Selbstwahrnehmung

Hier haben alle Themen über Religion, Politik oder das Zusammenleben mit unseren Mitmenschen platz.
Benutzeravatar
Zarathustra
erfahren
erfahren
Beiträge: 281
Registriert: 28. Oktober 2013, 11:31
SPS: Nein

Selbstwahrnehmung

Beitragvon Zarathustra » 12. Januar 2015, 21:36

Hallo.

Vorhin habe ich diesen Mondschein-Text hier gelesen
http://www.mondstein-web.de/dieschizoiden.htm
und auch wenn ich dem ein oder anderen Urteil zustimme, ihn teilweise für den größte S****ß, den ich je gelesen habe halte, frage ich euch und mich:
Wie erleben nicht-schizoide ihre Emotionen? Anders, als schizoide? Wo sind die Beweise? Wird die kreative Ausdrucksweise der tausenden schizoiden Patienten als wissenschaftliche Messung behandelt? Ist es überhaupt möglich, zwischen der eigenen und nicht-eigenen Empfindung zu unterscheiden?

Wenn es so wäre, dass nicht-schizoide von Gefühlen regelrecht gesteuert sind, dann sind wir mit die freiesten Menschen auf diesem Planeten! (von der Handlung her) Und wie ist es mit der externen Kommunikation. Ich weiß es nicht, darum forsche ich, z.B. in diesem Moment, indem ich meine Gedanken aufschreibe. Es soll ja vorkommen, dass auch nicht-schizoide Menschen die Gefühle ihrer Mitmenschen falsch einschätzen bzw. die andere Seite etwas anderes nach außen projiziert, als sie innerlich erlebt.

Betrachte ich das Kind, das sich im Supermarkt vor Heulen auf den Boden vor seine Mutter schmeißt, kann ich nicht einfach behaupten, es würde eine "Strategie" anwenden, die es gelernt hat oder: "Es will nur Aufmerksamkeit". Man geht davon aus, dass dem Kind das bewusst ist, was überhaupt nicht sein muss. Vielleicht ist es so: Es sieht Produkt X, freut sich extrem, die Mutter sagt: "Nein" -> emotionaler Ausnahmezustand; sein Bewusstsein erlebt nur noch, wie es heult. Weisst du, worauf ich hinaus will?

Eigene Gefühle sind nicht aussprechbar, ausdrückbar aber zur Nachfühlung für andere, wenn überhaupt, nur interpretierbar! Und diese Interpretation ist von dem kreativen Einsatz abhängig und wie stark sich das Gefühl mit dem Sprachzentrum (?) verflechtet. Manchmal mehr, manchmal weniger. Weniger bedeutet, 'gefühlskalt' zu erscheinen. Für mich ist es eine Fähgikeit und ebenso ein Fluch. Genauso, wie sehr gefühlsbetont zu sein. Ich meine, Persönlichkeitsmerkmale sind wie Meinungen: automatisch im Konflikt mit anderen. "Kalt" zu wirken, gehört sich einfach nicht.

Nur wenn das ein Defizit sein soll, frage ich mich: Wer hat denn schon einen Überblick über die inneren Vorgänge? Man kann doch nicht einfach leugnen, ein Produkt seiner Umwelt zu sein. Nicht aus einem Fenster, das sich in der Größe und Ausrichtung verändern kann, ins unendliche Universum zu schauen! Wobei die Größe und Ausrichtung bestenfalls vorhersehbar, aber nicht steuerbar ist. Nimmst etwas Neues mit den Sinnen wahr, konzentrierst dich darauf: verändert! (anderes wird ausgeblendet) Welche Prozesse im Hintergrund laufen? Du, keine Ahnung! "Ach ja, das habe ich ganz vergessen!" SO sind Menschen und keineswegs perfekt.

Interessant wird es, wenn so ein Wesen in den Kontakt mit gleichartigen Wesen kommt. Ich kann mir vornehmen, so und so zu sein - die gesellschaftlichen Dynamiken kann ich nicht 'vorfühlen' und dann kommt es garantiert anders. Das, was ich vorher weiß, sind "Körpererinnerungen". Erinnerungen an Gefühle: im Kino herrscht die und die Stimmung, im Wartezimmer beim Hausarzt die, in der Kneipe X die usw.

Ok, mir fallen zwei Möglichkeiten ein, diese gesellschaftliche Dynamik zu erklären.
1. Gefühle werden 1/1 auf mich 'übertragen'. Ich fühle exakt, was andere fühlen.
2. Die gesamte Welt ist eine Illusion - alles erlebte und erlernte füllt sie in mir aus macht sie zu einer Welt, die größer wird, sobald ich etwas Neues erlebe oder lerne und wird kleiner, wenn ich etwas vergessen habe. Diese Welt ist lebendig und synchron zur Außenwelt. Die Gefühle anderer Menschen nehme ich über die Kommunikation (Hormone, Sinneswahrnehmungen, Sprache usw.) auf, fügt sich in meine Welt ein und die gibt, wenn ich mich dort 'hineinversetze' (evtl. unwillentlich) Feedback mit einer Gefühlsschätzung. Die ist unter Menschen oft richtig. Jemand, der beispielsweise noch nie mit diesem einem behinderten Individuum zu tun hatte, versteht ihn auch schlecht. Sobald jemand "abweicht", muss die Abweichung im eigenen Weltbild korrigiert werden. Trete ich in eine Gruppe ein, werde ich durch die herrschende Stimmung beeinflusst. Wie kann ich dann noch 100%ig ich selbst sein?

Noch weiter: Ich bin schizoid. Mein Vater ist ein großes Kind, genauso wie ich es bin. Halb Kind, halb pingelig genauer Erbsenzähler. Ich bin nicht damit fertig geworden, dass meine Mutter mich liebt und im nächsten Augenblick voller Hass wegen einer Lapalie anschreit, unterdrückt und kontrolliert. Sie ist nur argwöhnisch und hat mich erzogen, das habe ich damals nicht verstanden. Genauso wie es meine Schwester nicht tut. Das Vertrauen wurde in meiner Kindheit zermürbt, nicht nur von ihr und das trage ich in meiner Persönlichkeit.

Ich glaube, jeder kann so distanziert zu anderen sein, wenn er die passenden Gründe dafür hat.

Dass ich anders fühle ist reine Spekulation. Ich kann mir vorstellen, dass viele Menschen gerne 'Superman' (internes Ich) wären, nach außen hin aber mit Hemmungen und sowas konfrontiert werden. Ich habe erfahren: wenn ich mich da reinsteigere, dann glaube ich noch daran, es wäre ein Symptom der SPS. Also tu ichs mal lieber nicht. Wenn ich sowieso nicht in andere hineinschlüpfen kann, warum sollte ich mich verstellen, um es ihnen recht zu machen. (was sowieso bemerkt werden würde) Wenn es sowieso soviele Realitäten gibt, wie Menschen, dann male ich mir lieber meine Welt so, damit es mir etwas besser in ihr geht. D.h. ich nehme mich schon so wahr, dass ich meine Gefühle abspalte, das ist nicht mein Punkt. Ich frage mich halt, wie es sonst 'geht'. Ich kenne nur das.

Ich kann nur über die Schrift meine Gefühle wirklich ausdrücken. Das war mal nicht so ungewöhnlich, wenn ich an den (anscheinend) aus der Mode geratenen "Liebesbrief" denke. Ich kenne niemanden, der es so mit "Schreiben" hat, wie ich. Gehts jemandem ähnlich?

Habt ihr den oben verlinkten Text gelesen? Ich nehme mal an, es wäre wahr, was da geschrieben steht: Warum kann der oder die Autorin nicht beschreiben, wie es IST???? Ich meine, sie beschreibt ganz wundervoll die (angeblich) schizoide Wahrnehmung. Warum nicht, wie es ein "normaler" Mensch tut?

VISION

Benutzeravatar
cerebrum
erfahren
erfahren
Beiträge: 331
Registriert: 2. November 2014, 01:03
SPS: Ja

Re: Selbstwahrnehmung

Beitragvon cerebrum » 13. Januar 2015, 11:14

Ich denke der "wissenschaftliche Beweis" liegt in dem wiederholten Auftreten gleicher Persönlichkeitsmuster und draus resultierenden Problemen im Alltag.

Hier ist übrigens eine etwas besser editierte Version des Textes: http://www.irwish.de/Site/Biblio/Psycho ... iemann.htm

Das Beispiel am Ende mit dem Referat hat mich schon beeindruckt. Darin habe ich mich extrem wiedergefunden.
Ich selbst habe das immer so gemacht nie jemanden um Rat zu fragen und alles alleine zu meistern. Dank meiner Höchstbegabung war das soweit auch kein Problem. In meiner Doktorandenzeit jedoch hat es mir sehr geschadet nicht mit anderen zu kommunizieren und so sehr wertvolle Meinungen / Hinweise / Anregungen zu meinen Arbeiten zu bekommen. Dieses Verhalten hat mich Zeit gekostet und mir auch fachlich geschadet. Und die Gedanken hinter dieser Vermeidung von Kontakt mit anderen und Einholen von Input sind im Grunde wie in dem Text beschrieben. Es erschien mir normal zu sein alles alleine zu machen und wäre ein Eingeständnis von Schwäche / mangelnde Intelligenz oder Talent andere um Rat zu fragen...
The world's smartest man poses no more of a threat to me than does its smartest termite.

Benutzeravatar
Zarathustra
erfahren
erfahren
Beiträge: 281
Registriert: 28. Oktober 2013, 11:31
SPS: Nein

Re: Selbstwahrnehmung

Beitragvon Zarathustra » 13. Januar 2015, 19:49

cerebrum hat geschrieben:Ich denke der "wissenschaftliche Beweis" liegt in dem wiederholten Auftreten gleicher Persönlichkeitsmuster und draus resultierenden Problemen im Alltag.

Schön formuliert. :winken:
cerebrum hat geschrieben:Das Beispiel am Ende mit dem Referat hat mich schon beeindruckt. Darin habe ich mich extrem wiedergefunden.

Ich habe mich in ihm auch wiedergefunden. Den Vergleich mit dem fahrenden Zug verstehe ich nicht.

Durch seinen lockeren Kontakt zur mitmenschlichen Welt fehlt ihm die Orientierungsmöglichkeit in ihr, und so schwankt er in der Beurteilung seiner Erlebnisse und Eindrücke zwischen dem Zweifel, ob er sie als Wirklichkeit hinaus verlegen kann, oder ob sie nur seine "Einbildung" sind, nur seiner Innenwelt angehören: Blickt mich der andere wirklich spöttisch an oder bilde ich mir das nur ein? War der Chef heute wirklich besonders kühl mir gegenüber, hat er etwas gegen mich, war er anders als sonst – oder meine ich das nur? Habe ich etwas Auffälliges an mir, stimmt etwas nicht an mir, oder täusche ich mich, daß mich die Leute so komisch ansehen?


Zwischen den Zeilen lese ich heraus, dass es üblich sei, sich sicher zu sein, was der Mitmensch ausdrückt. Das habe ich ja in meinem Text diskutiert. Aus neuer Betrachtung ist mein Text so etwas wie ein Musterbeispiel für jene Orientierungslosigkeit, von der Fritz Riemann schreibt. Trotzdem glaube ich nicht, dass dies der Kern des Problems ist: nicht genau zu wissen, was gemeint ist. Ich bin der Ansicht, es ist schon eine falsche Gewöhnung bei der Verarbeitung der Kommunikation. Denke, es geht allen mal so, nur überwiegt wohl der "intellektuelle" Teil bei mir. Überhaupt ständig anzuzweifeln, die Kommunikation NICHT eindeutig zu entschlüsseln, ist vllt schon der "Fehler", in den Augen, die nicht so denken (können?). Dennoch kann ich gar nicht anders, denn was ist an Symbolen schon eindeutig. Ich "emuliere" regelrecht fremde Gefühle und liege auch nicht selten richtig. Mir kommt es dennoch so vor, als würde es anderen leichter fallen, so, als hätten sie die Kommunikation automatisch gekonnt und ich hätte mir sie "manuell" aneignen müssen. Ich finde z.B. Witze nicht lustig - wie auch, wenn ich ihn analysiere und ihn nicht nur auf der Gefühlsebene verstehe. "Ja, das ist ein Paradox... wie witzig" xD Dabei kommt es natürlich darauf an, worum es geht und mit wem ich mich unterhalte. Es macht mir auch Spaß, so zu sein. Wünsche mir aber manchmal, ich könnte das, was ich fühle UND das, was mein Intellekt zusammenbastelt besser verbinden.

cerebrum hat geschrieben:Es erschien mir normal zu sein alles alleine zu machen und wäre ein Eingeständnis von Schwäche / mangelnde Intelligenz oder Talent andere um Rat zu fragen...

Wem sagst du das... :winken:
Wenn ich in der Schule in einer Gruppe arbeite und jemand zu anderen rüberschaut, nur weil wir ne Sekunde lang nicht weiterkommen, reagiere ich wie "allergisch" darauf. Zum Glück spielen mir oft andere Argumente entgegen und es kommt nicht so rüber, als könne ich keine Hilfe annehmen. ^^

Was hast du denn studiert, wenn ich fragen darf?

Benutzeravatar
Bernstein
engagiert
engagiert
Beiträge: 135
Registriert: 18. Mai 2014, 19:58
SPS: Ja

Re: Selbstwahrnehmung

Beitragvon Bernstein » 17. Januar 2015, 10:42

Hallo Zarathustra,
habe deinen Text mit viel Interesse gelesen. Über diese Gefühlsinterpretationen und unterschiedlichen Arten, Gefühle überhaupt wahrzunehmen, habe ich viel nachgedacht.
Zarathustra hat geschrieben:Eigene Gefühle sind nicht aussprechbar, ausdrückbar aber zur Nachfühlung für andere, wenn überhaupt, nur interpretierbar! Und diese Interpretation ist von dem kreativen Einsatz abhängig und wie stark sich das Gefühl mit dem Sprachzentrum (?) verflechtet. Manchmal mehr, manchmal weniger. Weniger bedeutet, 'gefühlskalt' zu erscheinen. Für mich ist es eine Fähgikeit und ebenso ein Fluch. Genauso, wie sehr gefühlsbetont zu sein.
Zarathustra hat geschrieben:Dass ich anders fühle ist reine Spekulation.

Das ist auch der Schluss, zu dem ich gekommen bin. Jeder kann sich doch nur seiner eigenen Art, zu fühlen und zu denken, in irgendeiner Weise sicher sein. Ich komme immer mehr davon ab, meine Weise für "falsch" zu erachten. Denn ich glaube fast, es gibt kein falsch in dieser Beziehung. Das, was jeder Mensch fühlt, ist für ihn persönlich richtig, weil er z.B. solche Charaktereigenschaften hat, oder bestimmt geprägt wurde usw.
Ich glaube auch nicht, dass "die Masse" der gesellschaftlich als "normal" geltenden Menschen gleich fühlt und wahrnimmt. Von daher meine ich, dass Kommunikation niemals frei von irgendwelchen Mehrdeutigkeiten sein kann, was aber vielleicht auch ein Sinn und Zweck sein kann, sie überhaupt einzusetzen. Sonst hätte es ja keinen Reiz, sich auszutauschen, wenn jeder gleich wäre.
Zarathustra hat geschrieben:Ich kann nur über die Schrift meine Gefühle wirklich ausdrücken. Das war mal nicht so ungewöhnlich, wenn ich an den (anscheinend) aus der Mode geratenen "Liebesbrief" denke. Ich kenne niemanden, der es so mit "Schreiben" hat, wie ich. Gehts jemandem ähnlich?

Ja, das geht mir genauso. Durch das Schreiben komme ich an meine Gefühle heran. Wenn mich irgendetwas Diffuses bewegt, kommen oftmals beim Schreiben meine ganzen Empfindungen auf das Papier, manchmal merke ich es erst, wenn ich es hinterher durchlese. Ich nutze das mittlerweile als "Türöffner", z.B. in der Therapie, indem ich mich dazu durchringe, diese Dinge dann auch vorzulesen und nicht vorher "abzuschwächen". Das fühlte sich anfangs regelrecht fremd an, als wäre es jemand anders gewesen, der das geschrieben hätte. Mittlerweile kann ich auch beim Vorlesen bei mir bleiben und diese Gefühle so mit jemandem teilen. Natürlich nur auf Vertrauensbasis.
Gönne dich dir selbst! (v.Clairvaux)

Penny
aktiv
aktiv
Beiträge: 63
Registriert: 24. Dezember 2014, 07:05
SPS: Nein
Wohnort: Hessen

Re: Selbstwahrnehmung

Beitragvon Penny » 23. Januar 2015, 20:11

Ich als "normalo" nutze es gerne aus, meine Gedanken- & Gefühlswelt in einem DIN-A5-Heft zusammen zu fassen. Manchmal steht wochenlang gar nichts; dann gibt es Zeiten, in denen ich täglich mehrere Seiten beschreibe. Das finde ich für mich auch total gut.... es gibt so viele verschiedene Individuen, die mir begegnen & ihre Eindrücke hinterlassen. Auf diese Art kann ich mir selbst klar werden, was für mich der richtige Umgang mit ihnen ist; denn beruflich kann ich einigen nicht aus dem Weg gehen. Und ich glaube, damit gut zu leben. Das Feed-Back, das ich bekomme, ist en gros positiv. Nicht immer schmeckt es mir; aber im "schriftlichen Dialog mit mir" kann ich dies reflektieren & ggf. zu einem späteren Zeitpunkt dem anderen Menschen wieder ins Gespräch gehen.
Penny
Ich bin nicht verrückt, ich bin limited edition


Zurück zu „Gesellschaft und Kultur“

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 29 Gäste