Moral und Ethik?

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cerebrum
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Moral und Ethik?

Beitragvon cerebrum » 11. September 2015, 22:11

Die erste Frage: Würdet ihr der Aussage von Hume zustimmen dass man nie ein Soll aus einem Ist folgern kann? Mit anderen Worten ethische / moralische Prinzipien haben keine Basis in der Welt der Fakten, sondern sind eben nur Werte, die man hat oder eben nicht.

Zweite Frage: Habt ihr ethische Prinzipien nach denen ihr lebt? Welche wären das?

Ich frage deshalb, weil ich für mich selbst festgestellt habe keine Werte zu besitzen. Dann hat eine Bekannte das stark angezweifelt, mich versucht zu überzeugen, dass ich eben doch Werte habe. Es ist ihr nicht wirklich gelungen. Doch hat es mich neugierig gemacht ob diese Ansicht, dass jeder Mensch irgendwelche Werte haben _muss_ von den meisten Menschen geteilt wird?

Für mich ist Moral zunächst zu unterscheiden von Ethik. Moral begründet sich nicht auf rationalen Prinzipien, sondern auf "Schuld - Sühne" Prinzip. D.h. man macht sich einer gesellschaftlich anerkannten "bösen Sache" schuldig und fühlt sich schuldig, weil das so anerzogen wurde. Ethik hingegen nennt Gründe, die sich rational darlegen lassen, warum eine Handlung etwa für das gesellschaftliche Leben schlecht ist (und eventuell für einen selbst).

Da ich selbst keine Werte habe, halte ich mich nur an die gängigen Gesetze um Ärger aus dem Weg zu gehen. Ich stehle nicht, weil ich keine Not leide und keine Probleme mit dem Gesetz bekommen möchte.
Es ist jedoch eine ganz andere Frage ob ich stehlen falsch finde oder unethisch. Ich finde es zunächst nicht falsch (also unmoralisch), was eine selbstverständlichkeit ist für mich.
Ich empfinde es aber auch nicht als unethisch. Falls ich also jemals arm werde und nichts zu essen habe, werde ich es mir einfach nehmen. Jedoch bin ich gleichzeitig froh, dass andere mir nichts wegnehmen. Das ist ein Beispiel von vielen. Mit den meisten in der Gesellschaft vereinbarten Dinge würde ich widersprechen bzw. sehe sie für mich selbst nicht als "unethisch" an, sondern höchstens für den Moment sinnvoll für meinen eigenen Vorteil. Ich lebe auch sehr gut ohne Werte und ohne Ethik. Wer sagt jetzt noch, dass Notwendigkeit besteht für diese Konzepte?

Anregungen?
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Re: Moral und Ethik?

Beitragvon Insuffizienz » 12. September 2015, 01:23

Du hast doch selbst deine Wertvorstellung beschrieben. Aus bestimmten Gründen ist es für dich z. B. am besten, dich der Gesellschaft hier anzupassen. Dahinter stecken Prinzipien, die du befolgst -> Das ist deine Moral. Deine Beschreibungen, die eine Meinung darstellen, sind ja im Prinzip deine Ethik, eine Philosophie. Ich denke es ist per definitionem unmöglich ohne Moral und Ethik in einer Gesellschaft zu leben.

Daneben wird Moral meist als eine soziale Handlung definiert, Ethik als die Philosophie der Moral.

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Re: Moral und Ethik?

Beitragvon Geextah » 12. September 2015, 08:12

Für mich sind Moral und Ethik nur sehr schwammige Konstrukte, da Nietzsche, meiner Meinung nach, ganz gut aufzeigt, wie diese Begriffe manipulativ benutzt werden und ein Ziel zu erreichen.
Dann aber nicht von eben jenen, die stark sind, sondern von denen, die intrigant und manipulativ agieren.

Ich stelle die Werte der Gesellschaft in Frage und versuche für mich herauszufinden, welche nützlich oder unnütz sind, für mein eigenes Leben. Sollte ich an einen Punkt gelangen, wo ich etwas als unnütz erkenne, dann versuche ich diesen Punkt, so weit es mir das Gesetz es zulässt, abzulegen.

Das Problem das sich mir immer wieder stellt ist, dass ich bestimmte Gesetze, die sich auf moralisches Verhalten berufen, nicht verstehe, weil sie für mich persönlich einfach nicht nachvollziehbar sind.
"Erfindungen bedürfen der ungestörten Ruhe, des stillen, beständigen Nachdenkens und eifrigen Erprobens, und all dies gibt nur die Einsamkeit, nicht die Gesellschaft der Menschen."
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Re: Moral und Ethik?

Beitragvon MirrorMirror » 12. September 2015, 09:42

11. Sep 2015, 22:11 » cerebrum hat geschrieben:Anregungen?


Ja.
Stell Dir vor, Deine Wohnung/Haus wird von anderen ungefragt okkupiert. Es liegen andere Leute in Deinem Bett, versorgen sich aus Deinem Kühlschrank, stehen unter Deiner Dusche. Das wirst Du nicht dulden. Besitzdenken hat jeder. Sei es auch nur der Platz unter der Brücke und der geschenkte Mantel.
Nimm einen Strafzettel. Der klemmt hinter dem Scheibenwischer. Du würdest wegen so einer Sache nicht auf den Marktplatz gezerrt werden und öffentlich präsentiert werden wollen. Du hast ein Gerechtigkeitsempfinden, wenigstens der eigenen Person gegenüber.
Steh auf dem Amt und ziehe eine Nummer. Diese Nummer ist heilig. Niemand hat sich da vorzudrängeln oder eine bevorzugte Behandlung zu erwarten. Womöglich erwartest Du selber eine Bevorzugung.
Die Werte für das Ich mögen anders gewichtet sein im Gegensatz zum Du und die der anderen. Sie sind aber da.

Was die Armut und der Mangel an Essen angeht, jeder kann da zum Mörder werden. Weil es um das eigene Überleben geht. In der Beziehung gibt es nichts anderes. Als damals in den Anden der Flieger abgestürzt ist, es war glaube ich eine Rugby-Mannschaft an Bord, und diese Leute nach Tagen angefangen haben die Leichen zu essen, da war das Geschrei nach der Rettung groß. Man hat die Truppe vor Gericht gestellt und letztendlich freigesprochen. Die einen wollten überleben, die anderen haben das Strafgesetzbuch und die Ethik bemüht. Es ist durchaus ein schmaler Grad. Für die, die nicht betroffen sind.

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Re: Moral und Ethik?

Beitragvon orinoco » 13. September 2015, 17:21

Ich finde in diesem Zusammenhang die Philosophie der Tierrechte abolitionist approach interessant. Für mich eine sehr relevante Betrachtungsweise, auch weil sie sehr kongruent zu den ohnehin schon gültigen Prinzipien eines Rechtsstaates steht (wenn man von den Perversionen, die ein korruptes Staatswesen auszeichnen mal absieht, also von der Idee an sich). Wesentliche Punkte sind dabei, dass es immer um Interessen geht, gleiche Interessen gleich behandelt werden sollen und immer Interessensausgleich das Ziel ist. Das ist eine sehr "flüssige" Philosophie, die weitestgehend sich dem Trilemma aus infinitem Regress, Dogmatismus und Zirkelschluß entziehen kann. Dabei kommen zwar auf den ersten Blick erstaunliche bis verblüffende Ergebnisse heraus, die aber in sich stimmig und nah an der Realität und dem was man als "Gerechtigkeit" bezeichnen könnte, sind. Um es an zwei krassen Beispielen zu demonstrieren: in einer Notwehrsituation ist es unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt einen Menschen umzubringen, nicht nur moralisch, das gibt das StGB schon jetzt her. Andererseits ist es moralisch nicht erlaubt einen Käfer ohne Not, bzw. zwingenden Grund nur so zum Spaß zu töten. Auch in moralisch scheinbar vertrackten - meist sehr konstruierten - Situationen gibt es eine eindeutige Antwort, die auch meist mit der intutitiven Reaktion und dem was jetzt schon (allerdings nur unter Menschen) gültigen Recht ist, übereinstimmt. z.B. beim Trolley- bzw. Fetter-Mann-Problem.
Ich will das an dieser Stelle nicht ausführlich diskutieren, nur weil die Frage gestellt wurde.
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Re: Moral und Ethik?

Beitragvon cerebrum » 13. September 2015, 19:22

@Mirror: Ist Egoismus ein Wert an sich? Die Werte, die sich nur auf sich selbst beziehen, kann ich schlecht widerlegen, insofern kann das vielleicht schon sein.

@orinoco: Das Problem mit moralischen Dilemma ist, dass man erstmal die Prämissen akzeptieren muss, damit es überhaupt ein Dilemma darstellt. Wenn es für mich einen Unterschied darstellt ob ein Mensch stirbt oder zwanzig, ob ich indirekt der Verursacher bin oder nicht etc., dann erst kann ich z. B. das Trolley-Problem ernstnehmen. Jetzt ganz davon abgesehen, dass es ein konstruiertes Problem ist.
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Re: Moral und Ethik?

Beitragvon MirrorMirror » 13. September 2015, 20:11

13. Sep 2015, 19:22 » cerebrum hat geschrieben:@Mirror: Ist Egoismus ein Wert an sich? Die Werte, die sich nur auf sich selbst beziehen, kann ich schlecht widerlegen, insofern kann das vielleicht schon sein.

Das weiss ich nicht. Ich komme nicht aus der Wissenschaft. Das müssen schon andere erklären oder definieren.

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Re: Moral und Ethik?

Beitragvon Ambivalenz » 16. September 2015, 08:56

Moral ist dem Zeitgeist, dem kulturellen Hintergrund usw. unterworfen. Eine zusätzliche unnötige Kette (bzw. eine Vielzahl davon), die Menschen sich und vor allem anderen anlegen. Unnützer, oft gar inhumaner Ballast.

Ethik ist ein Ideal, welches sich mit der Spezies Mensch leider nicht bewerkstelligen lassen wird. Aber da ich eh gern träume...
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Re: Moral und Ethik?

Beitragvon MirrorMirror » 16. September 2015, 22:04

16. Sep 2015, 08:56 » Ambivalenz hat geschrieben:Moral ist dem Zeitgeist, dem kulturellen Hintergrund usw. unterworfen. Eine zusätzliche unnötige Kette (bzw. eine Vielzahl davon), die Menschen sich und vor allem anderen anlegen. Unnützer, oft gar inhumaner Ballast.

Ethik ist ein Ideal, welches sich mit der Spezies Mensch leider nicht bewerkstelligen lassen wird. Aber da ich eh gern träume...

Sehr schön formuliert.
Ich erinnere mich an den Fall zweier Brüder aus Belgien, beide waren taub und grade dabei zu erblinden. Also keine Wahrnehming mehr nach aussen. Sie haben sich gemeinsam entschlossen einen Antrag auf Sterbehilfe zu stellen. Den hat man ihnen genehmigt.
Völlig unbeteiligte Personen in einem Forum haben sich heftig dagegen gewehrt. Man könne doch nicht, das ginge doch nicht, das Leben wäre so wertvoll.
Das sind die Punkte, an denen sich Anspruch und Wirklichkeit treffen und lautstark aufeinanderprallen.


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