, sondern es ist die Lebensweise in der Gesellschaft die Krankheiten begünstigt. Nicht jeder Mensch passt sich problemlos an Bedingungen in der Gesellschaft an, die absolut nicht seiner Natur entsprechen. Nicht jeder Mensch hat die selben Bedingungen und Chancen. Die Andersartigkeit (Mutation) der Einzelnen sollte nicht als Gefahr der bestehenden Ordnung in der Gesellschaft angesehen werden, sondern als Chance, neue Lebensbedingungen zu schaffen und den Horizont zu erweitern, um insgesamt gesündere Lebensbedingungen zu schaffen.

Ich glaube jedoch, dass wir bereits in einer langsam stattfindenden Veränderung leben. Die Leute mit denen ich so im Kontakt bin, verdeutlichen mir, dass durch eine zunehmende Aufklärung über Ursache und Wirkung, über Krankheiten und Behandlung dieser, die Mehrheit der Menschen befähigt ist Krankheitsbilder durch Reflektieren zu hinterfragen. Es ist vielen bewusst, dass der Einheitsbrei mit seiner Scheinsicherheit den Fortschritt behindert.

Vielleicht ist es auch ERST EINMAL brauchbar und hilfreich, so eine Haltestange Diagnose zu haben, um das "Problem" erst einmal einzukreisen. Aber irgendwann ist es dann auch mal hilfreich, auch wieder seine gesunden Potentiale zu erkennen. Und zu leben.

Das ist ein guter Hinweis und sicherlich machbar, wenn man zwar "krank" ist, aber von seiner Umwelt toleriert und sogar integriert wird. Es findet dann ein Prozess der Akzeptanz statt und damit auch eine Berücksichtigung der Fähigkeiten und Stärken trotz Störungsbild. Mit dem nötigen Selbstwertgefühl geht ein so gestärkter Mensch seinen eigenen Weg. Nur leider ist das in den seltensten Fällen so Bilderbuch mäßig.
Oft sind Kinder und Jugendliche (samt ihrer konservativen Familien) bereits in der Lage schlimme Schicksale durch Ausgrenzen hervorzurufen. Ausgeschlossene Menschen finden schwerlich zu so einem Selbstwert, der ihnen hilft sich nicht nur auf die "Diagnose" zu besinnen. Höchstens Stehaufmännchen mit ungeheuer zähem Gemüt lassen sich nicht so leicht unter kriegen.

Was das "Normale" angeht: immer gut, es in Zweifel zu ziehen. Habe mich selber aus dem "man macht" schon früh ausgeklinkt an den Stellen, wo ich das eben für mich als nicht zuträglich empfunden habe. Klar, muss man mit leben, dass die Nachbarn sich wundern oder empören, wenn man keinen Gartenzwerg im Vorgarten und keine Gardinen im Wohnzimmerfenster hat, sondern halt Vieles ein bisschen bis sehr anders macht.


Der Nachbar hat in der heutigen Zeit - wenn es sich nicht gerade um ein eigenbrötlerisches Dorf handelt - zumeist nichts gegen den fehlenden Gartenzwerg oder den freien Blick ins Wohnzimmer. So fortgeschritten sind wir in Klein- und Großstädten dann doch. Aber wenn der sonderbare Nachbar ohne Gartenzwerg und dem einsehbaren Wohnzimmer nicht(!) grüßt - weil der irgendwie "blind" dafür ist - denkt dessen Umfeld sofort an ein ungehobeltes Benehmen. (Der will ja anscheinend eh nichts mit einem zu tun haben.) Im schlimmsten Fall ist dieser Nachbar der Sündenbock für die restliche Nachbarschaft und bekommt es zu spüren. (Zur Unwissenheit der reflektionsunfähigen Leute bekommt der Nachbar alle Gemeinheiten sehr wohl mit und leidet darunter.)

Nur muss man aufpassen, das Eigene nicht dann auch wieder zu einer Norm zu erklären (sich absondern, eigenbrötlerisch werden), die allen anderen gleichermaßen zu gefallen hat. Die "Norm" entsteht ja auch nicht so ganz zufällig und ist auch eine "Übereinkunft" und dient auch einer gewissen Interaktions-. und Kommunikationsmöglichkeit. So gesehen muss sie also auch nichts Schlechtes darstellen.
Jemand der anders ist, als der Rest in seinem Umfeld wird sich sicherlich nicht anmaßen seine Verhaltensweisen als "Norm" darstellen zu wollen. Er sollte aber durchaus ein Recht haben der "Übereinkunft" entsagen zu können oder nur insoweit zu entsprechen, wie er dies vermag. Das Ausschließen aufgrund seiner "kranken" Verhaltensweise verdeutlicht, wie unfähig die Gesellschaft ist spielerisch miteinander umzugehen. Unsere Erziehung, unser Umfeld prägt unser Denken und Handeln - besonders Jugendliche sind leicht manipulierbar - und hier liegt der Grundstein für unseren Umgang mit Personen die in der Gesellschaft durch ihr Aussehen oder ihr Verhalten auffallen. Es sollte ein Unterrichtsfach über die verschiedenen Verhaltensweisen und Persönlichkeitstypen geben. Man darf es gerne Psychologie nennen. :) Es geht alle an! Oder leben wir etwa nicht in einer sozialen Umgebung?

Überall da wo jeder Einzelne sich schadet, schadet er auch seinem nächsten - wo er seinem nächsten schadet, schadet er auch sich selbst.

Liebe Grüße,
Knallschnute
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