Die Gedanken sind frei

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Die Gedanken sind frei

Beitragvon Insuffizienz » 3. Oktober 2015, 00:03

Also ich habe soeben ein wenig von Eckhart Tolle in Youtube gehört und fand folgende Überlegung interessant:
Denken ist eine Sucht wie jede andere auch. In unserer Gesellschaft sind wir tatsächlich zu sehr von Gedanken bestimmt. Gedanken über die Vergangenheit, die Zukunft, Emotionen, Hoffnungen und Sorgen.
Viele Menschen leben bloß in ihren Gedanken, hoffen, dass dies und das gut läuft, dass sie Erfolge erzielen. Sorgen sich um ihre Erfolge.
Als wahrscheinlich PTBS-Betroffener wird man das als Extrem kennen, gerade wenn das Trauma, meist durch die Eltern, in der Kindheit und Jugend immer wieder wiedererlebt werden muss: Man wird zu einem geradezu tauben Kind, taub gegenüber der Außenwelt, und versinkt in der Gedankenwelt, um sein Überleben zu retten.
Jeder Depressive kennt das übertriebene Denken auch; ich behaupte, dass zu einem hohen Prozentsatz die Gedanken - natürlich meist unbewusst und schon gar nicht beabsichtigt - verantwortlich oder zumindest extrem fördernd für diese Erkrankung sind. Der "Grübelzwang" ist z. B. ein Symptom einer Depression, das Flaggschiff des beschriebenen Phänomens und auch Sinnbild für die Absurdität, die Sinnlosigkeit der vielen Gedanken. Am Ende eher eine Qual als eine schlaue Voraussicht.
Man stellt fest, dass sich die eigene Gedankenwelt oft um die "wirkliche" Welt dreht. Man ist also oft in einer anderen Welt, der ideellen, obgleich man bewusst in der wirklichen sein könnte. So lohnt sich gar nicht mehr der Aufwand, mit dem man ein Herumwinden in der Gedankenwelt verbringt, um irgendetwas mit der wirklichen Welt zu machen; seine Chancen zu verbessern für etwas, erfolgreich zu sein, irgendetwas definieren und danach zu streben. Was nützt das alles, wenn man die ganze Zeit bis zu dem illusionären Ziel, das einen wahrscheinlich nicht allein erfüllen (oder was auch immer) kann, in Gedanken darüber schwelgt und die Wirklichkeit fast komplett vorbeischreiten lässt...
Andererseits könnte man das Ganze aus der depressiven Perspektive betrachten: Also wieso soll ich meine Fluchtwelt verlassen, wenn ich in der Wirklichkeit nur Negatives, das Üble antreffe? Dem könnte man wiederum entgegenhalten und fragen: Warum willst du überhaupt noch leben? Darüber nachzudenken ist doch dann sowieso egal, alles ist dann egal.
Vielleicht sollte man sich von vielen Gedanken freimachen.

Was denkt ihr? Entdeckt ihr an euch Beispiele von Gedanken, in die man unnötig viel Zeit und Energie steckt?
Ich persönlich habe darüber noch nie nachgedacht, nur darüber, wie meine Gedanken sind und wie ich sie ändern möchte.
Zuletzt geändert von Insuffizienz am 15. Dezember 2015, 00:17, insgesamt 1-mal geändert.

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Re: Die Gedanken sind frei

Beitragvon Lemur » 3. Oktober 2015, 06:24

Einer der ungeschriebenen Glaubenssätze der modernen westlichen Kultur ist es, Gedanken hätten die Macht, irgendetwas zu verursachen. Ich habe das noch nie geglaubt bzw. so erlebt. Meine Gedanken lasse ich an mir vorüberziehen wie die Wolken am Himmel. Sie haben keine kausale Kraft, sie kommen und gehen. Es sind einfach neurologische Prozesse in der Hirnrinde, die von Natur aus immer aktiv ist, also unablässig Gedanken produziert. Man kann diesen Gedanken Bedeutung beimessen, sie gar, wie Descartes, zum Ursprung und Zentrum des eigenen Daseins machen, man kann sie aber auch einfach betrachten wie die Wellen auf einem Ozean, ohne ihnen irgendeine Macht zuzuschreiben ...

Ich glaube nicht, dass der Mensch aus Gedanken heraus handelt. Er handelt aus dem Unbewussten heraus, den Gefühlen, Instinkten, Wünschen, Trieben usw. Die Gedanken spiegeln das dann nur wider.

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Re: Die Gedanken sind frei

Beitragvon tiffi » 3. Oktober 2015, 10:03

ich fands interessant zu entdecken, dass Gedanken eigentlich immer nur erlebtes/Vergangenes
widerspiegeln.
für mich sind sie eine Art Radio was läuft....was mal näher und mal weiter ist.
sie ganz für voll zu nehmen, erfasst die Realität nicht (das was ist, die anderen Kräfte, die wirken,
die Optionen die die Gedanken noch nicht kennen.)

hmmm erinnert mich grade an einen Songtext von

Minas Morgul
" Wenn unserer Erfahrungen definieren
wer wir sind,
werden unsere Emotionen (oder hier: Gedanken)
definieren, wie weit wir gehen werden"
(aus: "Wende")

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Re: Die Gedanken sind frei

Beitragvon Lemur » 4. Oktober 2015, 06:19

Gedanken sind durchaus auch ein sehr nützliches Werkzeug, um etwas zu verstehen oder konkrete Probleme im tagtäglichen Leben zu lösen. Dafür schätze ich meinen Intellekt auch sehr. Ich identifiziere mich damit aber nicht stärker, als mit meinen Händen z.B., die eben auch ein Werkzeug sind.

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Re: Die Gedanken sind frei

Beitragvon Insuffizienz » 4. Oktober 2015, 10:18

3. Okt 2015, 06:24 » Lemur hat geschrieben:Einer der ungeschriebenen Glaubenssätze der modernen westlichen Kultur ist es, Gedanken hätten die Macht, irgendetwas zu verursachen. Ich habe das noch nie geglaubt bzw. so erlebt. Meine Gedanken lasse ich an mir vorüberziehen wie die Wolken am Himmel. Sie haben keine kausale Kraft, sie kommen und gehen. Es sind einfach neurologische Prozesse in der Hirnrinde, die von Natur aus immer aktiv ist, also unablässig Gedanken produziert. Man kann diesen Gedanken Bedeutung beimessen, sie gar, wie Descartes, zum Ursprung und Zentrum des eigenen Daseins machen, man kann sie aber auch einfach betrachten wie die Wellen auf einem Ozean, ohne ihnen irgendeine Macht zuzuschreiben ...

Ich glaube nicht, dass der Mensch aus Gedanken heraus handelt. Er handelt aus dem Unbewussten heraus, den Gefühlen, Instinkten, Wünschen, Trieben usw. Die Gedanken spiegeln das dann nur wider.

Wie bist du zu dieser Ansicht gekommen und kannst du beschreiben, ob und was sich dadurch in deinem Leben verändert hat?

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Re: Die Gedanken sind frei

Beitragvon Lemur » 5. Oktober 2015, 07:10

Ich habe das immer schon so empfunden. In der Pubertät habe ich oft darüber nachgedacht und fand es merkwürdig, dass alle ihrem Geist, ihren Gedanken, eine solche Macht zuschreiben. Später habe ich mich mit östlichem Gedankengut befasst und fand meine Sichtweise dort bestätigt. Ich habe dann auch selber viele Jahre in Asien gelebt und entdeckt, dass die Menschen dort ihr Leben leben, ohne alles auf Ratio und Willen usw. zurückzuführen, der Gedanke ist ihnen dort einfach fremd. Und sie leben ihren Alltag genauso ...

Für mich macht es vieles einfacher im Leben, wenn ich meine Gedanken nicht allzu ernst nehme, sie kommen und gehen lassen oder mich ihrer zur Lösung irgendwelcher Fragen und Probleme einfach bediene.


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